Obwohl die Karlsruher Richter sich in der mündlichen Verhandlung durchaus zum Policenmodell äußerten, ließen sie die Rechtsfrage dennoch unbeantwortet. Im konkret verhandelten Fall sprachen sie dem klagenden LV-Doktor-Kunden zwar das Recht auf Kündigung seiner Police zu, den Anspruch auf die komplette Rückerstattung sämtlicher einbezahlter Prämien nebst Zinsen jedoch ab. In ihrer Urteilsbegründung stellten die Richter darauf ab, dass der LV-Doktor-Kunde bei Vertragsschluss ordnungsgemäß belehrt und die Frage nach dem Policenmodell im Allgemeinen deshalb überhaupt nicht maßgeblich sei.
BGH ignoriert Kammerrechtssprechung & verletzt Justizgewährungsanspruch
Aus Sicht von LV-Doktor ist die Einschätzung des BGH nicht hinnehmbar, weil sie der der Europäischen Kommission, des Europäischen Gerichtshofes samt Generalanwältin Sharpston, des Bundesverfassungsgerichtes und der Bundesregierung widerspricht. Alle diese Institutionen haben sich bereits mehrfach kritisch zum Policenmodell geäußert und dessen Vereinbarkeit mit Unionsrecht bezweifelt - allein das Bundesverfassungsgericht in 10 von LV-Doktor geführten Verfassungsbeschwerden! Der BGH verkennt damit die einschlägige Senatsrechtssprechung des Verfassungsgerichtes und verletzt damit die Grundrechte des Klägers auf den gesetzlichen Richter. Darüber hinaus verletzt der BGH seine Vorlagepflicht, indem er die Rechtsfrage einfach als nicht maßgeblich einstuft, trotzdem er verpflichtet ist, alle europarechtlichen Fragen dem EuGH vorzulegen und von diesem entscheiden zu lassen.
Klarer Verstoß gegen das Grundgesetz - LV-Doktor legt Rechtsmittel ein
Mit seinem Vorgehen verstößt der BGH aus Sicht der LV-Doktor-Anwälte gegen das Gebot des gesetzlichen Richters und damit gegen das Grundgesetz. Es wäre verpflichtet gewesen, die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen und hat dies nicht getan. Dass hier politische und wirtschaftliche Überlegungen mit eingeflossen sind, erscheint bei der vorliegenden Urteilsbegründung naheliegend. Aus diesem Grund haben die Netzwerkanwälte von LV-Doktor Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil vom 16. Juli 2014 eingereicht und fordern eine Klärung der Frage, ob der BGH die Entscheidung, inwieweit das Policenmodell gegen europäische Richtlinien verstößt, ohne den EuGH treffen durfte.
Rechtsfrage nach dem Policenmodell betrifft Millionen Verträge
Die Problematik des Policenmodells besteht vor allem darin, dass der Kunde erst nach Vertragsschluss alle für ihn relevanten Informationen und Unterlagen erhielt und deshalb um die Möglichkeit beraubt wurde, Angebote verschiedener Anbieter objektiv zu vergleichen. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist dies ein klarer Verstoß gegen die Unions-Verbraucherschutzrichtlinien, deshalb forderte sie bereits vor Jahren die Abschaffung des Modells.
Auch wenn der deutsche Gesetzgeber dieser Forderung im Jahr 2007 mit Einführung des neuen Versicherungsvertragsgesetzes und der damit verbundenen Abschaffung des Policenmodells nachgekommen ist, schaffte dies keine Regelung für jene Bestandskunden, deren Verträge in der Vergangenheit auf Basis des Policenmodells geschlossen wurden - zwischen 1994 und 2007 immerhin beinah 80 % aller Verträge.
Ziel der LV-Doktor-Anwälte ist es deshalb, das Recht auf die vollständige Rückabwicklung entsprechender Verträge für die Millionen betroffener Kunden zu erwirken.