Hermann Gmeiner kam am 23. Juni 1919 im kleinen Ort Alberschwende im österreichischen Bundesland Vorarlberg als Sohn einer kinderreichen Bauernfamilie zur Welt. Im Alter von fünf Jahren verlor er seine Mutter. Die ältere Schwester Elsa übernahm die Betreuung der Geschwister. Gemeiner selbst sagte, dass ihn der frühe Tod seiner Mutter - "nichts als Leere dort, wo sie gestanden hatte" - auf die Gründung von SOS-Kinderdorf vorbereitet hätte.
Krieg und Nachkrieg
Gmeiner war im Zweiten Weltkrieg als Soldat der deutschen Wehrmacht in Finnland, Russland und Ungarn im Einsatz. Nach Kriegsende holte er das Abitur nach, begann Medizin zu studieren, engagierte sich aber zeitgleich mehr und mehr in der Jugendarbeit. Das Schicksal der vielen Kriegswaisen und entwurzelten Kinder sowie die herrschenden Zustände in Kinderheimen, Waisenhäusern und so genannten Erziehungsanstalten rührten an seinen eigenen Kindheitserfahrungen und Kriegserlebnissen.
Gegen Kinderheime und Erziehungsanstalten
Aus seiner Sicht konnten die damaligen Fürsorgeeinrichtungen den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen aus schwierigen Familienverhältnissen keineswegs gerecht werden. Sie waren anonym und zumeist autoritär geführt, auf Disziplin und Unterordnung ausgerichtet. Die einzig richtige Antwort auf den Verlust der Herkunftsfamilie sah Gmeiner darin, das Kind in einem Umfeld zu betreuen, das dem einer leiblichen Familie möglichst nahe kommt. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die SOS-Mutter als konstante Bezugsperson. Das Modell des SOS-Kinderdorfes nahm konkrete Formen an.
Das erste SOS-Kinderdorf entsteht
Gemeinsam mit Freunden und Freundinnen gründete Hermann Gmeiner im Jahr 1949 den Verein Societas Socialis (SOS), der später in SOS-Kinderdorf umbenannt wurde. Entgegen massiver Widerstände aus öffentlichen, privaten und kirchlichen Kreisen gelang es Hermann Gmeiner im selben Jahr, den Grundstein für das erste Familienhaus in Imst im österreichischen Bundesland Tirol zu legen. Seine eigenen geringen Ersparnisse steckte er als Grundkapital in dieses Pionierprojekt. Dank unermüdlicher, zunehmend professioneller Mittelbeschaffung und intensivem Bemühen um Solidarität in der Zivilgesellschaft konnten immer mehr Unterstützer gewonnen werden.
Pioniermodell der alternativen Kinderbetreuung
Am 24. Dezember 1950 zogen die ersten fünf Waisenkinder, die kurz zuvor ihre Eltern verloren hatten, mit ihrer SOS-Mutter in Imst ein. 1951 waren es bereits 45 Kinder, die im ersten SOS-Kinderdorf lebten. Sukzessive gelingt es Gmeiner und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, SOS-Kinderdorf als Vorzeigemodell in der außerfamiliären Kinderbetreuung zu etablieren und zu internationalisieren. Es waren vor allem auch starke und selbstbewusste Frauen, die sich in der frühen Phase von SOS-Kinderdorf voll engagierten und Gmeiner zur Seite standen.
Jedes Kind hat ein Recht auf Liebe
Gmeiner ist beseelt und überzeugt davon, dass jedes Kind ein unbedingtes Recht auf Geborgenheit und Zuwendung hat, egal, wo es lebt, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Glauben, seiner Biographie. Eine Gesellschaft, in der verwaiste Kinder im doppelten Sinne verlassen sind und ihre besonderen Bedürfnisse ignoriert werden, kann in seinen Augen nicht gerecht und menschlich sein. Unermüdlich redete er von der universalen Kraft des Miteinanders und der Liebe als Friedensmittel: "Die Welt von morgen wird für uns, glaube ich, nicht gefährlich sein, wenn wir mehr Liebe zueinander haben als heute."
SOS-Kinderdorf wird international
In den 1950er Jahren folgen SOS-Kinderdorf-Vereine und Projekte in Frankreich, Deutschland und Italien. 1960 wird der Dachverband "SOS-Kinderdorf International" gegründet. In den 1960er Jahren schließlich überschreitet SOS-Kinderdorf die Grenzen Europas. Den Anfang machte das SOS-Kinderdorf in Daegu in Südkorea. Zu dessen Finanzierung startete Gmeiner eine für die damalige Zeit innovative Spendenkampagne. Für einen Dollar konnten die Menschen ein Reiskorn kaufen. Die Aktion war ein sensationeller Erfolg.
Gmeiner als Weltreisender
In den Folgejahren werden auch in Afrika und Amerika SOS-Kinderdörfer gegründet. Die sozialen Angebote werden durch Jugendeinrichtungen, Schulen, Kindergärten, Ausbildungszentren, Sozialzentren und medizinische Zentren erweitert. Gmeiner reist unermüdlich um die Welt. Er wirbt und kämpft für die SOS-Kinderdörfer, er bindet die SOS-Kinderdorf-Vereine in ein globales Netzwerk ein, er unterstützt SOS-Mütter und Mitarbeiter und tankt in der direkten Begegnung mit den Kindern Kraft.
Verantwortung für den anderen
Hermann Gmeiner und SOS-Kinderdorf sind eins. Er widmet sich ausschließlich seinem Lebenswerk. Er verhandelt mit Staatspräsidenten und Premierministern, trifft sich mit Königinnen, gewinnt besondere Freunde wie den Dalai Lama. Mehrfach wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert. Doch letztlich ging es ihm immer darum, dass das, was man tut, anderen dient und aus Liebe zum anderen geschieht. In der Art, wie Kinder aufwachsen, kristallisierte sich für ihn die Kardinalfrage jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Kindererziehung = Friedenserziehung
In seinen letzten Lebensjahren beschäftige Gmeiner immer mehr, ob Friede machbar und lebbar ist. Er beobachtete mit zunehmender Sorge die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und mahnte zur Menschlichkeit und zu einem sorgsamen Miteinander. In die SOS-Mütter setzte er seine ganze Hoffnung, denn Friede begann für ihn mit den Kindern.
Gedenkstätte im SOS-Kinderdorf Imst
Gmeiner regelte rechtzeitig seine Nachfolge und übergab das Präsidentenamt 1985 an Helmut Kutin. Als Hermann Gmeiner am 26. April 1986 starb, gab es 233 SOS-Kinderdörfer in 85 Ländern. Seinem Wunsch entsprechend wurde er im SOS-Kinderdorf Imst begraben.