Vertrauen in der Medizin heiß diskutiert
In der angeregten Diskussion mit den Experten und Zuschauern ging es um Fragen wie: Warum vertrauen wir den Ärzten? Was wünschen wir uns eigentlich von einem guten Arzt? Können wir unseren inneren Kräften vertrauen? Wie kann eine menschliche Medizin und ein gutes Gesundheitssystem dauerhaft etabliert werden? Und: Welche Patienten braucht das Gesundheitswesen überhaupt? Die Fragen lieferten den Zündstoff für eine couragierte Debatte zu den Herausforderungen der modernen Medizin und die Verantwortlichkeit der Ärzteschaft.
Experten und Laien mit echten Anliegen
Im Zentrum der Veranstaltung standen Kurzvorträge und Plädoyers der Schauspielerin Monika Baumgartner, der Berliner Philosophin Dr. Barbara Strohschein, der Ärztin beim ADAC Dr. Alexa Schmid, des Psychoneuroimmunologen, Arzt und Psychotherapeuten Prof. Dr. Dr. Christian Schubert und des leitenden Redakteurs der Süddeutschen Zeitung, Dr. Werner Bartens. Die inhaltliche Reflektion moderierte der Arzt und Gesundheitspolitiker Dr. Ellis Huber. Als Geschäftsführer der St. Leonhards-Akademie leitet er die Programme zum „Jahr des Vertrauens“.
Zeit für die Patienten als zentrales Thema
Die Schauspielerin Monika Baumgartner und „Filmmutter“ des Bergdoktors (ZDF) berichtete in ihrem Vortrag „Mein Bild von einem guten Arzt“ authentisch und engagiert von Ihrer eigenen Leidensgeschichte mit Fehldiagnosen, Missverständnissen und langen Umwegen: weil Ärzte keine Zeit hatten, den Patienten nicht sehen oder ernst nehmen konnten. Erst nach 15 Jahren ununterbrochener Schmerzen nahm ein besonnener Arzt sich die Zeit, hörte ihr richtig zu und befreite sie aus ihrer Odyssee. Das war vor zwei Jahren – bis heute ist sie komplett schmerzfrei.
Dieses Anliegen nach Zeit, Zuhören und Blick auf den ganzen Menschen unterstützte Dr. Ellis Huber mit Vehemenz. Er engagiert sich seit vierzig Jahre gesundheitspolitisch für eine Medizin mit Menschlichkeit und aktiver Hinwendung zum Patienten. „Es müsse die Zeit des Arztes bezahlt werden, um die Vertrauensebene zwischen den Arzt und Patient zu stärken, anstatt aufwendige technische Diagnostik mit medizinischen Apparaten“ Das Befinden der Menschen sei oft wichtiger als die Befunde.
Diese Erkenntnis bestätigte auch die erste Referentin des Abends, die Autorin und Philosophin Dr. Barbara Strohschein: Die Anerkennung des Menschen, seine Würdigung, das Hinhören und Wahrnehmen seiner Anliegen seitens des Arztes sei für die Bildung einer Vertrauensebene unabdingbar – leider aber heute eine Seltenheit. Sie berichtete aus eigener Erfahrung bei einem Berliner Internisten und Homöopathen und wie wertschätzend sie damals die umfangreiche Anamnese erlebt habe.
Medizin und Menschlichkeit
Im Publikum animierte Moderatorin Annette Schnaitter von Radio39 zur Äußerung von Fragen und Meinungen. So kam als rhetorische Gegenfrage ein Wortbeitrag, ob Frau Dr. Strohschein denn privat oder kassen-versichert sei? Für Private hätten die Ärzte immer Zeit. Privatversicherte und gesetzlich Versicherte bräuchten die gleiche Zeit und Zuwendung meinte Ellis Huber. Es ginge um ein Honorarsystem, das die wirklichen Leistungen der Ärzte honoriert. Dr. Hans Christian Meiser, Programmdirektor von Radio39, erinnerte in seinem Impulsvortrag an das Memento Mori und die Möglichkeit, sein Leben gerade im Bewusstsein der Sterblichkeit zum Guten hin auszurichten. Das gelte auch und gerade für den Themenkomplex „Vertrauen und Medizin.“
Auch die ADAC-Ärztin Dr. Alexa Schmid bemängelte in ihrem Vortrag „Menschlichkeit und medizinischer Alltag“ den enormen Zeit- und Gelddruck in der Medizin und dass Geld und Verwaltung vorrangig vor dem ausführlichen Befassen mit dem Patienten lägen. Ihre ursprüngliche Intension als Medizinerin würde meistens auf der Strecke bleiben, es wäre ein Hetzen von Patient zu Patient, ein Überweisen zu diagnostischen Verfahren anstelle eines ausführlichen Gespräches. Und das sei wirklich traurig.
Als Kontrapunkt dazu gab es einen echauffierten Wortbeitrag einer jungen Münchner Ärztin, die sich wünsche, dass auch der Schulmedizin bei aller Kritik Anerkennung und Vertrauen gegeben werden müsse. Damit das viele Gute, was es bei klassischen Ärzten gäbe, weiterhin anerkannt bleibe und der Fokus auf das Verbindende, nicht auf das Trennende gelegt würde.
Ellis Huber betonte, es ginge um das Verbindung von Heilkunst und Wirtschaft zu einer Medizin der Menschlichkeit, in dem die Schulmedizin ebenso ihren Platz habe wie die Komplementärmedizin, Psychotherapie und Sozialmedizin.
Aufbruch in eine neue Medizin
Damit leitete er über zum Psychosomatiker und Psychoneuroimmunologen Prof. Dr. Dr. Christian Schubert. In seinem Vortrag „Aufbruch in eine neue Medizin“ ging er auf die Bedeutung des psychosozialen Stresses in der modernen Gesellschaft ein und forderte Initiativen zur Gesundheitsbildung und Prävention von Krankheiten. Die Psychoneuroimmunologie belege wissenschaftlich, wie Psyche und Gehirn, Nerven-, Hormon- und Immunsystem bei Gesundheit und Krankheit aufs engste zusammenwirken: „Unser Immunsystem steht in ständiger Wechselwirkung mit unseren Gedanken, unserem Verhalten oder unseren Gefühlen. Chronischer Stress in Beziehungen oder im Job macht uns für Infektionen anfällig, kann unser Leben erheblich verkürzen, ja langfristig zu schweren Leiden wie Krebs und Autoimmunkrankheiten führen. Umgekehrt mobilisieren positive Gedanken oder seelische Ausgeglichenheit und inneres Wohlbefinden unsere Selbstheilungskräfte.“
Auf einer zweiten Aktionsbühne oben auf der Empore des Lovelace führte die Journalistin und Mitinitiatorin der St. Leonhards-Akademie, Ursula Maria Lang M.A., immer wieder Kurz-Interviews mit Besuchern wie beispielsweise mit der Präventologin Manuela Fuckerer. Auch diese wies auf die Bedeutung der inneren Selbstheilungskräfte sowie zahlreiche Möglichkeiten der Eigeninitiative bei der Gesundheitsvorsorge und Burnout-Prävention hin. Eine junge Assistenzärztin, die an der LMU München studiert hatte, begrüßte dankbar diese Art des Forums zum Austausch über Vertrauensbildung und gab den dazu passenden Impuls, dass jeder bei sich selber nachspüren solle, wie er Vertrauen als Arzt oder Patient kultiviere. Wir seien selber dafür verantwortlich unser Umfeld zu gestalten und Vertrauen zu ermöglichen.
Reform des Gesundheitssystems
Den wortgewaltigen Abschluß des Abends bildete der Arzt und Leitende SZ-Redakteur Dr. Werner Bartens. In seinem Vortrag „Menschliche Medizin und ein gutes Gesundheitssystem“ forderte er in der Betrachtung des gesamten Systems von Medizinern, Einrichtungen und Pharmaindustrie einen Blickwechsel. Er entwarf überzeugend einen 10-Punkte-Plan zur Reform des Gesundheitswesens. Dazu gehöre u.a. eine Reformierung des Medizinstudiums, die Stärkung der Hausarzt-Praxis sowie einer ehrlichen Beziehungskultur zwischen Arzt und Patient. Im Fokus stünde eine Medizin des Vertrauens, die körperliche, seelische, soziale und politische Aspekte berücksichtigt und den Wert aufwendiger technischer Diagnostik, der Apparate-Medizin und Pillenverschreibung hinterfragt. Er erinnerte an den Nestor der Psychosomatischen Medizin Thure von Uexküll und seine Theorie wie Praxis der Humanmedizin.
Die Vorständin des Verbandes der Betriebskrankenkassen Sigrid König betonte eindrücklich die Bedeutung der solidarischen Krankenversicherung und forderte ein Umdenken bei Krankenkassen und Medizin auf der Grundlage der Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie. Es wäre an der Zeit für eine Neuorientierung im Denken und Handeln.
Vertrauensbildung als Grundlage
Als Resümee konstatierte Dr. Ellis Huber, dass soziale Geborgenheit und das sich Angenommen fühlen beim Arzt unmittelbare Auswirkungen auf die psycho-emotionale Gesundheit habe. Die Medizin braucht Vertrauen als Grundlage für Heilung und Gesundheit. In dieser Hinsicht müssen das Gesundheitssystem erneuert und die Rahmenbedingungen der Ärzte verändert werden. Das Motto beim „Medizinischen Aschermittwochs“ zeige die Wegmarken: „Vertrauen, Liebe, Gemeinschaft.“
Dies bestätigte auch der Ideengeber des Gesamt-Projektes „Jahr des Vertrauens“, Prof. Dr. Jürgen Wertheimer von der Universität Tübingen. Er sagte in seinem Schluss-Plädoyer: Ohne ein gewisses Maß an Vertrauen können Beziehungen, egal welcher Art, keinerlei Bestand haben. Gerade in der Medizin spiele das eine Schlüsselrolle. Vertrauen müsse aber täglich geübt werden. Es bilde das Grundfundament einer gesunden Gesellschaft. „Wichtig dafür ist ein kämpferisch solidarisierender Auftritt gegen Systemzwang, Hierarchienwahn und Gewinnneurosen als Verhinderer jeder Vertrauenskultur: eine Balance zwischen gesundem Misstrauen und klarsichtigem Vertrauen.“ Das „Jahr des Vertrauens“ realisiert weitere Veranstaltungen zum Thema Vertrauen in unserer Gesellschaft.
Als nächstes folgt das Thema „Vertrauen in die Wirtschaft“ am 3. Mai 2018 in Düsseldorf.
Realisiert werden konnte die Impulsveranstaltung „Vertrauen in die Medizin“ durch Zuwendung der Karl Schlecht Stiftung und großzügigen Spenden der St. Leonhards Unternehmen der Familie Abfalter. Die Vertrauensbildung in Wirtschaft und Gesellschaft ist das zentrale Anliegen des Unternehmers Karl Schlecht. Der Ethik-Referent der Karl Schlecht Stiftung, Dr. Jonathan Keir, erörterte dazu beispielhaft die essentielle Rolle eines vertrauensbildenden Führungsstils auf die psychosoziale Gesundheit der Mitarbeiter. Gleichermaßen sei dies natürlich auch auf die Medizin und die Beziehung zwischen Arzt und Patient zu übertragen. Impulsgebende Veranstaltungen zur Vertrauensbildung seien wichtiges Anliegen der Stiftung und er freue sich über das hohe Interesse und die zahlreichen Besucher beim „Medizinischen Aschermittwoch“ in München.
Weitere Informationen, sowie ein Live-Mitschnitt des „Medizinischen Aschermittwoch“: www.jahr-des-vertrauens.de