„Unsere Tropenwälder spielen beim Klimaschutz eine besondere Rolle“, sagt OroVerde-Vorständin Martina Schaub. „Sie sind Lebensraum für unzählige Arten, Kohlenstoffspeicher und zugleich gigantische Klimaanlagen.“
Im vergangenen Jahr gingen 4,1 Millionen Hektar tropischer Regenwald verloren. Das entspricht einer Fläche von 11 Fußballfeldern pro Minute. Laut dem World Ressource Institute wurden dabei 2,7 Gigatonnen CO² freigesetzt – so viel wie Indien pro Jahr an fossilen Emissionen in die Atmosphäre bläst. Weichen müssen die Bäume für Viehhaltung, Landwirtschaft, aber auch für Bodenschätze.
Im Kongo ist die Abholzung allgegenwärtig und in Indonesien auch. Aber Brasilien hat den größten Anteil an der Entwaldung. Unter dem ehemaligen Präsidenten Bolsonaro stieg sie auf ein Rekordhoch. Sein Nachfolger scheint in den ersten Monaten 2023 den Trend umgekehrt zu haben. Doch auf dem Amazonas-Gipfel im Juli wurde deutlich, dass auch Lula da Silva die Erdölförderung in dem bedrohten Gebiet nicht aufgeben will.
Deutschland frisst den Regenwald
Bei dem Referendum zum Yasuní-Nationalpark in Ecuador stimmte im Juli eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Erschließung von Erdöl-Vorkommen. Der Energieminister des Landes erklärte kurz darauf, die Bohrungen sollen weitergehen. Dann ruderte seine Regierung wieder zurück – vorerst. „Wir gehen einen Schritt voran und zwei Schritte zurück“, sagt Martina Schaub. „Das wird nicht reichen, um den Regenwald zu retten.“
Auch in Europa gibt es Bestrebungen, den Tropenwald zu schützen. Die Entwaldungsverordnung der EU wurde im Mai verabschiedet. Rohstoffe und Produkte aus entwaldetem Gebiet dürfen nicht mehr nach Europa kommen. Ein Meilenstein, der aber mit der Unterzeichnung nicht automatisch zum Erfolg führt. "Es ist gut, dass die EU ihre Verantwortung wahrnimmt. Die Verordnung könnte einen großen Effekt haben“, sagt Lioba Schwarzer, Politikreferentin bei OroVerde. „Aber das schönste Gesetz bringt auf dem Papier nichts, wenn wir es nicht konsequent umsetzen. Innerhalb der EU stehen wir leider an erster Stelle, was den Import von Abholzung angeht.“
Es wäre daher umso wichtiger, dass gerade Deutschland beim neuen Gesetz vorangeht: Mit ausreichend Personal für die erforderlichen Kontrollen, mit hohen Sanktionen und transparenten Berichten zu Verstößen. „Deutschland müsste dazu Geld in die Hand nehmen", sagt Schwarzer. "Das muss die Bundesregierung jetzt auch bei den Haushaltsverhandlungen bedenken. Sonst droht das Gesetz schon zu Beginn zu scheitern.“
Klimaschutz mit Verfallsdatum
Auch die Definition, was überhaupt ein Wald ist, könnte für Schlupflöcher sorgen: Bislang gilt die Verordnung nur für Flächen, die unter die UN-Definition von "Wald" fallen. Ende Juni 2024 entscheidet die EU-Kommission darüber, ob sogenannte "sonstige bewaldete Flächen" auch geschützt werden sollen.
„Das sind Gebiete, in denen die Bäume nicht so dicht stehen - die aber ebenfalls enorm wichtig für Biodiversität und Klima sind“, sagt Schwarzer. Die Feuchtsavanne Cerrado, in Brasilien gehört dazu. Aber auch die Orinoquia in Kolumbien oder Torfmoore in Indonesien werden von der Agrarindustrie ausgebeutet. Ihre mögliche Einbindung in die Verordnung ist erst 2025 vorgesehen.
Dass es auch politische Vorhaben gibt, die den Tropenwald gefährden, bestätigt das Ringen um das Handelsabkommen zwischen EU und den Staaten des Mercosur – unter ihnen Amazonas-Anrainer Brasilien.
"Viele Ökosystem stehen massiv unter dem Nutzungsdruck der Landwirtschaft“, sagt Martina Schaub. „Ein schneller Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens, wie auch die deutsche Bundesregierung ihn fordert, wäre für sie fatal. Denn Waldschutz spielt darin kaum noch eine Rolle. Das Abkommen, wenn es einmal geschlossen ist, hat kein Ablaufdatum. Die von der Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen bedrohten Ökosysteme wie der Amazonas aber schon. Wir müssen handeln, bevor unsere Klimaanlage für immer ausfällt."