Die Sprache als Wettbewerbs-Hindernis der Rekrutierung
Diese Argumentation wurde nicht zuletzt durch das BAA gefördert. Diese begründete den schwachen Start auf seiner Bewerberplattform u.a. mit einer mangelnden Attraktivität Deutschlands als Arbeitsort, im Vergleich zu den insbesondere angelsächsischen Ländern. Sprach man insbesondere mit Indern, dann waren dort ganz andere Aussagen zu hören: die Wertung Deutschlands als ein technologisch hochrangiges Land, verstärkt durch positive Erfahrungsberichte von schon hier befindlichen Bekannten bzw. Freunden.
Messung der Interessenten nur nach Angaben des BAA
Hinzu kam, dass das Bewerber-Interesse nur an den Angaben des BAA gemessen wurde. Außer Acht gelassen wurden all die konkurrierenden Plattformen, die es gab. Ebenfalls die Tatsache, dass viele große deutsche Firmen mit Niederlassungen in Indien sich die interessanten Kandidaten „in den eigenen Reihen“ aussuchen konnten, wenn sie nicht gleich die Projekte aus Kostengründen nach Indien verlegten.
Deutsche Sprache im Wettbewerb
Eine Wettbewerbs-Situation gab es natürlich: der Umstand, dass in den angelsächsischen Ländern praktisch „muttersprachlich“ gesprochen wurde und ein Einleben erleichterte. Nichts desto trotz: Bei echtem Interesse konnte mit Unterstützung vor Ort in kürzester Zeit eine große Zahl an Bewerbungen mobilisiert werden, so in einem konkreten Fall an die 200 C++-Spezialisten in 24 Stunden.
Bürokratie behindert die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages
Ein Problem blieb: die Bürokratie trotz Greencard-Beschleunigung. Was hilft eine Auswahl vor Ort, wenn dann vier Wochen für die Formulierung des Arbeitsvertrags durch den Firmen-Juristen verloren gehen. In so einem Fall hatten von den bei einer Auswahl vor Ort auf die ersten 5 Plätze gesetzten Kandidaten derweil drei schon in den USA bzw. im UK unterschrieben.
Deutschkenntnisse als vorgeschobenes Auswahl-Kriterium
Zweifellos wurde die Sprachbarriere zur Haupthürde hochgestylt. Dies ist insbesondere in IT-Firmen bemerkenswert, in denen man davon ausgehen konnte, dass die meisten deutschen Mitarbeiter Englisch hinreichend beherrschen, zumal die Arbeitsunterlagen häufig in Englisch verfasst sind. Bemerkenswert war, wenn sogar „muttersprachliche Deutschkenntnisse“ gefordert wurden.
Sprachbarriere vorgeschoben
Tatsächlich war das Argument Sprache wohl überwiegend vorgeschoben, da so sachlich klingend. Dahinter verbarg sich in Wirklichkeit jedoch häufig eine populistische Barriere, die Herr Rüttgers mit der unsäglichen Forderung „Kinder statt Inder“ auf den Punkt brachte.
Das BAA erkannte die Schieflage spät. In einer von der Zeitschrift Capital durchgeführten und vom Arbeitsamt sowie dem BVMW finanziell geförderten Studie wurde „nachgewiesen“, dass jeder Greencardler zur Schaffung von drei(!) Arbeitsplätzen beigetragen, d.h. keinen Verlust von Arbeitsplätzen verursacht, sondern einen Beitrag zur Reduzierung der Arbeitslo- sigkeit geleistet hätte. Von der Sprachbarriere war nicht mehr die Rede, natürlich u.a., weil man sich auf die „Erfolgsstories“ konzentriert hatte. Die Geencard als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: wer hätte das gedacht.
Sprachbarrieren überholt durch neue IT-Technologien
Zwei Entwicklungen sind es, die nun das Thema Sprachbarriere wieder in den Vordergrund rücken: Einmal ist es das immer noch in Bearbeitung befindliche Fachkräfte-Zuwanderungs-gesetz. Hier wird die Sprachbarriere in Form einer Sprachbeherrschung auf mindestens dem internationalen B2-Level festgemacht. Das ist sicher im internationalen Studenten-Austausch, s. Erasmus-Programm, sachlich gerechtfertigt, in dem die Studenten mit den Vorlesungen an der Gast-Universität klarkommen müssen, wie mit der Lektüre bzw, Anfertigung von wissenschaftlichen Arbeiten und nicht zuletzt den Prüfungen.
In einem Unternehmen sieht die Sachlage ganz anders aus. Und hier spielt die neue Entwicklung hinein: die stürmische Entwicklung in der digitalen simultanen Sprachübersetzung.
Die gegenwärtig z.B. unter dem Namen „Translater“ für Preise um die 50 € und mit überzeugenden Videos vertriebenen Geräte ersetzen einen Simultan-Dolmetscher. Mit bis zu 100 Sprachen ermöglichen sie doch - je nach Gerät - eine Verständigung auch in solch exotischen wie Suaheli. Jede Botschaft oder Frage werden in das Gerät diktiert und mehr oder weniger simultan übersetzt. Dies wird akustisch oder auch schriftlich dem Gesprächspartner in seiner Sprache inkl. seiner ihm vertrauten Schrift übermittelt. Er kann dann auf dem gleichen Weg antworten.
Speech to Text erspart Dolmetscher und Schreibkraft
Gar keine Beschaffungskosten entstehen durch die Nutzung des Google Übersetzers auf dem Handy. Hier kann die Aussage hineingetippt oder diktiert werden, je nach App auch mit längeren Texten, wie auch vom Gegenüber. Dazu kann der Inhalt ins Mailsystem exportiert und damit schriftlich dokumentiert und vervielfältigt werden. Nebenbei bemerkt sind diese Apps technisch nicht weit entfernt vom „speech to text“. Sie ersparen so nicht nur den Einsatz eines Dolmetschers, sondern auch den einer Schreibkraft. So entstand auch dieser Text.
Zwei typische Anwendungen liegen auf der Hand. Das betrifft einmal die Rekrutierung von Krankenschwestern und Pflegekräften, deren Bedarf in den nächsten Jahren auf 250.000 geschätzt wird. Auch hier bietet sich Indien wie zur IT-Hype als Pool an, zumal speziell im Bundesland Kerala ein Potential mit christlichem Hintergrund verfügbar ist. In Nord- wie in Süddeutschland führt dagegen der Mangel an insbesondere Küchenpersonal in spürbarem Umfang zur Schließung von Restaurants und damit von Gasthöfen.
Simultan-Übersetzer als Do-it-Yourself-Mittel zur Sprachschulung
So ist die Kommunikation zwischen deutschen Mitarbeitern und ausländischen unter-schiedlicher Nationalitäten bei gutem Willen tatsächlich kein echtes Problem mehr. Der Umgang mit entsprechenden Geräten bzw. mit der angebotenen Textverarbeitungssoftware bedarf keiner Schulung, sondern bietet darüber hinaus die Chance, die eigenen Sprach-Kenntnisse ohne Lexika automatisch „on the job“ laufend zu verbessern.
Natürlich bietet sich die Möglichkeit, im Heimatland die geforderten Sprachkenntnisse an Einrichtungen wie den Goethe-Instituten (in Indien Max-Müller-Institute benannt) zu erwerben. Soweit überhaupt in erreichbarer Nähe zu erreichen oder mit Unterkunfts-Möglichkeiten versehen, bedeuten sie jedoch einen mindestens 3-monatigen Verdienst-ausfall - neben den fälligen Gebühren, zur Greencard-Zeit ca. 300 €. Mir ist aus der Zeit kein Fall bekannt, in dem ein deutscher Arbeitgeber sich bereit erklärt hätte, zumindest die Gebühren zu übernehmen. Dies ist eine Ausgabe, die sich eigentlich schnell amortisiert hätte.
Das derzeitige Verhalten der deutschen Botschaft in Indien, die Vorlage eines B2-Zertifikats zur Bedingung für ein Visum zu machen, erweist sich in Außerachtlassung der aktuellen technologischen Gegebenheiten nicht gerade als hilfreich. In EU-Ländern mit nach wie vor hoher Arbeitslosigkeit unter der jungen Generation wie Griechenland oder Spanien entfällt die Visums-Pflicht. Doch werden die Chancen der digitalen Übersetzung offensichtlich noch nicht erkannt. So wird das B2-Thema, wie eine jüngste Fernseh-Dokumentation in Gesprächen mit jungen arbeitslosen Fachkräften zeigte, nach wie vor als Barriere wahrgenommen.
Dr. Dietrich Fischer
Herr Dr. Fischer ist bei SELECTEAM als Management Consultant für Unternehmensberatung und Personalsuche zuständig. Seine Spezialgebiete sind Bw-Management, Cost-Benefit-Analysen, Umweltverträglichkeit, Planung für die öffentliche Hand, Personal-Verwaltung/–Entwicklung und -Assessment sowie Organisations-Entwicklung.
Herr Dr. Fischer besitzt jahrzehntelange Erfahrung in den Branchen L&R, Rüstung, Krankenhaus- und Gesundheitswesen, Software-Engineering, IT-Sicherheit, Lager-Logistik und Güterverkehr. Er bringt seine Erfahrung aus Start-Ups, eigenen Unternehmen als Geschäftsführer und Aufsichtsrat sowie Projekt-Erfahrung in UK, USA, F, A, CH, IN und IND mit.