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Generation S: Das Zeitalter der Systemfehler

Unserer Generation geht es im Vergleich zu früheren Generationen prächtig. Genau hier liegt aber eine besondere Gefahr. Denn in unserer Behaglichkeit übersehen wir eine Vielzahl besorgniserregender Tendenzen

(lifePR) (Langenfeld, )
Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass unser wirtschaftliches Umfeld und die Kapitalmärkte nur noch aus einer Aneinanderreihung von Systemfehlern bestehen. Eigentlich bin ich mir sogar sicher, dass dem so ist. Es stört nur niemanden, denn wir grinsen abwesend vor uns hin.

Da schafft die Europäische Zentralbank die Zinsen ab und raubt der verzinsten Kapitalanlage jegliche Logik. Uns stört das nicht, denn wir machen weiter wie bisher und tragen unser Geld zur Bank. Die wiederum zahlt keine Zinsen mehr, steht dafür aber aufgrund des von der Notenbank erfundenen Systemfehlers mit dem Rücken zur Wand und stochert mit einem Fuß verlegen im Abgrund herum. Und wir grinsen.

Die Bank ihrerseits lässt es sich nicht nehmen, bei jeder denkbaren und undenkbaren Manipulation vorne dabei zu sein, um am Ende Strafe um Strafe im Trophäenschrank zu sammeln. Gleichzeitig manipulieren Autobauer ohne jegliche moralische Bedenken Abgaswerte und Spritverbräuche, während Facebook über das Wochenende zwei Millionen Nutzer das Zeitliche segnen lässt und für jeden dieser Nutzer – die sich in Wahrheit bester Gesundheit erfreuen – eine Kondolenzanzeige veröffentlicht. Laut Facebook ein Systemfehler. Nee, is klar! Und wir grinsen.

Gut, dass wenigstens die Politik keinem Systemfehler aufsitzt und weiß, wie es geht. Zum Beispiel, wie man die Wirtschaft wachsen lässt, obwohl die Bevölkerung in allen Industrieländern schrumpft und überaltert. Obwohl wir Schulden abbauen müssen und wissen, dass wir in den letzten 25 Jahren ohne Verschuldung kein Wachstum gehabt hätten. Und obwohl uns trotz aller Bemühungen keine Weihnachtswünsche mehr einfallen, da wir ja eigentlich schon alles haben. Wir wachsen trotzdem! Oder sind Ihnen das am Ende doch zu viele „obwohl‘s“? Egal. Wir glauben‘s und grinsen.

Wenn wir dann selbst unsere politische Stimme erheben, stimmen wir als Engländer für den Ausstieg aus der EU – um die aktuelle Regierung zu ärgern, aber ohne es eigentlich zu wollen. Auch als Amerikaner geht es uns darum, mit unserer Stimme jemanden zu ärgern – und zwar das Establishment. Dafür wählen wir dann jemanden, der weiß, was Frauen wollen und wie man andere beschimpft, verprügelt und diskriminiert. Das Grinsen vergeht uns trotzdem nicht, schließlich steigen die Aktien nach einem frühmorgendlich unterdrückten Schluckauf ja wieder.

Warum auch nicht? Denn auch wir Deutschen stimmen ja mittlerweile eher gegen jemanden als für jemanden. Im Gegensatz dazu können wir als Türken richtig stolz auf uns sein. Denn zu unserem Präsidenten stehen wir – mit wehenden Fahnen und aus voller Überzeugung. Wozu brauchen wir da noch Meinungsfreiheit? Hauptsache wir grinsen.

Fällt Ihnen etwas auf?

Wir verkommen zunehmend zur Generation S – zur Generation der Systemfehler. Wir hören und sehen die Systemfehler zwar, wir nehmen sie aber nicht wahr. Denn wir schalten ab und stumpfen ab. Und machen weiter wie bisher.

Ich komme mir ehrlich gesagt vor wie auf dem Pavianfelsen im Kölner Zoo. Wenig Hirn, viel Geschrei.

Ganz oben sitzt mit wehender Mähne Trumpian – mit hochrotem Kopf statt Po und brüllt vor sich hin (obwohl, wer weiß, vielleicht ist nicht nur der Kopf hochrot).

Währenddessen sitzen wir auf den billigen Plätzen des Pavianfelsens und lassen uns von allem und jedem piesacken und uns abstruse Geschichten erzählen. Und wie das bei einem Pavian so üblich ist, juckt den das alles nicht. Der lässt sich dabei zugucken, wir ihm ein anderer die Läuse aus dem Pelz puhlt.

Ähnlich wie bei meinem fünfjährigen Sohn – den kratzt das auch alles nicht. Als wir ihn kürzlich ermahnen, seinen größeren Bruder nicht permanent zu piesacken, kontert er nur kurz „Ich hab‘ nicht Pi gesagt!“ und dackelt unbeeindruckt von dannen.

Ähnlich naiv gehen auch wir als Generation S mit uns, unserem Umfeld und unseren Problemen um. Das kann und wird nicht gut gehen. Die Verantwortung tragen wir alle – jeder einzelne für sich und wir als Gemeinschaft. Es wird Zeit, dass wir Dinge, die keinen Sinn ergeben, nicht einfach hinnehmen.

Die Gründe für das Dilemma unserer Generation S sind schnell gefunden:

1. Der Phlegmatismus jedes Einzelnen und der Gesellschaft.
Wir sind behäbig und träge geworden. Wir nehmen Dinge immer häufiger ungeprüft hin, ohne sie zu hinterfragen. Und selbst wenn wir dann doch mal feststellen, dass da etwas nicht stimmt, gehen wir der Sache nicht nach. Wir sitzen es einfach aus und stumpfen dabei ab. Schocken kann uns nichts mehr. Ergo unternehmen wir nichts. Der Mann auf der Straße würde es unverblümter formulieren: Wir verblöden zunehmend.

2. Der Wachstumsfanatismus unseres Wirtschaftssystems.
Wachstum ist der alleinige Treibstoff unseres Wirtschaftssystems. Lässt sich Wachstum mit lauteren Mitteln zunehmend schwieriger erreichen, müssen andere Methoden her. So werden – wie jüngst bei der US-Großbank Wells Fargo – kurzerhand 2 Millionen Kundenkonten erfunden. Unterdessen schönt Volkswagen die Abgaswerte und Banken manipulieren Zinssätze und Währungen. Und ganz nebenbei finanzieren Notenbanken die Staatshaushalte und retten die Aktienmärkte. Das alles passiert zunehmend im größeren Stil und nur, damit dem Wachstumsmärchen die Phantasie nicht ausgeht. Gleichzeitig züchten wir uns Popolitiker – das sind Menschen, die auf „moderner Politiker“ machen, dabei aber auf populistische Märchen als Wahlprogramm setzen.

Fehler erkannt, Problem gebannt.

Ganz so einfach ist es leider nicht. Der Pavian hat halt so seine Gewohnheiten. Aber vielleicht hilft es ja für den Anfang, wenn wir alle mal vom Pavianfelsen absteigen und die Szenerie mit Abstand betrachten.

Es würde uns allen gut tun.
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