„Wenn wir Eidechsen oder Fledermäuse wären, hätte man seitens der Politik und der Bahn längst Maßnahmen ergriffen – für Menschen tut keiner was“, sagt Klaus Backes. Viele der Anwohner sind bereits weggezogen, andere sind inzwischen halb taub und schalten ihr Hörgerät nur noch außer Haus ein. Dabei ist das romantische Assmannshausen ein Ort, an dem sich einst Musiker und Dichter trafen, sowie ein Kurort, in dem Kaiser und Könige sich erholten. Neben Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II. war auch Kaiserin Sissi hier, um vom warmen Thermalwasser der Bäderstadt zu profitieren. Doch der heutige internationale Transitverkehr mit seinen 24-Stunden-365-Tage-Takten weiß nichts mehr von Robert Schumann oder Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, sondern ist auf rücksichtsloser Profitjagd mit uralten Waggons.
2000 Tonnen schwere Güterzüge, mit 100 km/h Geschwindigkeit und mehr als 100 dB Schallemissionen, poltern mehr als 150-mal pro Tag und Nacht durch diesen romantischen Weinort mit seinen engen Häuserschluchten. Es ist kein Platz auf den schmalen Uferleisten des Rheintals, um den Bahnverkehr in Gewerbe- und Randgebiete zu verlegen. Nein, hier poltert die Güterbahn über die Belletage des Rheintals, oft keine 10 Meter von den Häusern und Hotels mit den großen Namen vorbei. Ratter, ratter, ratter, wie eine Klapperschlange winden sich die Güterzüge, einer nach dem anderen, durch dieses enge Tal, das zum UNESCO-Welterbe zählt. Die Reflexionen sind von beiden Seiten hörbar, denn es ist wie in einem Amphitheater, wo man jedes kleinste Geräusch bis auf die Höhen wahrnimmt.
Das gilt übrigens für den gesamten Mittelrhein und alle anliegenden Städte und Kommunen. Überall leben hier Menschen wie Klaus Backes, die, wie er selbst sagt, kurz davor sind, krank oder wahnsinnig zu werden. Doch was sagt die Bahn?
Nun, sie sagt, das sei „systembedingt“ und lasse sich nicht ändern. Pro Rheintal-Chef Frank Gross hingegen behauptet, es sei einer spekulativen Bahn-Politik und -Leitung zu verdanken. Weil man einst an die Börse wollte, habe man Servicestationen und Personal abgebaut, um die Bahn als „internationalen Konzern“ für die Börse attraktiv zu machen. Seither sei man auf Verschleiß gefahren. Ergebnis seien katastrophale Zustände im Betrieb, bei den Fahrzeugen und der Infrastruktur, die auch in Jahrzehnten nicht zu reparieren seien. Hier sei auch die Ursache des Lärms zu suchen. Es könne nicht länger den Anwohnern und der Region zugemutet werden mit Leib und Leben für die Fehler von Politik und Bahn zu zahlen. Deshalb schlägt Pro Rheintal vor, dass Güterzüge in den Wohngebieten nicht schneller als 50 km/h fahren dürfen um verträglich zu sein.
Wie sollen Hoteliers investieren, wenn Gebäude jährlich an Wert verlieren? Wie sollen Denkmale gepflegt und erhalten werden, wenn eine Nutzung fehlt und damit das Geld? Wovon soll die Region leben, wenn die kommunale Infrastruktur austrocknet und hier niemand mehr wohnen oder übernachten will?
Familie Backes ist da nur ein Beispiel für die unerträglichen Zustände, die Familien in der gesamten Region betreffen. Doch Familie Backes ist ein besonderes Beispiel, weil hier über dem Bahnhof in Assmannshausen alle Grenzen der Lärmbelastung derart übertroffen werden, dass offenkundig einklagbare Grundrechte verletzt werden. Für Pro Rheintal könnte das der Präzedenzfall werden, an dem sich das Leid vieler Anwohner darstellen und mehr Lärmschutz durch Tempo 50 für alle einklagen lässt.