Die Bewirtschaftung der alpinen Wasserressourcen beginnt im Oberlauf der Gewässer - mit schmelzenden Gletschern und Schneemassen sowie veränderten Niederschlägen - und reicht bis in die urbanen Gebiete des Unterlaufs, in denen z. B. Wassermangel sozioökonomische Strukturen der Gemeinden beeinträchtigen können, die zudem häufig grenzüberschreitend sind. Ein Beispiel ist das Tal Val d'Ursé in der Schweiz, dessen Gebirgsgewässer die Flüsse Adda und Po speisen, die eine zentrale Rolle für die Wirtschaft und Gesellschaft Norditaliens einnehmen. Im größeren Kontext stehen die Gletscherschmelzen mit der globalen Erwärmung im Zusammenhang. Im Zugspitzgebiet in Deutschland haben zwei der letzten Gletscher Deutschlands (Nördliche Schneeferner und Höllentalferner) im Zeitraum von 2005 bis 2018 zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Eismasse verloren. Auch der drittgrößte Gletscher Frankreichs, der Tré-la-Tête, verlor zwischen 2014 und 2016 ein Äquivalent von 6.000 olympischen Schwimmbecken und auch im
österreichischen Jamtal befindet sich die Gletscherschmelze in einer stetigen Beschleunigung. Hier hat die Wetterstation Galtür einen Anstieg der mittleren Temperatur von ca. 2 C im Vergleich zum Zeitraum 1961-1990 verzeichnet.
Das Schmelzen der Gletscher und der Rückgang der Schneedecke zählen zu den sichtbarsten Auswirkungen des Klimawandels und bedrohen sowohl Bergquellen als auch alpine Grundwasservorkommen. Hitzewellen, Dürren und veränderte Niederschlagsmuster verstärken diese Probleme zusätzlich. Die Störung dieser natürlichen Prozesse gefährdet die Artenvielfalt - so beherbergt das Becken der Grande Sassière in Frankreich 20 seltene Pflanzenarten, die auf Wasserläufe und Feuchtgebiete angewiesen sind - und beeinträchtigt die Menge und Qualität des Wassers, das den alpinen Gemeinden für private und öffentliche Zwecke zur Verfügung steht.
In Trentino-Südtirol ist die Gemeinde Ziano di Fiemme auf die Sadole-Quelle angewiesen, die von einem Blockgletscher (Formation aus Geröll und interstitiellem Eis) im oberen Tal Val Sadole gespeist wird. Ähnlich wichtig ist der Berg Petzen an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien, dessen Wasserressourcen nicht nur die umliegenden Gemeinden versorgt, sondern auch für die Erzeugung von Strom durch Wasserkraft genutzt wird.
Angesichts dieser Herausforderungen wird deutlich, dass die Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten in strategische politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden müssen, da die Verfügbarkeit von Wasser eine zentrale Ressource für entscheidende Wirtschaftszweige in den Alpen und Voralpen ist: von der Energiegewinnung über die Landwirtschaft bis hin zur Industrie und dem Tourismus.
Waterwise zielt darauf ab, die lokale Bewirtschaftung von Schutzgebieten und alpine Gemeinden in der Entwicklung von langfristigen Strategien zu unterstützen, um die Resilienz dieser Regionen im Umgang mit Wasserressourcen und in Bezug auf den Klimawandel zu stärken. Diese und viele weitere Aspekte wurden beim Auftakttreffen des internationalen, interdisziplinären Teams Mitte November 2024 im Schweizer Poschiavo intensiv diskutiert.
"Projekte wie Waterwise sind von entscheidender Bedeutung, weil sie das dringende und globale Problem des Klimawandels mit innovativen und kooperativen Ansätzen und Werkzeugen angehen", betont Clément Roques, der wissenschaftliche Koordinator des Projekts und leitender Forscher am Zentrum für Hydrogeologie und Geothermie (CHYN) der Universität Neuchâtel.
"Um die Herausforderungen effektiv zu bewältigen, ist eine transnationale Zusammenarbeit zwischen Interessengruppen, politischen Entscheidungsträgern und Verwaltungsbehörden unerlässlich. Waterwise zeigt diesen kollaborativen Ansatz, indem es unterschiedliche Fachkenntnisse und Perspektiven vereint, um einen Leitfaden für nachhaltiges Wasser- und Landmanagement zu entwickeln", ergänzt Monica Tolotti, Forscherin der Gruppe Hydrobiologie der Edmund Mach Stiftung und administrativer Lead-Partner des Projekts.
Bereits beim ersten Auftakttreffen hat Waterwise den Aufbau von Netzwerken und den Dialog mit lokalen Institutionen in den Vordergrund gestellt, um eine solide Grundlage für zukünftige Strategien zu schaffen. Aus diesem Grund nahmen auch Vertreter lokaler, nationaler und internationaler Institutionen an dem Treffen teil, darunter Cassiano Luminati, Direktor des Polo Poschiavo, Alexis Trouchet vom Gemeinsamen Sekretariat des Alpenraums sowie Silvia Jost und Alexis Kessler vom Schweizerischen Bundesamt für Raumentwicklung (ARE).
Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer innovativen digitalen Toolbox mit unterschiedlichsten Modell- und Analysewerkzeugen, die in einer Reihe von Workshops für unterschiedliche regionale Randbedingungen im alpinen Raum entwickelt wird. Mithilfe der transferfähigen Toolbox soll die Resilienz alpiner Gebiete, deren Wasserressourcen und Biodiversität gestärkt werden. Pilotregionen für die Entwicklung und Erprobung der Toolbox sind unter anderem Contamines Montjoie und Grande Sassière (Frankreich), das Jamtal (Österreich), Rèchy (Schweiz), Sadole (Italien), das Zugspitzgebiet (Deutschland) sowie der grenzüberschreitende Aquifer von Berg Petzen (Österreich/Slowenien). Darüber hinaus werden weitere Gebiete einbezogen, um die Anwendbarkeit der Toolbox in verschiedenen alpinen Landschaften zu testen.
Die Hochschule Karlsruhe verantwortet gemeinsam mit der Universität Passau die Umsetzung des Projekts Waterwise im deutschen Untersuchungsgebiet an der Zugspitze und leitet gemeinsam mit der Universität Neuchâtel das erste Arbeitspaket, das an Lösungen zur harmonisierten Datenzusammenstellung arbeitet und Methoden zur Ergänzung der hydrologischen Datenlage entwickelt. Vor allem "Low-Cost"-Sensorsysteme sowie Crowdsourcing-Ansätze stehen dabei im Vordergrund und sollen durch Workshops und Bildungsmaterialien zugänglich gemacht werden. "Insbesondere in abgelegenen alpinen Einzugsgebieten, in denen kaum standardisierte Messstellen eingerichtet sind, bieten die Datenerfassungen über Low-Cost-Sensoren und Crowdsourcing wichtige Methoden, um wertvolle Informationen über den Zustand der Gewässer und deren zukünftige Entwicklung abzuleiten," so Prof. Dr. Markus Noack aus der Fakultät für Architektur und Bauwesen der HKA und Leiter der hochschuleigenen Versuchsanstalt für Wasserbau.
Waterwise wird von der Europäischen Union durch das Interreg - Alpine Space Programm kofinanziert und besteht aus 12 Partnern: Universität Neuchâtel (wissenschaftliche Leitung, CH), Fondazione Edmund Mach (administrative Leitung, IT), Réserves naturelles de France (FR), Legambiente Piemonte e Valle d'Aosta (IT), EGTC Geopark Karawanken (AT, SL), Universität Passau (DE), Geoloski Zavod Slovenije (SL), Tetraktys (FR), Hochschule Karlsruhe (DE), Alpinarium Galtür Dokumentation GmbH (AT), Agenzia Regionale per la Protezione dell'Ambiente Lombardia (IT) und crealp: Forschungszentrum für die alpine Umwelt (CH).