J. Grebe: Zweifellos ist das Verlangen nach Stabilität und Sicherheit in vielen Regionen vorhanden. Gleichzeitig ist die Bereitschaft Deutschlands sich international militärisch zu engagieren gehemmt - wie es das Grundgesetz ja auch vorsieht. Daher mag es verlockend sein, Staaten mit Rüstungsgütern und Kriegsgerät auszustatten, damit diese Länder wiederum für Stabilität sorgen oder gar für militärische Interventionen befähigt werden. Eine solche Politik greift jedoch zu kurz und verkennt die Risiken, die mit dem Export von Kriegswaffen einhergehen. Ein aktuelles Beispiel wäre der mögliche Verkauf von Boxer-Radpanzern nach Saudi-Arabien.
Menschrechte untergeordnet
Wenn Rüstungsexporte ein Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik werden sollen, basiert dies auf einem Trugschluss - nämlich, dass der Export von Kriegsgeräten auf Dauer Stabilität schaffen könnte. Denn Kriegswaffen sind langlebige Güter und keiner kann voraus sagen, welches Regime in ein oder zwei Jahrzehnten an der Macht ist. Wenn dann sogar mit Hilfe deutscher Technologie eine eigene Rüstungsindustrie in den Empfängerländern aufgebaut wird, geht langfristig die Kontrolle verloren. Hier besteht durchaus die Gefahr, dass es zu einer veränderten Gewichtung der Kriterien für Rüstungsexporte kommt und in Zukunft Fragen der Menschenrechte außen- und sicherheitspolitischen Interessen untergeordnet werden.
M. von Boemcken: Ich möchte diesen Aspekt noch um Folgendes ergänzen. Zunächst finde ich es gut, dass die Bundesregierung endlich damit beginnt, ihre oft lasche Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten mit politischen Argumenten zu unterfüttern. In der Vergangenheit hat sie sich da zurückgehalten, was wiederum den Verdacht nährte, Rüstungsexportpolitik ziele ausschließlich auf die Förderung der heimischen Rüstungsindustrie ab. Tatsächlich klingt die Idee der "Ertüchtigung statt Einmischung" auf den ersten Blick ja ganz plausibel. Der Globale Militarisierungsindex (GMI) des BICC zeigt, dass die staatlichen Sicherheitskräfte vieler sogenannten "fragilen" Staaten unverhältnismäßig schwach sind, also kaum dazu in der Lage, ein Gewaltmonopol effektiv durchzusetzen. Man könnte also meinen, dass Unterstützung bei der Ausrüstung von Sicherheitsstrukturen - auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten - durchaus geboten ist.
Stabilität durch Wettrüsten
Auf den zweiten Blick stellt sich die Sache aber sehr viel komplizierter dar, als es die neue Formel "Ertüchtigung statt Einmischung" vielleicht suggeriert. Man muss darüber nachdenken, ob beispielsweise die Regierung Angolas aus Deutschland gelieferte Waffen auch wirklich dazu gebrauchen würde, die menschliche Sicherheit ihrer Bevölkerung zu gewährleisten - oder ob sie nicht vielleicht ganz andere Ziele damit verfolgt. Im Falle der möglichen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien stellt sich wiederum die Frage, ob dies denn wirklich die "regionale Stabilität" erhöhen würde - wie von der Bundesregierung behauptet. Wir haben am BICC erst kürzlich darauf hingewiesen, dass der Nahe und Mittlere Osten die am stärksten militarisierte Region der Welt bleibt. Stabilität durch Wettrüsten? Über diese Fragen muss man jetzt diskutieren, eben auch im Kontext der deutschen Rüstungsexportpolitik - und hier ist insbesondere die deutsche Friedens- und Konfliktforschung angesprochen.
Paradigmenwechsel im Rüstungsexport
Minister de Maizière spricht von einer Erweiterung von Märkten und Absatzchancen von Waffensystemen und Technologie. Wörtlich sagt er: "Da muss vielmehr die deutsche Industrie und nicht zuvorderst die Bundesregierung entscheiden, ob sie das für richtig hält." Deutet sich hier ein Paradigmenwechsel in Bezug auf die deutsche Rüstungsexportpolitik an?
M. von Boemcken: Die Aussage des Bundesverteidigungsministers im Spiegel, dass Entscheidungen über bestimmte Rüstungsgeschäfte bei der Industrie und "nicht zuvorderst" der Bundesregierung liegen sollten, halte ich für sehr problematisch. Im Friedensgutachten 2012 haben Bernhard Moltmann (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) und ich darauf hingewiesen, dass der grundgesetzlich festgeschriebene "Primat der Politik" bei Rüstungsexporten verloren zu gehen droht.
Heißbegehrte Ware
Dieses Primat gilt selbstverständlich nicht nur für die Ausfuhren von in Deutschland hergestellten Kriegswaffen; es hat ebenso für rüstungspolitisch relevante Technologietransfers, Lizenzvergaben und Komponentenlieferungen zu gelten. Darüber hinaus müssen wir eine Debatte darüber führen, ob nicht auch die Exporte vermeintlich "ziviler" Überwachungs- und Sicherheitstechnologien einer stärkeren staatlichen Regulierung bedürfen. Gerade in autokratischen und repressiven Ländern sind diese Produkte heißbegehrte Ware. Unter menschenrechtlichen und friedensethischen Gesichtspunkten könnten solche Lieferungen potenziell ebenso problematisch sein wie der Export von Kampfpanzern und Maschinenpistolen.
Partner in Europa "düpieren"
Der Bundesverteidigungsminister verweist auf Rüstungsgüter oder Waffensysteme, die gemeinsam in Europa entwickelt wurden. Ein "Nein" zum Export könne die Partner in Europa "düpieren". Sind die Mechanismen der EU-Rüstungsexportkontrolle, die bestimmte Kriterien wie z.B. die Menschenrechtslage im Empfängerland berücksichtigen soll, so schwach?
J. Grebe: Im Kern geht es nur am Rande um den Export von Rüstungsgütern oder Kriegswaffen an EU- oder NATO-Staaten. Problematisch ist vielmehr der Export von Kriegswaffen an Staaten, in denen es Menschenrechtsverletzungen gibt, in denen Konflikte herrschen oder die sich in einem Spannungsgebiet befinden. Angesichts jüngster Entwicklungen in Bezug auf den innereuropäischen Rüstungshandel, einer Europäisierung der Rüstungsindustrie und einer Vielzahl von Kooperationsprojekten ist es notwendig, das europäische Rüstungsexportkontrollregime zu stärken, um den Export aus Europa in Drittstaaten einheitlich zu kontrollieren. Kriterien und Mechanismen für die Kontrolle des Rüstungsexportes sind dafür durchaus vorhanden. Zu diesen acht Kriterien gehören u.a., ob gegen das Empfängerland ein Waffenembargo besteht, wie Menschenrechte geachtet werden, ob innere Konflikte bestehen, wie stabil Frieden und Sicherheit regional sind und schließlich, ob ein Missverhältnis zwischen Militärausgaben und Entwicklung existiert.
Nationale Verantwortung
Schwachpunkte einer effektiven und restriktiven Rüstungsexportkontrolle auf europäischer Ebene sind vor allem die unterschiedliche Implementierung des EU-Gemeinsamen Standpunktes in den EU-Mitgliedsstaaten und die Interpretationsfähigkeit der Kriterien. Mit der jüngsten Überprüfung des europäischen Regelwerks war die Hoffnung verbunden, dass sich die Staaten auf eine einheitlichere und verbindlichere Anwendung der Kriterien einigen. Diese Hoffnung hat sich nur teilweise bestätigt. Nach wie vor ist die Rüstungsexportpolitik in nationaler Verantwortung.