Warum so viele nicht eingreifen, erläutert Veronika Brandstätter, Professorin für Allgemeine Psychologie an der Universität Zürich, in der aktuellen Ausgabe von Gehirn&Geist. Die meisten Menschen wüssten, wann Hilfe geboten sei, doch oft fehle es an Mut. Der Umfrage zufolge gestehen allerdings nur jeder zehnte Mann und jede sechste Frau ein, dass sie schon einmal aus Angst nicht eingeschritten sind.
Die Bereitschaft zum Eingreifen lässt außerdem nach, je mehr Menschen Zeuge eines Angriffs werden – Psychologen sprechen hier vom "Bystander-Effekt". Besonders selten erhalten jene Menschen Hilfe, die ohnehin zu den Schwächsten der Gesellschaft zählen. Der Psychologe Kai Jonas von der Universität Amsterdam zeigte in einem Experiment: Schon die Aktivierung sozialer Kategorien wie "Obdachloser" bahnt das typische Verhalten im Umgang mit den Betroffenen – wegsehen.
Doch die Bereitschaft, in Notsituationen einzugreifen, lässt sich erfolgreich trainieren. Veronika Brandstätter und ihre Kollegen von der Universität Zürich entwickelten ein solches Trainingsprogramm. Ziel: die Sinne für solche Notsituationen zu schärfen und die Teilnehmer darin zu trainieren, dass sie im Ernstfall ganz automatisch Hilfe leisten.
Zu diesem Zweck üben die Teilnehmer in simulierten Notfallsituationen angemessene Reaktionen ein, zum Beispiel verbales Einschreiten und die Polizei oder andere Zeugen zu Hilfe holen. Ergebnis: Ist das Hilfeverhalten erst einmal gedanklich vorgebahnt, erklärten sich die Teilnehmer eher bereit, im Notfall zu handeln – auch ohne etwaige Vor- und Nachteile lange abzuwägen. Zivilcourage ist also auch eine Frage von Übung.