Wie kam es dazu, dass Sie die Gründung des Unionhilfswerk noch einmal genauer unter die Lupe nehmen wollten?
Norbert Prochnow: Seit Jahrzehnten haben wir neuen Vereinsmitgliedern, Mitarbeiter*innen oder freiwillig Engagierten immer erzählt, dass das Unionhilfswerk im Jahr 1946 gegründet wurde. Und wir wussten, dass im Gründungsaufruf der CDU das „Notprogramm für Obdach, Brot und Arbeit“ gefordert wurde. Aber dann kamen immer mehr Quellen aus dem Jahr 1947 und nichts, was 1946 als Gründungsdatum weiter belegen konnte. Als wir mit den Vorbereitungen für unser 75-jähriges Jubiläum begonnen haben, war das ein Grund, das Thema noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Thomas Georgi: Genau, wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet und sogar eine Agentur beauftragt, die uns leider aber genau in dieser Gründungsfrage auch nicht so wirklich weiterhelfen könnten. Die konnten uns zwar die Zulassungsurkunde des Berliner Magistrats für das Unionhilfswerk aus dem Jahr 1949 zeigen, aber es fehlte immer noch etwas zwischen dem ersten Gründungsaufruf der CDU 1945 und dem ersten CDU-internen Mitteilungsblatt Blatt Nr. 1 vom Juli 1947, in dem es um die organisatorischen Vorbereitungen des Unionhilfswerk ging.
Wie ging es dann nach der erfolglosen Suche weiter?
Norbert Prochnow: Letztlich baten Sie, Herr Dr. Georgi, Daniela Neumann aus der Landesgeschäftsstelle des Unionhilfswerk-Landesverbands, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung nachzufragen, ob es in den Annalen der Union noch weitere Erkenntnisse über das hinausgibt, was wir wussten.
Thomas Georgi: Und Frau Neumann stieß dort auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der weiterhelfen konnte. Er übersandte uns ein Protokoll der Berliner CDU vom 27. Juni 1947, mit dem Tagesordnungspunkt, „Hilfswerk der Berliner Union“. Damit hatten wir das fehlende Bindeglied und der Nebel des sogenannten Gründungsmythos, mit dem ich Zeit meiner Mitgliedschaft im Unionhilfswerk konfrontiert war, lichtete sich. Wir hatten tatsächlich ein klares Gründungsdatum.
Norbert Prochnow: So ist das ja häufig mit Mythen. Die werden unter Umständen Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte nicht hinterfragt. Geschieht es dann irgendwann, ist es oft schwierig, historische Belege zu finden – je nachdem wie lange das eigentliche Ereignis her ist. Wir stellen ja immer wieder fest, dass für Dinge aus der Nachkriegszeit, die gar nicht so lange her sind, oftmals schriftliche Belege fehlen und die Zeitzeugen sind mittlerweile verstorben.
Welche Erkenntnisse hat das aufgetauchte Dokument noch geliefert?
Norbert Prochnow: In der Partei war zuvor ausdiskutiert worden, dass die Partei selber nicht Träger einer solchen Hilfsaktion sein konnte, sondern eine eigenständige Körperschaft – damals hat man immer an Vereine gedacht. Andere gemeinnützige Gesellschaften – gGmbH, gemeinnützige AG oder Stiftungen waren noch nicht so en vogue in der dieser Zeit. Aber gemeinnützige Vereine, die kannte man ja damals vom Deutschen Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und von anderen und man schlug dann der Union vor, dieses Modell zu nutzen.
Thomas Georgi: Das hatte natürlich auch noch weitere Hintergründe. Letztlich war es eine Gründung der Politik oder von christdemokratischen Politikern. Der damalige Vorsitzende der Jungen Union, Peter Lorenz, war in den 70er Jahren auch Landesvorsitzender der CDU. Er wurde später bekannt, als man ihn kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen entführt hat. Peter Lorenz war damals ein glühender Verfechter für die Gründung des Unionhilfswerk als Sozialverband. Für die Union war es damals natürlich schon ein Manko, keinen parteinahen Sozialverband an der Seite zu haben. Wenn wir uns an die Zeit 1946/47 erinnern, oder was wir darüber wissen, spielten damals Sozialverbände für die Stadt eine wichtige Rolle. Es gab sehr viele Flüchtlinge in der Stadt. Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die in Berlin gestrandet waren. Die ersten Kriegsgefangenen kamen wieder zurück in die Stadt. Es gab auch Heimkehrer-Ausschüsse. Diese und der sogenannte CARE-Ausschuss wurden von den damaligen Sozialverbänden besetzt. Die kirchlichen Verbände, wie die Caritas oder die Diakonie aber auch parteinahe, wie die AWO und auch die Volkssolidarität in Dresden wurden relativ schnell wieder gegründet. In Berlin bestand noch ein zusätzlicher Sozialverband, die große Sozialhilfe. Einen Sozialverband, der der Union besonders nahestand, gab es allerdings nicht. Das wurde von vielen Sozialpolitikern der Union als Manko empfunden und insofern sind wir tatsächlich eine Geburt der Politik.
Im nächsten Beitrag geht es um die ersten Einrichtungen des noch jungen Unionhilfswerk zu Beginn der 1950er Jahre.