Alles nur Statistik? Ja und Nein, natürlich betont Mesut Özil: „2006 war ich 17. Das ist aber Vergangenheit.“ Und dennoch sitzt es in den Köpfen. Nicht umsonst gehen die Engländer zu jedem Elfmeterschießen schon mit hängenden Köpfen hin, um dann jedes Mal auszuscheiden. Natürlich hat man dieses Gefühl und diesen Gedanken im Hinterkopf.
Dennoch darf sich Deutschland nicht darauf einlassen, sich nicht verrückt machen lassen. Denn Fakt ist, dass Deutschland haushoher Favorit ist. Die internationalen Wettanbieter sehen das ähnlich. Mit einer durchschnittlichen Siegquote von 1,80 wird das deutlich. Bei einem Sieg der Italiener winkt hingegen ungefähr der 4,70-fache Einsatz und ein Unentschieden bringt rund das 3,40-Fache. (* Quoten Stand 25.6. laut http://www.wettfreunde.net)
Kein Wunder, denn die DFB-Elf hat gerade gegen Griechenland gezeigt, wie dominant man defensiv wie offensiv sein kann und einen bombastischen Eindruck hinterlassen. Gerade Mesut Özil hat, wie vom Bundestrainer Joachim Löw angekündigt, die berühmte Schippe drauflegen können.
Der sieht seine Leistung als Selbstverständlichkeit, auch wenn es ihn naturgemäß freut: „Ich bin sehr glücklich, dass ich das abgerufen habe, was ich kann. Die Mannschaft hat mich unterstützt und darauf bin ich stolz. Wir freuen uns auf das Halbfinale, wir haben das Selbstvertrauen, jede Mannschaft schlagen zu können.“
Also doch keine Panik vor der Squadra Azzurra? Nein, das wäre auch fehl am Platz. Da macht das Sprunggelenk der Nation, jenes von Bastian Schweinsteiger, schon mehr Sorgen. Auch wenn Tormann-Trainer Andi Köpke versucht, zu beruhigen: „Er hat die Probleme intensiv behandeln lassen. Wir gehen alle davon aus, dass er am Donnerstag spielt.“
Auch Mesut Özil, der mit den verbliebenen zehn! Real-Spieler im Turnier in SMS-Kontakt steht, betont die Wichtigkeit des Platzhirsches: „Natürlich brauchen wir Schweinsteiger, er ist Weltklasse und ist ein Führungsspieler. Man hat gegen Holland gesehen, wie wichtig er für die Mannschaft ist. Ich hoffe, dass er rechtzeitig fit wird.“
Um dann selbst noch eine Art Drohung in Richtung Italien loszulassen: „Ich weiß, dass es bei mir noch Luft nach oben gibt und das werde ich gegen Italien auch zeigen“, so das selbstbewusste Auftreten des mit drei Vorlagen „Man of the Match“ gegen Griechenland.
Deutschland gegen Italien wird natürlich auch ein Duell der beiden Ausnahme-Torhüter Gianluigi Buffon und Manuel Neuer. Beide gehören ins weltweite Spitzenfeld auf ihrer Position und haben schon des Öfteren bewiesen, dass sie ihren Teams in entscheidenden Phasen den Rücken Stärken können.
Ob Köpke Neuer für den Stärkeren hält? „Buffon hat große Routine und gehört zu den Besten der Welt. Wir sind aber in der Lage, gegen jeden Torwart Tore zu erzielen. Die Vergleiche sind schwer aufgrund des Altersunterschieds. Diese Vergleiche hinken, es kommt auch auf die Tagesform an. Wir werden schauen, wie wir einen Buffon bezwingen können und Neuer wird am Donnerstag eine Top-Leistung abrufen.“
Soweit also die Ausgangslage. Dazu kommt, dass beide Trainer aus dem Vollen schöpfen können, sollte Schweinsteiger rechtzeitig fit werden. Keiner der Spieler hat sich eine Gelbsperre eingefangen und nun werden die Karten gelöscht, um einem ausgedünnten Finale vorzubeugen.
Auf das sind naturgemäß nun auch die Italiener scharf. Die „Corriere della Sera“ etwa titelt heute: „Jetzt ist Merkel an der Reihe. Italien ist in der Schlacht um Europa bestens aufgestellt.“ Damit haben die Medien im Land des vierfachen Weltmeisters nicht so unrecht.
Denn nach dem Wettskandal und der 0:3-Niederlage gegen Russland vor Beginn des Turniers hatte kein Mensch etwas von der Azzurra erwartet. Doch mit einer starken Leistung beim 1:1 zum Auftakt gegen Spanien fand man schnell in das Turnier, spielte gute Spiele und zog souverän ins Halbfinale ein. Dabei untypisch ist die offensive Gangart der Stiefel-Kicker.
Während früher stets der Catenaccio regierte und man sich mit geordneter Verteidigung zu den Titeln kämpfte, wird nun das Spiel gemacht und ordentlich anzusehender Tempo-Fußball präsentiert. Augenscheinlich war das gegen England: 64 Prozent Ballbesitz, 35 Schussversuche, davon 20 aufs Tor – Statistiken, die eine eindeutige Sprache sprechen.
Eine Art Fußball, die Italien bei seinen Siegen über Deutschland nie spielte. Noch bei der schmerzvollen Niederlage beim Heim-Turnier 2006 ermauerten die Italiener ihren Aufstieg ins Finale. Am Donnerstag besteht nun die Möglichkeit zur Revanche. Mit den deutschen Tugenden soll dabei der Einzug ins Finale der Europameisterschaft sichergestellt werden. Einsatz, Kampf und Laufbereitschaft sollen den Sieg bringen.
Und genau diese Tugenden könnten wirklich den entscheidenden Vorteil bringen. Denn im Gegensatz zu Gegner Italien hat Deutschland zwei Tage mehr Zeit zur Regeneration und zum abermaligen Aufladen der Batterien. Zusätzlich musste das Team von Cesare Prandelli über 120 Minuten plus Elfmeterschießen gehen – die Fitness könnte so zum entscheidenden Faktor werden.
Die Löw-Elf muss also voraussichtlich Geduld aufbringen, die Italiener mürbe spielen und dann zuschlagen. Auch wenn Italien abermals top eingestellt antreten wird, müssen sie früher oder später müde werden. Dazu hat man das bessere Team. Die große Chance also, die man nützen sollte, will man ins Finale. Nun ist es an der Zeit, die großen Spiele zu gewinnen.