"Die Frauen auf dem Straßenstrich stehen unter großem Wettbewerbsdruck, was sicher die Bereitschaft erhöht, sich auch auf riskante Sexpraktiken einzulassen", sagte Marlene Graf vom Team Prävention und Gesundheitsförderung der Region Hannover. Durch die Kampagne soll einerseits bei den Kunden von Prostituierten ein Bewusstsein für Risikoverhalten geweckt und gleichzeitig das Selbstbewusstsein der Sexarbeiterinnen auf dem Straßenstrich gestärkt werden. "Unser Interesse ist, mit der Aktion Männer zu verantwortungsbewusstem Sexualverhalten zu motivieren, um sich, ihr privates Umfeld oder alle anderen Sexpartnerinnen vor gesundheitlichen Risiken zu schützen", sagte die Teamleiterin bei der Vorstellung der Initiative am Dienstag in Hannover.
Ausgangspunkt der Initiative ist die Anlaufstelle Nachtschicht in der Brüderstraße in der hannoverschen Innenstadt. Zwei verschiedene Träger betreuen den ehemaligen Laden am Rande des Sperrbezirkes für Straßenprostitution: der Verein Phoenix mit seinen beiden Projekten, "Phoenix - Beratungsstelle für Prostituierte" und "La Strada - Anlauf- und Beratungsstelle für drogenabhängige Mädchen und Frauen" sowie der AIDS- & STD-Beratungsstelle der Region Hannover. Fünf Mal in der Woche, von 20.30 Uhr bis 23.30 Uhr, haben die Sozialarbeiterinnen ein offenes Ohr für die Anliegen der Prostituierten, unterstützen bei persönlichen Krisen, vermitteln in weitergehende Beratung. Der Raum dient den anschaffenden Frauen aber auch als Ort des Austauschs, als Ruhe- und Schutzraum, um sich vorübergehend aus dem Straßenmilieu zurückziehen zu können. Männern ist der Zutritt verboten.
Sex ohne Kondom sei nahezu jeden Abend Thema im Nachtschicht, sagte Dorothee Türnau von "Phoenix". "Manche sind einfach genervt, weil sehr viele Kunden danach fragen, andere sind verärgert, weil sie vermuten, dass sich andere Kolleginnen darauf einlassen", so die Sozialpädagogin. Aus dem Wunsch der Prostituierten, etwas an die Freier weitergeben zu können, sei die Idee der Postkarte entstanden. "Vor allem für Frauen, die kein deutsch sprechen, ist die Karte ein gutes Hilfsmittel, um sich unmissverständlich auszudrücken."
Mehr als die Hälfte der Frauen auf dem hannoverschen Straßenstrich hat einen Migrationshintergrund, ein großer Anteil stammt aus Bulgarien und anderen osteuropäischen EU-Ländern. Deshalb werden - so oft es geht - Sprachmittlerinnen oder Sozialarbeiterinnen mit entsprechenden Sprachkenntnissen eingesetzt, um Prostituierte über Arbeitssicherheit oder sexuell übertragbare Krankheiten zu informieren. Vor und nach den Öffnungszeiten des Nachtschicht werden zusätzlich die Frauen aufgesucht und angesprochen, die nicht den Weg in die Anlaufstelle finden. Im vergangenen Jahr wurden im Schnitt 30 bis 40 Prostituierte pro Abend erreicht - ein Erfolg, sagt Cora Funk von "La Strada": "Die Mischung aus niedrigschwelliger Anlaufstelle und Streetwork hat sich als effektiv und sinnvoll erwiesen, um auf die besonderen Anforderungen des Milieus reagieren zu können", so Funk.
Das Nachtschicht in der Brüderstraße wurde im Mai 2009 bezogen. Die feste Anlaufstelle ersetzt einen Beratungscontainer, der in Folge der Verdichtung der Sperrbezirksregelung Ende 2005 am Straßenstrich eingerichtet wurde. Das Nachtschicht verfügt über einen großen Raum, der als Cafébereich genutzt wird. Neben der Möglichkeit des Austauschs werden in begrenztem Umfang auch Arbeitsmaterialien wie Kondome und Gleitgel ausgegeben, um mit den Frauen ins Gespräch zu kommen. Außerdem besteht die Möglichkeit, Spritzen zu tauschen. Die Mietkosten für die neue Anlaufstelle werden von der Landeshauptstadt Hannover getragen.
Das Projekt wird gemeinsam vom Verein Phoenix mit seinen beiden Projekten Phoenix - Beratungsstelle für Prostituierte, La Strada - Anlauf- und Beratungsstelle für drogenabhängige Mädchen und Frauen und der Region Hannover getragen.
Bildunterschrift
Präsentierten in der Anlaufstelle Nachtschicht am hannoverschen Straßenstrich die Safer-Sex-Initiative: Dorothee Türnau von "Phoenix - Beratungsstelle für Prostituierte", Cora Funk von "La Strada - Anlauf- und Beratungsstelle für drogenabhängige Mädchen" und Marlene Graf, Leiterin des Teams Prävention und Gesundheitsförderung der Region Hannover (von links nach rechts).