Eines der Hauptanliegen der Kammer ist eine bestmögliche fachlich-heilkundliche Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Versorgung heißt aber nicht nur Behandlung, sondern auch Vor- und Nachsorge mit dem Ziel, psychische Erkrankungen schon im Vorfeld zu verhindern bzw. Rückfällen vorzubeugen. Bei Kindern und Jugendlichen ist Prävention deshalb besonders effizient, weil frühzeitige Beratungs- und Behandlungsangebote das Risiko späterer Erkrankungen deutlich reduzieren können. Das hat sich in empirischen Studien immer wieder gezeigt, beispielsweise in Präventionsstudien im Kontext "Kinder psychisch kranker Eltern". Neben chronischen familiären Konflikten ist ein psychisch erkrankter Elternteil für ein Kind mit einem hohen Risiko verbunden, später selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Es sind insbesondere Erziehungsberatungsstellen, die individuelle pädagogisch-therapeutische Leistungen erbringen, mit denen auch Migranten, sowie Arbeitslose und Niedrigverdiener erreicht werden. Rund ein Drittel der hilfesuchenden Familien in Erziehungsberatungsstellen haben einen Migrationshintergrund, rund ein Viertel sind Transferleistungsbezieher.
Nach Zahlen der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung sind in den 62 hessischen Erziehungsberatungsstellen neben Fachkräften aus der Pädagogik, Sozialer Arbeit und Psychologie 80 von 262 Vollzeitstellen durch Psychologische und Kinder und Jugendlichenpsychotherapeuten besetzt. Jede Zweite Leitungskraft ist als Psychotherapeut oder Psychotherapeutin approbiert. Für bestimmte diagnostische Fragestellungen wie beispielsweise die Feststellung einer seelischen Behinderung nach § 35a SGB VIII ist die Approbation vorgeschrieben. Die Vielfalt der Berufe in Erziehungsberatungsstellen, das sog. Interdisziplinäre Team, bietet beste Voraussetzungen für die Arbeit mit Familien mit unterschiedlichsten Problemlagen: Angefangen bei sog. "Schreibabys", die wenige Monate nach der Geburt kaum zu beruhigen sind, über Kindergartenkinder mit Trennungsproblemen, über lese- und rechtschreibschwache Erstklässler, Zappelphilippe mit ADHS-Medikation, von Mitschülern gemobbte Pubertierende bis zu jungen Erwachsenen ohne berufliche Orientierung werden Kinder und Jugendliche beraten und behandelt. Eltern werden unterstützt bei der Klärung von Konflikten mit ihren Kindern, beim Verstehen und der Veränderung ihres eigenen Verhaltens und dem ihrer Sprösslinge, sie werden bei sog. Hochstrittigkeit mit eskalierten Konflikten wegen des Umgangs- oder Sorgerechts begleitet mit dem Ziel, einvernehmliche Lösungen zu finden und auch nach Trennung und Scheidung gute Eltern für ihre Kinder zu bleiben.
Als niedrigschwellige und auf Freiwilligkeit der Inanspruchnahme basierende Leistung der Jugendhilfe im Rahmen des SGB VIII hat Erziehungsberatung im Vorfeld der Behandlung seelischer Erkrankungen präventiven Charakter. Denn durch rechtzeitige und niedrigschwellige Angebote können nicht nur kostenaufwändigere stationäre Maßnahmen verhindert werden. Auch der Entwicklung psychischer Erkrankungen kann vorgebeugt werden. Erziehungsberatung erreicht als kostenfreies Angebot gesellschaftlich benachteiligte Gruppen, die durch prekäre Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit und Integrationsprobleme geprägt sind und trägt damit wesentlich zur Realisierung von Chancengleichheit bei. Die Stigmatisierung und Pathologisierung von Kindern und Jugendlichen wird dadurch vermieden, dass die Hilfe außerhalb des Gesundheitswesens organisiert ist und primär auf die Unterstützung der Eltern zielt. Probleme oder Konflikte zu haben, ist nicht mit psychischer Krankheit gleichzusetzen. Das ist vor dem Hintergrund der Kritik am neuen DSM-5 von Bedeutung: Ein inflationäres Ansteigen psychischer Erkrankungen aufgrund weiter gefasster Diagnosekriterien ist nicht wünschenswert.
Bedauerlicherweise wurde 2004 die Landesförderung für Erziehungsberatung in Hessen komplett eingestellt. Die fehlenden Gelder werden seitdem von den Kommunen aufgebracht. Mit der Verlagerung von Kompetenzen des Landes auf die Ebene der kommunalen Jugendhilfe und mit der Integration des Landesjugendamtes in das Sozialministerium sind die Anerkennungsrichtlinien des Landes Hessen für Erziehungsberatungsstellen von 1990 ausgesetzt und zu Orientierungshilfen herabgestuft worden: Die Regelteams aus mindestens drei Vollzeitstellen, besetzt nach den Kriterien des multidisziplinären Teams, und die für die vertrauensvolle Beratung so wichtige Trennung von Beratungsstelle und Jugendamt sind nicht immer gewährleistet.
Die Psychotherapeutenkammer Hessen hat ein hohes Interesse am Ausbau eines gut etablierten und funktionierenden Netzes der hessischen Erziehungsberatungsstellen. Hier ist die Möglichkeit zur Prävention vorbildlich gegeben. Die Akzeptanz von Erziehungsberatungsstellen über alle Bevölkerungsgruppen ist groß. Die fachlichen Standards sind hoch, wenngleich nicht in allen Beratungsstellen approbierte Psychotherapeuten tätig sind und eine Tendenz zu erkennen ist, hochqualifizierte Mitarbeiter nach deren Ausscheiden durch kostengünstigere Mitarbeiter zu ersetzen.
Die Forderungen der PTK Hessen sind:
1. Wiederaufnahme der Landesförderung für Erziehungsberatungsstellen
2. Aktualisierung der fachlichen Standards der Anerkennungsrichtlinien unter Beteiligung der Landesarbeitsgemeinschaft Erziehungsberatung und der Psychotherapeutenkammer
3. Verbindliche Regelungen für hessische Erziehungsberatungsstellen auf qualitativ hohem Niveau und unter regelhafter Einbeziehung von Psychotherapeuten als Berufsgruppe im Regelteam