Jahrzehntelang verdienten die Gesellschaften mit der Sparte Lebensversicherung mit den Beiträgen ihrer Kunden unglaublich viel Geld. Böse Zungen würden gar behaupten, dass die Lebensversicherer vor Lachen keinen Schlaf fanden. Sie verkauften, was das Zeug hielt und wussten, dass die meisten ihrer Kunden selbstverständlich nicht 30 oder 40 Jahre durchhalten und vorzeitig ihre Lebensversicherung kündigen müssen. Die im Kleingedruckten vereinbarten Stornokosten verleibten sie sich ein, wie auch die anfänglich abgezogenen Provisions- und Verwaltungsentgelte. War der Vermittler noch in der Stornohaftung und musste seine Provision an den Versicherer zurückzahlen, füllte das die Taschen der Lebensversicherer zusätzlich. Das nennt der Volksmund "Geld im Schlaf verdienen".
Nun ist Schluss mit lustig - Lebensversicherung am Pranger
So etwas geht sicher lange gut. Bereits Abraham Lincoln sagte: You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you can not fool all of the people all of the time." Ja, so ist es, man kann nicht alle Menschen dauerhaft täuschen.
Und nun ist der Punkt erreicht, an dem die Menschen aufstehen und sich wehren. Federführender Initiator dieses "Aufstandes" ist die proConcept AG, die eigens dafür das Projekt LV-Doktor installierte. Mittlerweile 90.000 Verträge von ehemaligen Lebensversicherungskunden werden mittelbar oder unmittelbar angefochten, und es werden immer mehr.
Anfechtungsgründe gibt es zuhauf: Da wäre zum Beispiel die mangelhafte Belehrung zum Widerrufsrecht, bisweilen blieb sie einfach gänzlich aus, das Unterlassen der Erläuterung der Risiken bei vorzeitiger Kündigung, die verschwiegenen Kosten, die teilweise abnorme Größenordnungen annahmen, die erhebliche Diskrepanz zwischen den damals versprochenen und den tatsächlich ausgezahlten Zinsen, die Klauseln zu Stornoabzügen...
"Der Weg ist länger als wir anfangs geglaubt haben", so Jens Heidenreich, Direktor der proConcept AG. Es fällt nicht schwer, das nachzuvollziehen, denn es geht den Großen der Wirtschaft an den Kragen. Schließlich will Heidenreich ihre ehemals satten Gewinne zugunsten der Verbraucher schmälern, indem er sie per Gerichtsurteil zwingt, endlich fair und transparent zu agieren.
Doch das scheint nicht im Sinne der Lebensversicherer sein, denn wenn ein Kunde im Vorfeld weiß, dass er sowieso Verlust macht, wird er keinen solchen Vertrag abschließen. Das hieße im Umkehrschluss: neue Bedingungen müssen her, neue Produkte mit viel mehr Flexibilität und erheblich geringeren Kosten müssen kreiert werden; und das Schwierigste, die Versicherer müssen im Sinne des Kunden denken. Nichts weiniger fordert LV-Doktor neben der eigentlichen Rückabwicklung der Lebensversicherungsverträge.
Doch selbst nach einem höchstrichterlichen Urteil bleiben Reaktionen der Lebensversicherungen schlicht aus. Immerhin gab es bereits 2005 und im vergangenen Jahr klare Ansagen des Bundesgerichtshofes zur Höhe des Rückkaufswertes und zu den Stornokosten. Man könnte nun erwarten, dass die Gesellschaften ihren ehemaligen Kunden unaufgefordert Nachzahlungen leisten. Doch weit gefehlt. In den Vorstandsetagen hält man es für angemessener darauf zu warten, dass die Kunden aktiv werden. Wer das nicht tut, geht trotz der Urteile leer aus.
Bald verhandelt der Europäische Gerichtshof
Es war ein langer, beschwerlicher Weg für LV-Doktor. Von vielen belächelt, von einigen ob der Dauer der Verfahren sogar verteufelt oder einfach nur ignoriert, zog LV-Doktor unermüdlich gegen die Lebensversicherungsbranche zu Felde - immer mit dem Ziel der Rückabwicklung der Lebensversicherungsverträge, denn die Umstände und Bedingungen, unter denen die Verträge zustande kamen, widersprechen aus Sicht von LV-Doktor europäischem Recht. Die Gesellschaften versuchten oft genug, eine Ausurteilung zu verhindern, indem sie kurz vorher die Forderungen einfach anerkannten.
Insgesamt 4 Verfahren konnte LV-Doktor beim EuGH anhängig machen. U. a. der Allianz, dem Flagschiff der Lebensversicherer, steht LV-Doktor nun Auge um Auge gegenüber. Der Versicherungsriese scheint sich seiner Sache sicher, andernfalls hätte er in irgendeiner Weise das Verfahren bereits beendet, wie so viele davor. Auch Jens Heidenreich ist sich sicher. Immerhin wurde Deutschland wurde von der Europäischen Kommission bereits abgemahnt, weil die von der EU erlassenen Verbraucherschutzrichtlinien nicht korrekt umgesetzt wurden. Auch wenn die Versicherungsbedingungen daraufhin etwas verbraucherfreundlicher gestaltet wurden, reicht das bei Weitem nicht, um den europäischen Vorgaben zu entsprechen.
Auch die Europäische Kommission bekräftigt verbraucherfreundliche Ansicht
Die Kommission nimmt regelmäßig Stellung zu den anstehenden Sachverhalten des EuGH. So auch in diesem Verfahren. Die Kommissare bekräftigten in ihrer Stellungnahme einmal mehr ihre verbraucherfreundliche Position und stellten klar, was auch LV-Doktor seit Jahren argumentiert: Die Regelungen zum Widerspruchsrecht sind nicht europarechtskonform und müssen von Grund auf neu aufgestellt werden. Denn nur so ist eine faire Behandlung der Verbraucher erst möglich. Einer neuerlichen Studie zufolge, die die Partei der Grünen in Auftrag gab, erleiden Lebensversicherungskunden jährlich Verluste in Höhe von ca. 16 Milliarden Euro. Dafür, dass es um die vermeintlich sicherste Anlageform für die Altersversorgung geht, ist das eine herbe Erkenntnis: Die Gesellschaften stecken sich einen Großteil der Gelder in die eigene Tasche.
Die Europäische Kommission war bereits bei der Entwicklung einheitlicher Verbraucherschutzrichtlinien beteiligt und wacht über deren Einhaltung in den EU-Staaten. Wie könnte also ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes ausfallen, wenn die Kommission schon vor Jahren genau diese Richtlinien als verletzt erachtet und die Bundesrepublik verklagt? Es fehlte bislang einfach jemand, der sich für die Kunden der Lebensversicherer einsetzt. Und das ist die proConcept AG.
Ziel: Alle Beiträge zurück aus ehemaligen Lebensversicherungsverträge
Die Verbraucherzentrale Hamburg hat vorgelegt. Auch sie klagt seit Jahren hartnäckig gegen diverse Gesellschaften, fordert Korrekturen der Rückkaufswerte hinsichtlich der Stornoabzüge und der ungerechten Verteilung der Abschlusskosten.
Das geht LV-Doktor jedoch nicht weit genug. Denn auch dann sind die Verluste des Einzelnen noch erheblich. "Kein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch hätte mit den heutigen Kenntnissen einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen", ist sich Heidenreich sicher. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Wann endet das Widerrufsrecht? Aus Sicht der Netzwerkanwälte von LV-Doktor eben erst dann, wenn der Kunde tatsächlich Kenntnis von allen Risiken bekommt. Doch diese wurden (und werden noch heute) naturgemäß von den Lebensversicherungen verschwiegen. Ergebnis dieser Argumentation: die Rückerstattung sämtlicher eingezahlter Beiträge und die dafür entgangenen Zinsen - als wäre der Vertrag niemals abgeschlossen worden.
Durch den EuGH wird bald der Grundstein für eine neue, umfassende Rechtssprechung gelegt. Die Gesellschaften müssen sich warm anziehen, schließlich wissen sie immer noch am besten, mit welchen Methoden sie ihren Vertrieb aufrecht halten.