„Wir machen unsere Tätigkeit im Archiv öffentlich und zeigen die Strukturen, die hinter einem Museumsbetrieb stehen. Unsere Gäste können erfahren, was die alltägliche Arbeit in unserem Archiv bedeutet und Objekte besichtigen, die wir noch nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben“, erklärt Inge Scholz-Strasser, Direktorin des Sigmund Freud Museums.
Lydia Marinelli, die die Präsentation zusammengestellt hat: „Für die meisten Besucher bleibt das Kernstück des Sigmund Freud Museums unsichtbar – Bibliothek und Archiv. Die Bibliothek stellt das zentrale Wissensdepot des Sigmund Freud Museums dar, die Ausstellung wirft Schlaglichter auf seine Sammeltätigkeit, die in der ständigen Ausstellung, die seit den 70er Jahren großteils unverändert geblieben ist, keinen Niederschlag gefunden hat und eine ganz andere Geschichte der Psychoanalyse zeigt als die in der Schausammlung festgeschriebene.“
Die Präsentation dient dazu, den Besuchern Einblicke in die Back-Stage des Museums zu geben – Lücken in der ständigen Schausammlung werden auf diese Weise geschlossen, aber auch neue sichtbar gemacht. Darüber hinaus stellt sie grundsätzliche Fragen nach der Archivierbarkeit von Wissen und nach Freudschen Zugängen zum Sammeln, Lesen und Dokumentieren. Einerseits war das Vertrauen Freuds in Archive gering: In seiner psychoanalytischen Theorie werden sie vielfach als Orte der Zensur beschrieben. Andererseits ist er selbst zum Gegenstand des öffentlichen Interesses und damit auch zum Sammelobjekt geworden.
Erstausgaben und Korrekturmanuskripte Sigmund Freuds werden ebenso gezeigt wie Arbeiten des Psychoanalytikers Richard Sterba, der in die USA emigrierte und dadurch die Arbeit an seinem „Handbuch der Psychoanalyse“ abbrechen musste. Darüber hinaus sind viele private Fotos und Schriftstücke Anna Freuds, die in jenen Räumen gelebt und analysiert hat, zu sehen.
Papierreste, Korrekturen Ein Teil der Ausstellung wird unter dem Namen „Papierreste, Korrekturen“ Sigmund Freuds Umgang mit seinen eigenen Texten darstellen und Richard Sterbas Arbeit beleuchten – sein Nachlass wurde von der Sigmund Freud Privatstiftung erworben.
Scholz-Strasser: „Unser Team um Kuratorin Lydia Marinelli hat Originaldokumente Sigmund Freuds und Sterbas aus dem Archiv gesammelt, die Einblick in die Entstehung wichtiger psychoanalytischer Arbeiten geben.“
Für Freud waren seine Manuskripte lediglich Arbeitsmittel, Flächen, auf denen Gedanken Form annahmen, ständig korrigiert wurden oder die kurzerhand in den Papierkorb wanderten. Für lange Zeit ging er mit seinen Papieren sehr sorglos um: Das Manuskript der „Traumdeutung“ warf er sofort nach deren Erscheinen weg. Um die Jahrhundertwende entwickelte sich ein Markt für Handschriften, Ende der 20er Jahre tauchte zum ersten Mal eines seiner Manuskripte bei einem Händler auf. Freud reagierte verärgert und kaufte das Manuskript zurück. Seine Papiere bewahrte er von da an sorgfältiger auf.
Die Sigmund Freud Privatstiftung besitzt ein Typoskript des Buches „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ mit handschriftlichen Korrekturen Freuds und ein Exemplar der Erstausgabe mit einer eigenhändigen Widmung an seinen Kollegen Paul Federn.
Richard Sterba (1898-1989) verfasste mit dem „Handwörterbuch der Psychoanalyse“ eine erste Enzyklopädie zu dieser Wissenschaft. Zwischen 1936 und 1937 erschienen fünf Lieferungen von A, wie Abasie, bis G, wie Größenwahn. Obwohl Sterba noch bis zum Buchstaben K Einträge erarbeitet hatte, konnten diese unter dem nationalsozialistischen Regime nicht mehr erscheinen. Sterba entschied sich, zusammen mit seinen jüdischen Kollegen in die USA ins Exil zu gehen, das Wörterbuch blieb Fragment.
Psychoanalytikerinnen, Patientinnen Die Bibliothek des Sigmund Freud Museums geht auf eine Schenkung von Anna Freud, der jüngsten Tochter Sigmund Freuds, zurück. Besonderen Wert legte sie darauf, dass eine Bibliothek und ein wissenschaftliches Zentrum eingerichtet werden sollten. Sie überließ dem Museum deshalb einen Teil ihrer Bibliothek und rief zu einer Bücherspende unter internationalen Psychoanalytikern auf. Die Materialien, die sie dem Museum schenkte, setzen sich aus Beständen der von ihr geleiteten Hampstead Nursery, aus der Sammlung Storfer, dem ins Exil nach Shanghai geflüchteten Leiter des Internationalen Psychoanalytischen Verlags, und ihren privaten Büchern zusammen.
Die Aneinanderreihung dieser Bücher in ihrem Praxisraum, in dem sie seit den 20er Jahren Psychoanalysen durchführte, ergibt eine Collage zur intellektuellen Biografie Anna Freuds. Marinelli: „Ohne Anna Freud hätten weder Bibliothek noch Museum in Wien eröffnen können. Sie selbst blieb im Museum weitgehend unsichtbar und vollkommen vom Namen ihres Vaters überschattet.“
1923 eröffnete Anna Freud in der Berggasse 19 eine eigene psychoanalytische Praxis, zwei Jahre später begann sie am Lehrinstitut der Wiener Psycho¬analytischen Vereinigung Kurse über Kinderanalyse zu halten. Die Erfahrungen aus ihrer Praxis verarbeitet sie in ihrem ersten Buch „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“ (1927).
Ein Teil der Ausstellung zeigt den Nachlass von Margarethe Trautenegg, geborene Csonka. Vieler Bilder des Archivs sind private Fotografien, in denen sich die lebensgeschichtliche Erfahrung ihrer Besitzer spiegelt. Trautenegg wurde wegen ihrer homosexuellen Neigungen zu Freud geschickt, der in seiner Schrift „Über die Psychogenese eines Falles weiblicher Homosexualität“ (1920) auf sie eingeht und eine sehr liberale Haltung bekundet. Ihre Emigration führte sie durch mehrere Länder, darunter auch Kuba. Mehrere Exponate aus dem Nachlass Eva Rosenfelds (1892-1977) werden gezeigt. 2002 konnte die Sigmund Freud Privatstiftung diesen erwerben, er stellt den größten Nachlass in der Sammlung dar und wurde von Stadt Wien und Bund zu gleichen Teilen finanziert. Eva Rosenfeld war eine enge Vertraute von Anna Freud und gründete gemeinsam mit ihr und Dorothy Burlingham die Hietzing-Schule. In der Ausstellung werden Briefe und Schriftstücke mit persönlicher Widmung Anna Freuds ebenso gezeigt wie eine Notiz von Marlene Dietrich.