Subsidiarität und individuelle Identität sind das Ziel
Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig: Die auf 27 Mitgliedstaaten gewachsene Europäische Union und die damit entstandenen neuen Herausforderungen machten den Reformvertrag notwendig. "Der neue EU-Vertrag ist eine sinnvolle Anpassung an die jetzige Situation", betonte Ursula Plassnik und strich auch hervor, dass es sich dabei um das erste gemeinsame Projekt der EU-27 handelt. Das Ziel, die Europäische Union transparenter und handlungsfähiger zu machen, sei in einem ersten Schritt erreicht worden. "Wir wollen kein zentralistisches Monster schaffen. Mit dem Vertrag von Lissabon geht es genau in die gegenteilige Richtung: Subsidiarität und individuelle Identität werden gefördert", so Plassnik. Denn vor allem die Anerkennung der kleineren Einheiten und die Stärkung der Regionen sei besonders wichtig und genau diese Punkte seien im Reformvertrag verankert: "Vielfalt ist eine Kraftquelle, die aber durch entsprechende Rahmenbedingungen gemanagt werden muss." Dem stimmte auch Generaldirektor Ludwig Scharinger zu: "Wir wünschen uns kein zentralisiertes, sondern ein subsidiäres Europa, in dem sich die verschiedenen Regionen gegenseitig ergänzen." Aber wie bei allen Verträgen gehe es laut Scharinger auch darum, wie der Inhalt von den Vertragspartnern gelebt werde. Denn: "Ein Vertrag zwischen 27 Staaten ist immer ein Kompromiss." Vom Vertrag von Lissabon erhofft sich der Generaldirektor in Zukunft auch ein verstärktes gemeinsames Auftreten der Europäischen Union nach außen. "Für die Wirtschaft ist der Vertrag von Lissabon ein wichtiger Baustein. Eine EU, die handlungsfähig und offen ist, ist in unser aller Interesse. Die Wirtschaft sieht den EU-Vertrag als Fitnessprogramm für die EU", erläuterte der Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, Haindl-Grutsch, die Haltung der Wirtschaft.
Aufnahmefähigkeit muss genau geprüft werden
Für Ursula Plassnik geht es in der Erweiterungsfrage vor allem auch darum, das neue Europa für die Menschen greifbar zu machen: "Neben der Politik muss auch die Bevölkerung für einen Beitritt in die Europäische Union bereit sein". Die Wirtschaft sieht Scharinger hier als wichtigen Vorboten: "Wir müssen das Gemeinsame suchen und zusammenarbeiten. Es muss das Bewusstsein geschärft werden, dass sich Europa im internationalen Vergleich rasch entwickeln muss." Heute gehe es um eine Auseinandersetzung der Kontinente, wo die EU eine starke Position einnehmen müsse, ist Scharinger überzeugt. Zumal bei der Konjunkturentwicklung zurzeit ein Paradigmenwechsel stattfinde, wo die Konjunktur nicht mehr von den USA, sondern von Russland und vor allem vom China und Indien getragen werde.
"Wir haben heutzutage in einem globalen Umfeld Themen wie Sicherheit, Energie und Bildung, die ein einzelner Staat gar nicht mehr bewerkstelligen kann", stimmte Universitätsprofessor Friedrich Roithmayr zu. Scharinger: "Aber ein Beitritt muss auch administrierbar sein und der politische und wirtschaftliche Wille muss auch in der Bevölkerung Niederschlag finden."
Als nächstes Beitrittsland sieht Plassnik ganz klar Kroatien: "2008 soll der entsprechende Schub für den Beitritt kommen, auch wenn sich Kroatien noch auf verschiedenen Ebenen wie Justiz oder Rechtstaatlichkeit sehr anstrengen muss." Die Aufnahmefähigkeit spiele auch bei der Türkei noch eine große Rolle. Denn die Türkei habe noch großen internen Klärungsbedarf. Daher sei die österreichische Position, mit der Türkei "ergebnisoffene Verhandlungen zu führen", eine sehr haltbare gewesen, so Plassnik.
"Aus Sicht der Industrie ist die Türkei natürlich ein interessanter Markt, weil es sich um einen sehr großen Markt handelt", sagte der Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, Joachim Haindl-Grutsch.
Dialog der Kulturen fördert die EU als Friedensprojekt
Bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union müsse auch der Dialog der Kulturen im Vordergrund stehen: "Die EU ist nicht zuletzt auch ein Friedensprojekt und wir können uns glücklich schätzen, ein Teil davon zu sein. Europa ist aber kein Fertigteilhaus, sondern ein Bauwerk, an dem wir täglich mitarbeiten müssen", so die Bundesministerin. In zahlreichen Projekten werde hier sehr viel getan. Das sieht auch Universitätsprofessor Friedrich Roithmayr so und strich gleichzeitig die wichtige Rolle der Universitäten hervor: "Es geht auch um die Integrationsweite und die Integrationstiefe. Die Universitäten haben hier den Auftrag einen kulturellen Beitrag zu leisten, z.B. durch den Austausch von Studenten."