Ausgangspunkt des Projekts war die Restaurierung des Winterthurer Gemäldes, die das Museum Bruno Heimberg anvertraut hat und die 2006/07 im Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München ausgeführt werden konnte. Die Ausstellung dokumentiert zusammenfassend deren Ergebnisse sowie die technischen Untersuchungen, die das Doerner Institut aus diesem Anlass durchgeführt hat, und vermag dadurch so manches Geheimnis der Malerei und der Arbeitsweise dieses Meisters preiszugeben.
Geertgen lebte bei den Johannitern in Haarlem, woher er seinen Namen «tot Sint Jans» erhielt. Er starb wohl schon mit 28 Jahren und wird von 1480/85 bis 1490/95, also nur während einer Dekade, als Maler tätig gewesen sein. Da die Künstler vor der Renaissance ihre Werke selten signiert haben, ist deren Identifizierung einzig durch schriftliche Dokumente möglich. Für Geertgen ist auf diese Weise lediglich ein Werk bezeugt, nämlich die Aussen- und Innenseite eines Flügels vom Hauptaltarretabel der Haarlemer Johanniterkirche, der sich heute im Kunsthistorischen Museum Wien befindet. Diese beiden reifen, souverän konzipierten und meisterhaft ausgeführten Gemälde, die der Maler in seinen letzten Lebensjahren geschaffen haben dürfte, setzen den Massstab für jede Zuschreibung weiterer Werke an Geertgen.
Vor diesem Hintergrund konnten die beiden Kenner der altniederländischen Malerei, Stephan Kemperdick (Konservator Alter Meister im Kunstmuseum Basel) und Jochen Sander (Leiter der Gemäldeabteilung Niederländische und Italienische Malerei vor 1150 im Städel Museum in Frankfurt am Main), denen das Museum die kunsthistorische Auswertung der Befunde und Entdeckungen aus der Restaurierung der Römerholz-Tafel anvertraut hatte, eine neue, sehr überzeugende Chronologie der vier genannten mit Geertgen in Zusammenhang stehenden Anbetungsdarstellungen erarbeiten. Sie geht aus Verknüpfungen und Unterschieden in der Darstellungsweise hervor, die auch in der Ausstellung durch die direkte Gegenüberstellung fast aller dieser Gemälde klar zu erkennen sind: So zeigt die Winterthurer Anbetung zwar grosse Ähnlichkeiten mit der Prager Anbetung (um 1490) und insbesondere mit derjenigen in Cleveland (um 1490), dennoch unterscheidet sie sich von diesen beiden Hauptwerken Geertgens so sehr, dass sie von einer eigenständigen Künstlerpersönlichkeit stammen muss. Dies zeigt auch der Vergleich der Winterthurer Anbetung mit der Madonna mit Kind aus Mailand (um 1490), die für den Stil Geertgens sehr charakteristisch ist. Thematisch steht sie dem Winterthurer Werk näher als die Hauptwerke Geertgens in Wien und wurde deshalb auch für die Ausstellung als Exponat ausgewählt.
Der Meister der Winterthurer Anbetung könnte bei Geertgen gelernt haben, hat aber das Werk wahrscheinlich erst nach dessen Tod geschaffen. Solch eine Datierung des Gemäldes um 1495 bestätigt auch die naturwissenschaftliche Bestimmung seines Alters, die dendrochronologische Untersuchung des Holzträgers und seiner Jahrringe. Zugleich zeigt sich, wie positiv diese neue Zuweisung zu bewerten ist. Sie hebt einerseits die Eigenheiten des altniederländischen Gemäldes hervor, anderseits ermöglicht sie es, das eigene Schaffen Geertgens klarer zu umreissen und seine Wirkung auf die nächste Generation zu ermessen.
Die Verdeutlichung dieser Zusammenhänge, die eine Konzentration auf wenige und sehr verwandte Werke erlaubt, eröffnet nicht nur dem Fachmann neue Perspektiven, sondern lässt jeden Betrachter an der Faszination der kunsthistorischen Suche nach Klarheit und Authentizität teilhaben. Die für die niederländische Malerei typische wirklichkeitsnahe und detailfreudige Darstellung des biblischen Geschehens auf den drei Anbetungen lädt darüber hinaus den Besucher zur intensiven Auseinandersetzung mit den Gemälden und zum Mitfühlen ein. Der Dialog zwischen den verschiedenen Anbetungen sowie die farbige und leuchtende Pracht der Gewänder und Goldschmiedearbeiten der Heiligen Drei Könige vermitteln nicht zuletzt auch eine besonders reizvolle vorweihnächtliche und weihnächtliche Stimmung, die durch ein entsprechendes Begleitprogramm im Römerholz unterstreichen wird.
Im reich illustrierten Katalog, der in deutscher und in englischer Sprache beim Hirmer Verlag München erscheint, werden die neuen Resultate eingehend erörtert.