Im Oktober 1959 präsentierte Pirelli auf der Turiner Automobilausstellung einen unglaublichen neuen Reifen, der das Fahren im Winter verändern sollte. Damals wie heute war der Herbst die Zeit, in der die Menschen begannen, sich und ihre Autos auf die kommende Wintersaison vorzubereiten. Aber nie hätten sie mit der Erfindung von Pirelli gerechnet, die ihnen vor 60 Jahren in Turin vorgestellt und BS3 genannt wurde.
Im Italienischen steht BS für battistrada separata, was separates Profil bedeutet. Der Name war Programm. Dieser wirklich innovative Reifen bestand wie üblich aus einer Karkasse und einem Reifenprofil, die jedoch nicht gemeinsam vulkanisiert (oder "gebacken") wurden. Aus diesem Grund konnte das Reifenprofil leicht gewechselt werden, ohne das Rad vom Auto abmontieren zu müssen, vergleichbar dem An- und Ausziehen eines Mantels.
Auf diese Weise ließ sich der Reifen je nach Jahreszeit bequem an die Winter- oder Sommerbedingungen anpassen. Es war ein innovatives Konzept, das mehrere Jahre in der Produktion blieb und bereits die Idee der saisonalen Reifenumrüstung andeutete.
EIN HAUCH ITALIENISCHEN GENIES
Derartiges hatte es zuvor in der Branche noch nicht gegeben und war zu jener Zeit eine wirklich bahnbrechende Technologie. Der Mann, der das Patentblatt Pirelli BS3 unterschrieb, war der Ingenieur Carlo Barassi, damals Leiter Technologie im technischen Büro von Pirelli. Die Abteilung ist heute unter dem Namen Forschung und Entwicklung bekannt. Die eigentliche Idee war bereits einige Jahre zuvor entstanden und ein Produkt des unermüdlich kreativen Geistes des Ingenieurs Giuseppe Lugli, der damals das Physiklabor in der Reifenabteilung von Pirelli leitete.
Lugli war ein großer Fan des Skifahrens und der Berge und daher mit den Herausforderungen des Autofahrens im Winter bestens vertraut. Die bis dahin für Autofahrer optimale Art, mit den Winterbedingungen fertigzuwerden, war das Anlegen von Schneeketten, um mehr Grip zu erhalten. Doch die damit verbundenen Schwierigkeiten waren vielfältig und die Vorteile begrenzt. Denn diese Technik war ursprünglich für landwirtschaftliche Fahrzeuge auf schlammigen Feldern gedacht und wenig innovativ.
WIE FUNKTIONIERTE DAS BS3?
Die Funktionsweise des BS3-Systems ist ebenso unglaublich wie einfach zu erklären. Die Lauffläche wurde auf drei Ringen montiert, die den gleichen Durchmesser wie die Reifenkarkasse hatten. Diese Ringe wurden dann auf der Reifenkarkasse befestigt und einfach durch den Luftdruck des Reifens fixiert. Für das Umrüsten musste man die Lauffläche lediglich abnehmen und durch eine den Wetterbedingungen besser angepasste Variante ersetzen. Die Geschichte des BS3 ist zugleich mit der Geschichte eines weiteren legendären Pirelli Reifens verknüpft, weil das Sommerprofil des BS3 vom Cinturato übernommen wurde.
VON DER TANKSTELLE BIS ZUR RALLYE
Mit der Einführung des BS3 wurde eine weitere Innovation eingeführt. Aufgrund einer Vereinbarung mit Autogrill, dem bekannten italienischen Tankstellennetz, richtete Pirelli auf der Autobahn Autostrada del Sole, die von Norden nach Süden führt, spezielle Werkstätten ein. Dort konnten Pirelli Techniker das BS3-Profil wechseln und sich um alle weiteren reifenbezogenen Belange der Autofahrer kümmern.
Die Innovation, die Pirelli mit dem BS3 auf den Markt brachte, machte sich auch im Motorsport bemerkbar, dem härtesten Testgelände überhaupt. Der BS3 wurde 1961 bei der Rallye Monte-Carlo eingesetzt und erzielte hervorragende Ergebnisse. Insgesamt 28 Crews starteten die Rallye auf diesem bahnbrechenden Reifen, 23 von ihnen kamen ins Ziel.
Die Rallye trug anschließend zur Entwicklung des ersten speziellen Winterreifens bei, den Pirelli launchte: den MS35. Rallye-Enthusiasten werden sich vielleicht sogar an die TV-Werbung für diesen Reifen erinnern: Darin fährt Sandro Munari jenen Lancia Fulvia, in dem er mehrere Rallyes gewann - darunter Monte-Carlo 1972 - und dank des Pirelli MS35 die Kontrolle behält.
SECHZIG JAHRE WINTERREIFEN
Die beispiellose Geschichte des Pirelli BS3 zeigt, wie ausgeprägt bereits vor 60 Jahren die Erkenntnis war, die richtigen Reifen für die jeweilige Jahreszeit zu benötigen. Diese Notwendigkeit wurde inzwischen in vielen Ländern gesetzlich verankert. Die meisten Länder schreiben den Autofahrern vor, zu bestimmten Zeiten des Jahres Winterreifen zu verwenden.
Was den bahnbrechenden BS3 betrifft: Er wurde mehrere Jahre lang weitergeführt und zum BS weiterentwickelt, bevor die enormen Fortschritte bei der Fahrzeugleistung das Konzept einer separaten Lauffläche überflüssig machten.
Pirelli konzentrierte sich daraufhin auf das Entwickeln reiner Winterreifen, was uns bis in die Gegenwart führt. Sechzig Jahre später kann sich das italienische Unternehmen auf eine spezialisierte Winterreifenfamilie verlassen, deren Spektrum vom Scorpion Winter für SUVs bis zum P Zero Winter für Hochleistungsautos und dem Cinturato Winter für Klein- und Mittelklassewagen reicht. Alle Produkte enthalten den gleichen italienischen Genius, der dem bahnbrechenden BS3 Leben einhauchte.