Die Form der dysfunktionalen Störungen ist dabei vielfältig. Das reicht vom krankhaften Narzissten, über den manisch-Depressiven, den Passiv-Aggressiven bis zum Gefühlsblinden.
Der krankhafte Narzisst
Die häufigste Form der psychischen Störung in den Chefetagen der Unternehmen ist der krankhafte Narzissmus. Sicherlich ist eine Prise Narzissmus für ein gesundes Selbstwertgefühl nicht schlecht, um die Wechselfälle des Lebens zu meistern. Aber der gestörte oder reaktive Narzisst ist ständig damit beschäftigt, sein mangelndes Selbstwertgefühl aufzubessern. Er versucht, mit Neid, Verachtung und Rachegefühlen schale Triumpfe zu erringen. Er neigt zu einem egoistischen, rücksichtlosen Verhalten. Solche Typen können Unternehmen von innen heraus zerstören.
Woran erkennt man die Störung?
Um jemanden als krankhaften Narzissten zu identifizieren, muss man ihn nur beobachten: Neigt er zu unüberlegten Entscheidungen? Will er sich nach außen stets profilieren? Überzieht er seine Kompetenzen z. B. bei Geschäftsreisen? Nutzt er andere aus? Zeigt er sich erkenntlich, wenn jemand etwas für ihn getan hat? Hält er sich für einzigartig und unfehlbar? Berauscht er sich an Erfolg, Macht und Glanz? Erwartet er eine bevorzugte Behandlung? Ist er stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht?
Dies sind nur einige von vielen Fragen, deren Antworten Aufschluss darüber geben, ob man einen Narzissten vor sich hat.
Am besten lässt sich die narzisstische Störung mit den fünf großen „E“ beschreiben: Egozentrik, Eigensucht, Empfindlichkeit, Empathie, Mangel und Entwertung anderer. Der Narzisst nimmt alles aus der Ich-Perspektive wahr. Sein ganzes Fühlen und Denken ist ausschließlich auf die eigene Person gerichtet. Nur seine Gedanken sind originell, seine Ansichten allein von Interesse, seine Handlungen unvergleichbar.
Was kann der Coach tun?
Narzissten wirken zwar ziemlich selbstbewusst, verbergen aber eine tiefe Verletzlichkeit. Oberste Ziele des Coachings müssen daher sein, das Selbstbewusstsein des Narzissten zu stärken und ihn zu überzeugen, professionelle Hilfe von einem Therapeuten anzunehmen. Dazu muss der Coach viel Einfühlungsvermögen mitbringen, um das Vertrauen der betreffenden Führungskraft zu gewinnen. Vertrauen bildet die Grundlage, um ihn behutsam mit seinem Fehlverhalten zu konfrontieren. Ein erfolgreicher Coach wird dann
versuchen, seinen Klienten zu überzeugen, einen erfahrenen Therapeuten aufzusuchen, der ihn professionell darin unterstützt, sein Selbstvertrauen aufzubauen.
Der manisch Depressive
Ein weiteres psychisches Problem, unter dem manche Führungskräfte leiden, ist die manische Depression oder bipolare Störung. Schon relativ leichte Formen können Karrieren zerstören und Freunde und Kollegen abschrecken.
Woran erkennt man die Störung?
Manisch depressive Menschen kennen keinen emotionalen Mittelweg. Sie lösen durch ihr Verhalten schnell emotionale Flächenbrände aus. Die Leidtragenden sind die Mitarbeiter. Die emotionale Instabilität bricht sich bei manisch depressiven Führungskräften in Form von ungeheurer Energie Bahn, die kaum im Zaum zu halten ist. In Phasen der Euphorie kommt es dabei häufig zu überschnellen (Fehl-) Entscheidungen. Dadurch können sie gefährlich für das Unternehmen werden. In manischen Phasen greifen sie auch schon mal zu Alkohol und Drogen, um den euphorischen Zustand zu intensivieren. Unter den Stimmungsschwankungen leiden nicht nur Mitarbeiter, sondern oft auch die Partnerschaften.
Was kann der Coach tun?
Manisch depressive Menschen haben ein gestörtes Verhältnis zur Realität. Sie realisieren kaum, wie sie sich ihren Mitmenschen gegenüber verhalten und wie sie von ihnen wahrgenommen werden. Die schwierige Aufgabe eines Coaches besteht nun darin, den manisch depressiven Menschen dazu zu bringen, zuzugeben, dass es ein Problem gibt. Wenn diese Menschen ihren Zustand akzeptieren, kann der Coach gemeinsam mit dem Betroffenen und den Menschen aus seinem Umfeld eine neue Struktur schaffen, in der er sicher agieren kann.
Dazu sind vom Coach Einzelgespräche mit Vorgesetzten, Kollegen und ausgewählten Mitarbeitern zu führen. In einem späteren Stadium sollte der Coachee zu den Gesprächen hinzugezogen werden, um zu erkennen, unter welchen seiner Verhaltensweisen seine Kollegen besonders leiden. Auf der Basis dieser Erkenntnis kann der Coach zusammen mit dem Coachee Veränderungen in Angriff nehmen. Zur langfristigen Stabilisierung ist jedoch eine regelmäßige Behandlung bei einem erfahrenen Psychotherapeuten und die Einnahme von Medikamenten und somit die Konsultation eines Arztes erforderlich.
Der Passiv-Aggressive
Die passiv-aggressive oder negativistische Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch negativistische Einstellungen und passiven Widerstand gegenüber Anregungen und Leistungsanforderungen von außen. Passiv-aggressive Menschen verhalten sich nach außen hin sehr entgegenkommend. Unterschwellig schießen sie aber häufig quer, indem sie sich feindselig, zynisch und stur stellen und die Vorschläge ihrer Kollegen ablehnen.
Woran erkennt man die Störung?
Nach außen hin stimmen passiv-aggressive Führungskräfte einer Forderung normalerweise zu. Unterschwellig zeigen sie jedoch ihren Ärger darüber, indem sie Termine versäumen und zu spät zu Besprechungen kommen. Immer wieder erfinden sie neue Ausreden und gefährden letztendlich das Erreichen von Zielen. Sie neigen zu Verzögerungstaktiken, Ineffizienz und Vergesslichkeit, um Verpflichtungen aus dem Weg zu gehen. Unter Druck können sie dysfunktional reagieren. Doch wenn sie sich nicht im Stress fühlen, sind sie durchaus zu qualitativ hochwertiger Arbeit in der Lage – das erklärt, warum es einige von ihnen bis in die Führungsriege eines Unternehmens schaffen. Passiv-aggressive
Menschenwirken nach außen kalt, passiv und leicht depressiv. Sie haben häufig ein gestörtes Verhältnis zu Vorgesetzen und Kollegen.
Was kann der Coach tun?
Passiv-aggressive Menschen zu coachen, ist nicht einfach. Damit passiv-aggressive Menschen ihre feindselige Einstellung gegenüber Autoritätspersonen überwinden, übernimmt der Coach die Rolle der Autoritätsperson und lenkt den Zorn des Coachee auf sich. Sie verwirren mit ihren Handlungen Kollegen und bringen ihre Mitmenschen auf die Palme, weil sie ihnen auf subtile Weise zeigen, dass sie sich darüber freuen, wenn sie andere erfolgreich frustriert haben. Für den Coach gilt es, sie immer wieder darin zu unterstützen, ihren Ärger direkter auszudrücken. Wenn es dem Coach gelingt, das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit des Betroffenen zu stärken, ist er auf dem richtigen Weg. Damit der Betroffene aber nicht wieder in alte Gewohnheiten zurückfällt, sollte auch hier ein Psychotherapeut eingeschaltet werden.
Der Gefühlsblinde
Gefühlsblinde können weder Freude noch Trauer empfinden. Sie denken sehr sachlich und nüchtern und zeigen wenig Fantasie. Gefühlsblindheit (Alexithymie) impliziert das Unvermögen oder die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und ausdrücken zu können. Alexithymie geht mit einer verminderten bis hin zu einer fehlenden emotionalen Intelligenz einher. Ihre emotionale Distanziertheit hat einen negativen Einfluss auf die Unternehmenskultur und hemmt die Kreativität und Innovationsfreude der Mitarbeiter.
Woran erkennt man die Störung?
Gefühlsblinde beantworten Fragen rein mechanisch. Sie bleiben immer nüchtern, kalt und sachlich. Durch ihre Zurückhaltung wirken sie desinteressiert und emotional distanziert. Sie können Gefühle nicht richtig verarbeiten und einordnen. Infolge dessen reagiert der Körper bei größerer seelischer Belastung mit Muskelverspannungen, Magen- und Darmbeschwerden, Kopfschmerzen, Unwohlsein und Erschöpfung, Schlafstörungen sowie Herzrasen und Herz-Kreislaufproblemen.
Was kann der Coach tun?
Das Ziel jeden Coachings ist es, dem Coachee zu helfen, allmählich Emotionen zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Das gelingt in zwei Phasen:
Anstehende Probleme lösen
Erstmals gilt es, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Im Kern geht es dann darum, den Coachee für emotionales Verhalten seiner Kollegen und Mitarbeiter, das er nicht versteht, zu sensibilisieren. Hier kann der Coach anregen, sich in einer ähnlichen Situation bei dem Betreffenden zu erkundigen, ob er irgendetwas tun könne.
Den Finger in die Wunde legen
Der Coach sollte seine Wahrnehmung gezielt ausrichten und einfühlsam nach körperlichen Beschwerden und Leiden fragen. Hilfreich ist es, zu hinterfragen, was an dem Tag passiert ist und wodurch seine Beschwerden ausgelöst werden konnten. Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, warum die Symptome aufgetreten sind, wofür sie standen und wie sie in die beschriebene Geschichte hineinpassten. Es dauert seine Zeit, bis Gefühlsblinde den Zusammenhang zwischen physischen Beschwerden und emotional verstörten Ereignissen in ihrem Leben begreifen. Sie zeigen mit der Zeit mehr Gefühlstiefe und erkennen allmählich, dass es ihnen bei der Arbeit weiterhilft, wenn sie eigene Gefühle auch anderen mitteilen.
Verhaltenstherapeutische Methoden wie Bioenergetik und Biofeedback helfen den Gefühlsblinden, mit ihren Emotionen umzugehen und verändern ihre Beziehungen zu Mitmenschen. Damit kommen sie dem Ziel näher, ihre Mitarbeiter zu Spitzenleistungen zu inspirieren, ihre Arbeitsmoral zu verbessern und ihre Abteilung zu einem interessanten Arbeitsplatz zu machen.
Fazit
Führungskräfte, welche die unbewusste und irrationale Seite ihrer Persönlichkeit nicht kennen, sind wie Schiffe, die um einen Eisberg herumsteuern. Sie vergessen dabei, dass die größte Gefahr unter der Oberfläche liegt. Effektive Vorgesetzte verstehen es, Reflexion mit Aktion zu verbinden. Sie lassen sich von ihrer Selbsterkenntnis zur Zurückhaltung mahnen, wenn die Sirenen der Macht zu verlockend klingen. Ein Führungskräfte-Coach kann ihnen dabei helfen, indem er mit ihnen herausarbeitet, wie stark sich unbewusste, scheinbar irrationale Prozesse auf ihr Verhalten auswirken.
Reinhard F. Leiter, Executive Coach bei der SELECTEAM Deutschland GmbH
Reinhard F. Leiter absolvierte nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums Jesuitenkolleg Kalksburg (Wien) ein Betriebswirtschaftsstudium mit den Schwerpunkten Organisationslehre und Personalwesen an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Bei der Bayer Group nahm R.F. Leiter Funktionen als Leiter u.a. der Aus- und Weiterbildung und als Personalleiter (1970 – 1982) wahr. Bei der Allianz AG leitete er das Zentrale Bildungswesen. Diese Aufgaben führten ihn 1999 zu seiner letzten Position als Leiter des Fachbereichs Executive Events der Allianz SE. In den letzten Jahrzehnten war er auf allen fünf Kontinenten in 30 Ländern tätig.
Seine berufliche Orientierung ist durch die Maxime geprägt: „Im Mittelpunkt steht immer der Mensch“. Sie ist von der Überzeugung getragen, dass alle Maßnahmen eines Unternehmens – altbewährte genauso wie neu eingeführte – in ihrer Methodik einer permanenten Überprüfung, Anpassung und Erneuerung bedürfen. So können sie in einer rasant technologisierten Welt wirken und dabei dem Unternehmen und seinen Menschen gerecht bleiben.
Seine Schwerpunkte als Berater und Coach bei SELECTEAM liegen im Bereich Führung, Kommunikation und Executive Events.
Neu-Erscheinung 2017
„Presentation Excellence - A holistic approach“ – Reinhard F. Leiter; Verlag Windmühle Hamburg 2017; ISBN 978-3-86451-039-7