Mehr bedeutet nicht besser
Viele Menschen haben das Gefühl, sich in einer Abwärtsspirale zu befinden. In Ländern wie Deutschland oder auch Amerika sinkt die persönliche Lebenszufriedenheit. Sie stagniert seit den 70er Jahren - trotz eines hohen materiellen Wohlstands mit einem Besitz zwischen 6.000 bis 7.000 Dingen. Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass "mehr" nicht gleichbedeutend ist mit "besser", und dass das kapitalistische System eine Sättigungszone erreicht hat. Die aktuelle Finanz- und Euro-Krise sind Ausdruck davon.
Krise führt zu Innovation
Die Annahme, dass es jetzt nur noch abwärts gehen könne, ist jedoch falsch: Krisen setzen Gesellschaften unter Innovationsdruck und können zu einer grundlegenden Erneuerung führen. Als Beispiel hierfür werfen die Autoren einen Blick nach Japan. Eine stagnierende Wirtschaft mit einer hohen Exportabhängigkeit sowie die alternde Bevölkerungsstruktur und eine anscheinend reformresistente Politik müssten theoretisch ein ökonomisches Desaster hervorrufen - tun es aber nicht. Denn die japanische Gesellschaft hat sich strukturell modernisiert:
- Work-Life-Balance: Es wird Abstand von der Überstundenkultur genommen und der Tod durch Überarbeitung, "Karoshi", wird seltener.
- Arbeit im Alter: Flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen den Arbeitnehmern ganz andere Perspektiven im Alter, z. B. durch kluge Mentorenkonzepte.
- Gesundheit: Hohe Eigenverantwortung in Verbindung mit den Ressourcen der Zivilgesellschaft führen zu einer hohen Lebensqualität im Alter.
Die Japaner sind heute im Schnitt glücklicher als in Zeiten des Booms. Das Beispiel zeigt, dass eine Schrumpfung der Ökonomie dann zum kulturellen Vorteil werden kann, wenn eine andere Vorstellung von Lebensqualität entwickelt wird: etwa im Rahmen von "Lebensglück"-Indizes, die das Bruttosozialprodukt als Wohlstandskriterium ersetzen. Die Vorstellung, dass ökonomische Stagnation mit Verteilungskämpfen und sozialen Verfall einhergeht, ist also nicht folgerichtig.
Falsche Annahmen durch Gegenwarts-Eitelkeit
Die Annahme, dass sich die Gesellschaft in einer Abwärtsspirale befindet, ist historisch nicht ungewöhnlich. In vielen Epochen haben sich die Menschen vorgestellt, in einer "Gipfelzeit" zu leben, an einem Scheitelpunkt zu stehen. Es handelt sich dabei um eine kulturhistorische Konstante, die man als "Gegenwarts-Eitelkeit" begreifen kann. Wer möchte schon in einer langweiligen Zeit leben? So verändert sich die Welt seit jeher angeblich immer schneller. Und die Folgen sind seit jeher immer schlimmer. Doch meist erweisen sich die Befürchtungen und Prognosen aufgrund irriger Annahmen als haltlos:
- Falsche Linearitäten werden aufgestellt: Bestimmte Entwicklungen werden de-kontextualisiert und einseitig nur als Steigerungs- oder Schrumpfungsphänomene wahrgenommen.
- Unterkomplexe Betrachtungen werden vorgenommen: Jede Entwicklung, die einen Höhepunkt überschreitet, löst irgendwann einen neuen Zyklus aus.
- Unbewusste Schuldkonstrukte brechen durch: Menschen neigen in Kultursystemen zu der Annahme, dass Wohlstand und Stabilität unverdiente Ausnahmesituationen sind.
Wir leben heute zwar tatsächlich in einer "Peak Time", in einer Gipfelzeit des industriellen Verbrauchs, des menschlichen Zugriffs auf die Natur. Doch viele dieser "Gipfel" haben eine positive Wendung eingeschlagen, z.B. die zunehmende Abkopplung des Energieverbrauchs vom Bruttosozialprodukt in den westlichen Industrienationen. Die Autoren kommen daher zu folgendem Schluss: "So wie John Maynard Keynes in der Weltwirtschaftskrise 1928 bereits kommende Epochen eines neuen Wohlstands voraussah, können wir als Zeitgenossen der ,Peak Time' auch andere Lösungen und Lebensweisen antizipieren."