Wer bisher glaubte, die Gehirne aller Menschen, egal welcher Herkunft, funktionierten im Prinzip gleich, muss umdenken. Forschungen der letzten Jahre zeigen nämlich, dass die Hirntätigkeit und damit unser Wahrnehmen, Denken und Fühlen stark von dem kulturellen Umfeld beeinflusst werden. So neigen Menschen im Westen zu zergliederndem, analytischen Denken, während Asiaten eine ganzheitliche Sichtweise auszeichnet.
Den Grund dafür sieht der Psychologe Richard Nisbett von der University of Michigan in Ann Arbor im starken sozialen Zusammenhalt östlicher Kulturkreise. Die Gemeinschaft steht etwa einen Chinesen allgemein über dem Einzelnen. Dagegen würden Menschen im Westen stärker auf Individualismus "gepolt", was deren mentale Vorlieben präge.
Einen möglichen Beleg für diese These lieferte ein Experiment des Forschers Takahiko Masuda von der University of Edmonton (Kanada). Er führte eine Studie zur emotionalen Gesichtserkennung durch, wobei je einer Gruppe von Japanern und Kanadiern comicartige Bilder vorgelegt, auf denen mehrere Kinder im Hintergrund und eines im Vordergrund zu sehen waren. Nun galt es, den Gesichtsausdruck des zentralen Kindes zu bestimmen. Dabei ließen die japanischen Teilnehmer stärker von der Mimik der Kinder im Hintergrund beeinflussen. Die Kanadier dagegen waren nur auf das zentrale Kind fixiert.
Ein weiterer Versuch zeigte, dass Menschen in westlichen Kulturkreisen ein unabhängigeres Selbstbild besitzen, solche aus dem fernen Osten dagegen stärker in Beziehungen zu anderen verstrickt sind. Die Forscherin Ying Zhu von der Universität in Peking ließ Personen aus der chinesischen Hauptstadt sowie aus New York Adjektive danach beurteilen, ob sie auf sich selbst, auf eine andere Person oder auf die eigene Mutter zuträfen. Gleichzeitig registrierte sie die Gehirnaktivitäten der Testkandidaten.
Ergebnis: In den Köpfen der Chinesen waren sehr ähnliche Hirnaktivitäten festzustellen bei Adjektiven, die die eigene Mutter betrafen, wie bei solchen, die auf die Probanden selbst gemünzt waren. Westlern zeigten umgekehrt bei Bewertung eines anderen, fremden Menschen ähnliche Erregungsmuster wie beim "Muttertest". Die Verbindung zur eigenen Mutter scheint in den östlichen Kulturkreisen also bis ins Selbstkonzept hineinzureichen. Laut Georg Northoff sollten Forscher künftig stärker auf das kulturelle Umfeld konzentrieren, da es unser Gehirn stärker verändern könne als man bislang annahm.
Mit diesem Bericht startet das Magazin "Gehirn&Geist" eine neue Serie über "Die 5 größten Rätsel der Hirnforschung". Weitere Themen in den nächsten Ausgaben sind Plastizität, Persönlichkeit, Empathie und Bewusstsein.
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