„Eigentlich müsste hier ein Kind stehen“, räumte der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Syberg in seiner Begrüßungsrede ein; er sei lediglich Platzhalter für diejenigen, um die es in der Veranstaltung eigentlich gehe und für die sich der ADFC verstärkt einsetzen möchte. Obwohl im Nationalen Radverkehrsplan die Grundlagen für einen öffentlichen Raum gelegt seien, der es auch Kindern und Jugendlichen ermöglicht, sicher mit dem Rad zu fahren, zeichne die Realität ein anderes Bild: Generell müsse ein Rückgang dieser Mobilitätsgruppe verzeichnet werden – ein gesellschaftliches Alarmsignal. Dabei wollen Kinder von sich aus beispielsweise allein zur Schule fahren, doch „wir machen sie immobil“, so Syberg. „Was stimmt denn so nicht?“, fragte er die Vortragenden.
Das verkehrsgerechte Kind gibt es nicht
Dass es ein grundlegender Fehler ist, die Verkehrsplanung an einem „verkehrsgerechten Kind“ auszurichten, zeigte Dr. Susann Richter von der TU Dresden auf. Der Erwerb der für den Straßenverkehr erforderlichen motorischen und kognitiven Fähigkeiten beginne zwar schon früh, aber erst ab einem Alter von etwa zehn Jahren seien alle Voraussetzungen erfüllt. Daher sollte das Kind die Möglichkeit erhalten, das richtige Handeln langsam zu erlernen. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass die Entwicklung nicht an einem bestimmten Punkt abgeschlossen ist, wie Guido Meitler von Puky betont: „Selbst für Erwachsene bleibt der Verkehr ja eine komplexe Herausforderung.“
Von Richters Fachbereich durchgeführte Studien weisen darauf hin, dass einerseits sehr aktive, andererseits aber auch besonders ruhige, bedachte Kinder einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sind. Während bei ersteren die Risikobereitschaft hoch sei, fehle es der anderen Gruppe an routinemäßig umsetzbaren Handlungsmustern. Entsprechend sei es bei der Gestaltung des öffentlichen Raums wichtig, sowohl die Risikoexpositionen zu verringern als auch den Kindern Lernmöglichkeiten zu geben.
Räume der Kinder breit vernetzen
Konkrete Vorschläge für eine angemessene Infrastruktur steuerte Dipl.-Ing. Juliane Krause vom Planungs- und Beratungsbüro Plan & Rat bei, die ausdrücklich darauf hinwies, dass Kinder und Jugendliche ein verbrieftes Recht auf die Teilnahme am Straßenverkehr haben, aber selbst bei Rad- und Fußgängerkonzepten meist nicht berücksichtigt werden. Zudem stelle der Transport von Kindern mit Kinderanhängern oder Lastenrad neue Anforderungen. „Das betrifft nicht nur Wegbreiten, sondern auch geräumige und geschützte Abstellmöglichkeiten“, bestätigt Anne Richarz von Croozer.
Aus Kindersicht wichtig seien laut Krause möglichst gleichartige Verhältnisse in Wohngebieten, d. h. etwa flächendeckend Tempo 30 und Rechts-vor-Links-Regelungen. Beim Vernetzen von Spielräumen müssten die verschiedenen Bedürfnisse unterschiedlicher Altersstufen berücksichtigt werden, für Jugendliche z. B. gehört dazu die Erreichbarkeit von Rückzugsorten. Das Einhalten von Breitenmaßen für Radwege sei lediglich Grundvoraussetzung, im Bereich von Schulen etwa müssten eher Zuschläge die Regel sein. Generell lasse sich viel erreichen mit einer Erhöhung der Netzdurchlässigkeit durch die Öffnung von Einbahnstraßen oder Sackgassen.
Bestärkt wurden diese Positionen durch den sächsischen Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Martin Dulig (SPD), der den Radverkehr generell als „gleichwertiges Thema“ zum Autoverkehr bezeichnete und einen „Riesenbedarf in der Bevölkerung“ sieht. Ein positives und wichtiges Signal, findet Otmar Lange, der für den Stadtmöblierer WSM vor Ort war und sich neben derart klaren Bekenntnissen ein tatkräftiges Engagement der Entscheidungsträger wünscht.
Zeit für Verkehrserziehung
Bei der Einbindung von Kindern als besonders gefährdete Verkehrsteilnehmer gehe es nicht um das „Ob“, sondern das „Wie“, erklärte der sechsfache Familienvater Dulig weiter. Hier gelte es, viel kreativer zu sein. Das heiße einerseits, „Verkehrskonzepte danach zu richten, was das Kind verstanden hat“, andererseits bei der Verkehrserziehung weniger auf Wissensvermittlung, sondern auf Kompetenzerwerb zu setzen.
Wie das im Schulalltag aussehen kann, schilderte Matthias Dehler, Berichterstatter der Kultusministerkonferenz (KMK) Hamburg. Er warnte davor, die Verkehrserziehung auf eine im Schonraum durchgeführte Radfahrprüfung zu reduzieren. „Der ,Fahrradführerschein‘ ist eine gute Motivation für Kinder. Im Idealfall sollte das so entfachte Interesse aber natürlich konsequent weitergeschult werden“, meint Torsten Mendel von Abus. Ein beständiger und fächerübergreifender Platz für Verkehrserziehung auch nach der Grundschule, so Dehler, sei schon deswegen wichtig, weil der Wechsel in die weiterführende Schule meist einen neuen Schulweg bedeute und viele Kinder dann wieder unsicher seien.
„Wir brauchen nicht mehr Forschung!“
Auf ein ganz anders gelagertes Problem verwies Sabine Kluth vom ADFC-Bundesvorstand, nämlich die konkrete Gefährdung durch sogenannte „Elterntaxis“. Viele Schulen errichten angesichts des Verkehrschaos zum Unterrichtsbeginn inzwischen Bannmeilen. Kluth wandte sich jedoch positiver orientierten Lösungen zu, etwa dem vom ADFC vorangetriebenen Vorstoß, der es den Begleitpersonen kleiner Kinder gestatten soll, zusammen mit diesen auf dem Gehweg zu fahren. Aus der Schweiz stammt die Idee von Kursen für Eltern und Kinder, die dabei gemeinsam lernen und auf den gleichen – und bei den Eltern möglicherweise veralteten – Wissensstand gehoben werden. Mit der „Fahrradfreundlichen Schule Unna“ oder den Heidelberger „Verkehrsdetektiven“ stellte Kluth Projekte aus Deutschland vor, die das Radfahren nicht nur sicher, sondern auch Lust darauf machen.
Das Fahrrad sei mehr als ein Fortbewegungsmittel, es eröffne Gestaltungsspielräume für Kinder und Jugendliche. Dass Radfahren gesund ist und radfahrende Schüler leistungsfähiger, sei längst bewiesen. Ihr Fazit fiel daher so klar wie eindringlich aus: „Wir brauchen nicht mehr Forschung und Projekte, sondern mehr Handeln der Landesregierungen und Kommunen!“