Bei den Blättern handelt es sich um Arbeiten, die zu den Höhepunkten der europäischen Graphik des 18. Jahrhunderts zählen. In der Folge wird die gemeinhin bekannte Szene – Joseph und Maria mit dem Jesuskind auf dem Esel - in 24 Blättern variiert. Das unterstreicht nicht nur die Strapazen der Reise, sondern auch den nahezu unerschöpflichen Erfindungsreichtum und die Experimentierfreude des genialen Radierers. Thematisch wie in der Art der Strichführung erweist sich die Serie als meisterlich: Die schwingenden zeichnerischen Kürzel, frei aus der Hand gesetzt, verleihen den Blättern eine flirrende, fast impressionistische Leichtigkeit, die analog zur venezianischen Malerei das Licht einzufangen im Stande ist.
Die Freiburger Blätter stellen darüber hinaus eine kleine kunsthistorische Sensation dar: Sie konnten kürzlich als äußerst seltene Probedrucke von der noch unbeschnittenen Druckplatte identifiziert werden. Ihnen stellt die Ausstellung einige Drucke der ersten Auflage sowie ausgewählte Vorzeichnungen und aus der Serie ausgesonderte Bildvarianten gegenüber. So wird es möglich, dem Künstler bei der Arbeit sozusagen über die Schulter schauen und den oft subtilen Prozess der Bildfindung von der ersten Ideenskizze bis zur auf den Markt gebrachten Auflage nachzuvollziehen.
Das ganze Ausmaß der künstlerischen Erneuerungskraft wird im Vergleich mit der reichen bildlichen Tradition des Themas deutlich: Blätter unter anderem von Martin Schongauer, Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Giovanni Castiglione und Giambattista Tiepolo zeigen, wo Giandomenico absichtvoll andere Wege beschreitet und wo er sich konzeptionell oder auch in Form eines bewussten Zitats an seine Vorgänger anschließt.
Ein abschließender Teil zeigt an Beispielen aus der Sammlung die weite Verbreitung des Themas vom Barock bis ins 19./20. Jahrhundert. Häufig dargestellte, heute wenig geläufige Themen, die zum Teil nur in den nicht anerkannten Evangelien überliefert wurden, sind das Palmwunder, die Speisung durch die Engel, die Ruhe auf der Flucht oder auch der Sturz der Götzenbilder beim Einzug nach Ägypten. Es ist verblüffend zu sehen, welch verschiedene Herangehensweisen an das Thema die Künstler im Lauf der Jahrhunderte entwickeln, um das Thema den jeweiligen Stilstufen und Bedürfnissen anpassen.
In dem Maße, in dem die Landschaft an Gewicht gewinnt und sich im 17. Jahrhundert zunehmend als eigenes Thema verselbstständigt, tritt das Religiöse in den Hintergrund. Dafür stehen Drucke von Giovanni Francesco Grimaldi, Jan Both und Johann Esaias Nilson. Ein besonderes Glanzstück bildet in diesem Zusammenhang die „Ruhe auf der Flucht“ Giambattista Tiepolos aus der Stuttgarter Staatsgalerie, die beispielhaft neben der Radierkunst auch die venezianische Malerei dieser Zeit aufscheinen lässt.
Eine schleichende Verweltlichung des geistlichen Themas ist zu beobachten, wenn, wie bei Stefano della Bella, Hirten in die Rolle der Heiligen schlüpfen. Doch erlebt die religiöse Thematik im 19. Jahrhundert durch Künstler wie Wilhelm Dürr d. Ä. und später Hans Thoma auch eine Wiedergeburt.
Die Ausstellung mit rund 80 Stücken, in der Hauptsache Druckgraphik, aber auch einigen Gemälden und Zeichnungen, umfasst wichtige Leihgaben aus Stuttgart, Karlsruhe, Würzburg und Triest. Sie läuft bis zum 16. September und ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Gruppen zahlen 1,50 Euro pro Person. Mit dem Oberrheinischen Museumspass und für Mitglieder des Freundeskreise ist der Eintritt frei. Ein reich bebilderter, vom Freundeskreis finanzierter Katalog für 15 Euro begleitet die Ausstellung und stellt die ganze Radierfolge vor, insbesondere aber die bislang unveröffentlichten Probedrucke.
Führungen finden mittwochs um 12.30 Uhr und sonntags um 11 Uhr statt.
Insgesamt bietet die Ausstellung einen Vorgeschmack auf den 2. und 3. Sanierungsabschnitt, der für die Graphische Sammlung zunächst ein klimatisiertes Depot und darauffolgend einen festen, für Graphik ausgelegten Ausstellungsbereich vorsieht. Dort sollen die lichtempfindlichen, dem Publikum sonst verborgenen Blätter in regelmäßigem Wechsel vorgestellt werden, womit dieser weithin unbekannte Sammlungsbereich endlich seiner Bedeutung gemäß präsentiert würde.