Die Arbeit beherrscht schon lange das Leben von Heinrich S. Sie hat sich so langsam eingeschlichen und breit gemacht, dass der Versicherungsfachwirt gar nicht genau sagen kann, wie alles begonnen hat. Erst als kein Feierabend, kein Wochenende und auch kein Urlaub ohne Akten, Handy und Laptop mehr möglich waren, lies er sich von seiner Frau überzeugen, dass er Hilfe bräuchte.
Nun sitzt der Familienvater vor dem Mentaltrainer und Coach und schildert seine Situation: "Anfangs fand ich es toll, dass meine Arbeit so spannend war und die Kunden meine Beratung so schätzten. Ich fand im Job die Anerkennung, die ich in meinem Elternhaus nie erfahren habe. Irgendwann hat sich dann alles verselbständigt. Die Kollegen brauchten meine Unterstützung und mein Chef war längere Zeit krank. Da keimte in mir so der Gedanke, dass ich vielleicht sogar seine Stelle einnehmen könnte, wenn er ganz ausfällt. Da legte ich mich noch mehr ins Zeug." Was Außenstehende längst erkannt hatten, viel Heinnrich S. Nicht auf: Er war arbeitssüchtig.
Arbeitssucht - einen Erkrankung, deren genaue Definition schwierig ist. Professor Holger Heide, der an der Universität in Bremen zu diesem Thema lange geforscht hat, meint dazu: "Das ist nicht einfach nur eine Frage von viel Arbeit, sondern vor allem eine ausgeprägte Leistungs- und Erfolgsfixierung."
So auch bei Heinrich s. In der Arbeit mit seinem Coach wird ihm klar, dass seine Motivation, sein sich antreiben lassen, die Sucht nach Anerkennung ist. "Diese ist", so sagt Coach Joachim Seelmann, "familiensystemisch gesehen meist in der Kindheit begründet. Das Kind hat die Liebe, oder das, was es als geliebt werden betrachtet, erst erfahren, wenn es entsprechende Leistung gebracht hat." Auch bei Heinrich s. ist dies überdeutlich erkennbar. Hat er doch selbst geschildert, dass er im Elternhaus keine Anerkennung erfahren hat.
Mit einer Familienaufstellung wird die Thematik für ihn äußerlich sichtbar gemacht. Heinrich S. platziert während eines Familienaufstellungs-Seminares so Stellvertreter für sich und seine Eltern im Raum. Und zwar so, wie er sie in seiner inneren Wahrnehmung, aus Sicht des kleinen Jungen, abgespeichert hat. Die Stellvertreter fühlen sich in ihre Rolle ein und geben ihren Empfindungen und Bewegungsimpulsen Raum. Dabei wird sehr deutlich klar, woran es dem kleinen Heinrich gemangelt hat. Durch Umstellen der Stellvertreter und das Sprechen ritueller Lösungssätze, tritt Entspannung und Heilung ein. Das Familiensystem fühlt sich entlastet und die Liebe kann fließen.
Schon drei Wochen später gelingt es Heinrich S. erstmals, zumindest den Sonntag ohne Heimarbeit zu verbringen. Und seit kurzem lässt er abends das Handy ausgeschaltet. Sätze wie: "Es muss auch mal ohne mich gehen", machen besonders seine Frau sehr glücklich.
Sein Coach, zu dem er nach wie vor einmal wöchentlich geht, meint dazu: "Herr S. ist auf bestem Weg, seiner Arbeitssucht Herr zu werden. Nun gilt es, die Lücken, die durch die fehlende Arbeit entstehen, mit Sinnhaftigkeit zu füllen. Dafür macht Herr S. zur Zeit eine Bestandsaufnahme von Tätigkeiten und Situationen, die ihm Freude bereiten und die nichts mit seiner Arbeit zu tun haben.