(pd-f/ht) Das Damenrad ist alles andere als tot. Klassische Modelle wie das „Renaissance“ von Winora (649 Euro) mit ihrem charakteristischen tiefen Durchstieg sind gefragt wie eh und je und im Alltag entsprechend häufig anzutreffen. In vielen Bereichen wird das Rad für die Frau heute allerdings neu interpretiert und wendet sich dabei nicht an distinguierte Damen, die einen gemütlichen Untersatz für die Besorgungen des täglichen Bedarfs suchen, sondern an Frauen, die auch in sportlicher Hinsicht selbstbewusst auftreten – und die finden sich heute nicht nur diesseits der 40.
Fahrräder so fit wie die Fahrerin
Beim Fitnessbike „Sportslady“ von Koga, dem Gegenstück zum Männermodell „Roadchamp“ (je 1.499 Euro), setzt der Hersteller auf einen sogenannten Anglaise-Rahmen mit moderat abgesenktem Oberrohr, das sich in zwei bis zum Hinterrad geführte Streben gabelt. Bei sportlicher Fahrweise, sprich: höheren Geschwindigkeiten, bringt das die nötige Stabilität mit. Diese und ähnliche Rahmenformen finden sich häufig auch bei Unisex-Modellen, also Rädern für beide Geschlechter, die allerdings immer einen gewissen Kompromiss darstellen, während ein ausgewiesenes Damenmodell wie die Sportslady hinsichtlich der Ergonomie spezifische Voraussetzungen berücksichtigt. In puncto Farbgebung und Gestaltung dagegen machen die Niederländer bei ihren Modellen grundsätzlich keinen Unterschied zwischen den jeweiligen Pendants: „Wir lieben zeitlose, hochwertige Räder. Das wollen wir auch ausdrücken. Eine rosafarbene Lackierung und ein niedlicher Name passen da nicht dazu“, erklärt Marketingmanagerin Marijke van Dijk.
Während die signalgelben Akzente ihrer Fitnessräder schon fast ein wenig untypisch für Koga sind, lassen sich dem Schweinfurter Sportfahrradhersteller Haibike keine Berührungsängste mit auffälligen Farben nachsagen; und so finden sich beim „Life 7.70“ (1.099 Euro) aus der speziell für Frauen entwickelten Mountainbike-Serie schließlich doch knallpinke Akzente am himmelblau leuchtenden Rahmen. „Mädels wollen es auch mal krachen lassen. Wir bauen dafür die Bikes“, gibt Firmenchefin Susanne Puello zu Protokoll. Als frauengeführtes Unternehmen belässt es Haibike aber natürlich nicht beim Farbdesign, sondern ergänzt kleinere Rahmen durch ein Komponenten-Setup aus z. B. kürzeren Vorbauten oder schmaleren Lenkern.
Sportliche Performance im Blick hat auch Felt. In ihrer „ZW-Serie“ (Räder mit Alu-Rahmen ab 825 Euro, Carbon ab 1.499 Euro) bieten die US-Amerikaner Carbon-Rennräder für Frauen an, die wie bei den Männermodellen für jede Größe einzeln entwickelt werden. Dabei wird nicht nur die Geometrie angepasst: Der komplexe Belegplan („Layup“), mit dem die Stärke und Ausrichtung tausender einzelner Carbonfasern festgelegt wird, berücksichtigt unter anderem das in der Regel geringere Gewicht von Frauen. Die Steifigkeit des Rahmens kann damit an jeder einzelnen Stelle gezielt gesteuert werden. Hier ergänzen ebenfalls speziell für Frauen ausgewählte Komponenten das Resultat.
Angemessen und maßgeschneidert
Marcel Lauxtermann, Ingenieur beim Mountainbike-Spezialisten Nicolai, der auch Maßrahmen fertigt, kennt geschlechtsspezifische Unterschiede noch unter einem anderen Gesichtspunkt: „Größere Frauen kommen mit einem Standardrahmen noch ganz gut zurecht. Je kleiner die Frau, desto mehr spielt der kleine Unterschied eine Rolle.“ Das meine vor allem einen im Vergleich zu Männern kürzeren Oberkörper bzw. längere Beine, was bei der Konstruktion eines maßgearbeiteten Rahmens ganz individuell berücksichtigt werden könne. Der Anteil von Frauen, die nach einem Maßrahmen fragen, sei allerdings vergleichsweise gering, obwohl nach der Erfahrung des MTB-Ingenieurs Frauen unter etwa 1,55 m selbst bei ausgewiesenen Frauenrädern von der Stange oft Probleme hätten, ein einigermaßen passendes Rad zu finden. Man sehe hier allerdings einen positiven Trend, so Lauxtermann.
Wenn von frauentypischen Körpermerkmalen die Rede sei, dürfe man darunter allerdings nicht mehr als aus Durchschnittswerten abgeleitete Tendenzen verstehen, gibt Stefan Stiener von Velotraum zu bedenken: „Wenn zu uns jemand kommt, sehen wir keinen Mann oder eine Frau, sondern einen Menschen mit sehr individuellen Voraussetzungen. Unser Job ist es, die Denkschubladen geschlossen zu lassen und unvoreingenommen auf unterschiedliche Bedürfnisse einzugehen.“ Der Ergonomie-Experte bietet auch Rahmen mit tieferem Durchstieg an, spricht aber ausdrücklich nicht von Damenrädern. Bei der Übertragung der auf einer speziellen Messmaschine ermittelten individuellen Sitzposition legt Velotraum Augenmerk auf die Länge des Rahmens sowie die Höhe des Steuerrohrs und nicht wie meist üblich auf die Rahmenhöhe bzw. Länge des Sitzrohres. Über die Auswahl entsprechender Komponenten kann die Geometrie den Proportionen der Fahrerin schließlich punktgenau angepasst werden.
Geschlecht nicht immer entscheidend
Auch andere Hersteller verwenden den Begriff Damenrad nicht mehr, sondern bieten ihre Velos geschlechtsneutral als Tiefeinsteiger an. Räder mit der klassischen Schwanenhals-Silhouette oder dem moderneren „Wave-Rahmen“ mit nur einem geschwungenen Rohr werden auch gerne von Männern gefahren, die es schätzen, leicht auf- und absteigen zu können. Viel verdankt übrigens der Siegeszug des E-Bikes dem tiefen Durchstieg: Da Elektrofahrräder zunächst vor allem von älteren, in ihrer Beweglichkeit eingeschränkten Käufern gut angenommen wurden, waren bei Männern wie Frauen Tiefeinsteiger erste Wahl – also weniger eine Geschlechter-, sondern vielmehr eine Generationenfrage. Anja Knaus vom Pedelec-Pionier Flyer sieht bei den Nutznießern jedoch generell eine breite Basis. Ein tiefer Durchstieg, wie ihn auch Trapezrahmen mit abgesenktem Oberrohr als Mittelweg zwischen Tiefeinsteigern und dem klassischen Herrenrahmen bieten (z. B. Flyer „T-Serie“, ab 3.299 Euro), sei mit einem Anhänger oder viel Gepäck etwa einfach praktisch. „Es geht bei uns immer ums Bedürfnis und nicht um das Geschlecht oder das Alter“, so Knaus.
Tiefeinsteiger zeichnen sich meist durch eine eher aufrechte Sitzposition und einen relativ breiten Sattel aus. Doch auch hier sollte man sich vom Gedanken verabschieden, es handle sich dabei um einen Damensattel. Der italienische Hersteller Selle Royal hat für seine Sattelserie „Scientia“ (79,90) eine systematische wissenschaftliche Untersuchung beauftragt, in der die Druckverteilung bei verschiedenen Sitzpositionen gemessen wurde. Das Ergebnis: Nur bei einer sehr sportlichen, also stark nach vorne geneigten Haltung lassen sich generelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen. Der entscheidende Abstand der Sitzknochen zueinander variiert dagegen innerhalb beider Geschlechtergruppen, dieser lasse sich aber ausmessen und dazu passend ein Sattel finden.