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Digitalisierung in der Sozialwirtschaft - prallen hier Welten aufeinander?

(lifePR) (Berlin, )
Die Digitalisierung schreitet in allen Lebensbereichen und Branchen voran – so auch in der Sozialwirtschaft. Für Menschen, die sich bisher beruflich weniger mit der Digitalisierung beschäftigt haben, bietet die Paritätische Akademie Berlin hierzu diverse Kurse sowie Fort- und Weiterbildungen an: „Digitalisierung von Arbeitsprozessen“, „Digitale Medien und Kommunikation“ oder „Technische Rahmenbedingungen“. Diese und weitere Themen, die in direkter Wechselwirkung mit der Digitalisierung stehen, wie „Führung in der digitalen Transformation“, „Agiles Arbeiten“, „Design Thinking“ oder auch „New Work“ finden sich im Programm der Akademie und dem Paritätischen Digital- und Innovationsforum wieder. Wie sie die Entwicklung der Digitalisierung in der Sozialbranche bewerten, beantworten zwei Fachleute von der Paritätischen Akademie: Annette Loy leitet den Bereich Seminare und ist zuständig für das Paritätische Digital- und Innovationsforum; Tobias Fitting ist Bildungsreferent für Digitalisierung an der Paritätischen Akademie Berlin. Die beiden beantworten uns Fragen zur praktischen Erfahrung bei der Vermittlung von Digitalisierungsthemen für die Sozialbranche.

Frage: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung in der Sozialbranche?

Annette Loy: Wir verstehen Digitalisierung nicht nur als zunehmende „Technisierung“ der Sozialbranche. Wir werben für ein Verständnis von Digitalisierung, das uns viele neue und erweiterte Möglichkeiten eröffnen kann. Diese sind in ihrer ethischen Nachhaltigkeit zu analysieren und zu diskutieren. Wir sehen viele positive Effekte – ohne unreflektiert an den „Techno Fix“, also die Technik, die alle Probleme löst, zu glauben.

Die größte Herausforderung liegt zunächst im Verstehen, was Digitalisierung bedeutet, was sie kann und welche neuen digitalen Aufgabenfelder in Zukunft aber auch schon jetzt für die Soziale Arbeit entstehen. Durch die Pandemie ist hier ein gewaltiges Erfahrungswissen entstanden, das reflektiert und weiter vorangebracht werden kann: Seien es Online-Meetings und -Beratungen oder die kollaborative, digitale Zusammenarbeit. Es gibt auch Defizite, wenn es um nicht vorhandene Zugänge zu Internet oder Hardware bei den Professionellen geht. Aber auch in der Verwaltung bzw. bei den Klient*innen hakt es oft an diesen Stellen. Damit fehlen häufig Zugänge zu sozialen Dienstleistungen oder zu Bildungsangeboten.

Tobias Fitting: Die zweite große Herausforderung gibt es bei der Entscheidung für neue Technik und deren Finanzierung. Hier fehlt es oft an Geldern, die noch nicht in Regelfinanzierungen einkalkuliert sind, und an Zeit für die Auseinandersetzung mit Faktoren wie Meta-Daten, Transparenz im Datenschutz oder entstehenden Abhängigkeiten. So entwickeln große Konzerne wie Microsoft brauchbare Plattformlösungen und bieten ihre Dienste sehr günstig für gemeinnützige Organisationen an. Kleinere Software-Firmen oder Open-Source-Lösungen sind nicht immer wettbewerbsfähig. Hier braucht es neben einer Mentalität von „Ausprobieren und einfach mal machen“ auch Zeit für Aufklärung über Big Data und deren Entmystifizierung, um eine sinnvolle Strategieentwicklung zu lancieren.

Annette Loy: Die dritte Herausforderung besteht im Spannungsfeld des noch nicht entschiedenen sozialpolitischen Reglements für den Einsatz digitaler Prozesse und Strukturen, großer Datenmengen, digitaler Mittel und den Handlungsspielräumen der einzelnen Organisationen. Speziell an den „Schnittstellen“ zur öffentlichen Verwaltung wird unsere Branche maßgeblich beeinflusst werden, welche Richtung eingeschlagen werden kann.

Tobias Fitting: Hinzu kommen Kompetenzlücken der Fachkräfte. Für den Einsatz digitaler Mittel, beispielsweise ein kollaboratives Tool, ist neues Anwendungswissen gefragt, das verständlicherweise nicht alle mitbringen.

Annette Loy: Wir denken übrigens nicht, dass dies nur ein Generationenthema ist. Vielmehr existiert immer noch eine Art Trennung zwischen Technikaffinität und dem Interesse für soziale Tätigkeiten und Berufe. Diese Trennung muss man angehen. Falls große Datenmengen irgendwann beispielsweise für Systeme genutzt werden, die es den Fachkräften erleichtern sollen, fachliche Entscheidungen zum Kindeswohl zu treffen, muss dies nicht heißen, wir schaffen den Menschen ab. Sondern wie schaffen wir ein Verständnis für Daten, für Korrelationen und dafür, wie diese Informationen mit unserer gewachsenen Fachlichkeit verbunden werden können, um noch besser helfen, bilden oder unterstützen zu können.

Frage: Die Kurse in der Paritätischen Akademie zur Digitalisierung reichen von der Anwenderschulung in MS 365 oder MS Teams bis zum Umgang mit Cybermobbing oder Hate Speech im Netz. Welche Themen werden bei Ihnen aktuell besonders nachgefragt und was hat sich durch Corona verändert?

Tobias Fitting: Vor der Pandemie hatten wir bereits ein solides Angebot bestehend aus den Themen zur Digitalisierung der Arbeitsprozesse, agiler Projektsteuerung und einem großen Zertifikatskurs zu Digitaler Führung und Transformation. Zu all diesen Präsenzseminaren, kamen die Teilnehmer*innen gerne zu uns nach Berlin. Außerdem gab es seit längerem diverse Seminare zu Social Media und zu diversen Anwendungsschulungen im MS Office Bereich.

Mit Beginn der Pandemie haben wir Onlineseminare in allen Bereichen angeboten und bedarfsgerechte neue Angebote entwickelt. Es entstanden die Anwenderschulungen zur Plattformlösung Microsoft 365 und Teams, die sehr beliebt sind. Die Online-, Email- und Chat-Beratung haben wir neu ins Programm mit aufgenommen. Dieses Thema gehört zusammen mit einem Expertenvortrag zu den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung zu den nachgefragtesten Angeboten, die wir oft für spezielle Organisationen oder Fachgruppen organisiert haben.

Annette Loy: Zusammenfassend hat sich der Bedarf nach konkreten Lösungen verändert: Konkret gebraucht werden Anwendungsschulungen verbunden mit einem erweiterten Verständnis von Führung unter Einbeziehung von Remote-Arbeit (Agiles Arbeiten, unabhängig vom Arbeitsplatz, Anm. d. Red.). Unsere neuen Überblicksveranstaltungen im Bereich „Was ist überhaupt Digitalisierung?“ haben nun erneut guten Zulauf. Zudem existiert nun die Möglichkeit, online an Seminaren teilzunehmen, was Zeit und Geld spart, aber auch neu herausfordert – und das Netzwerken viel schwieriger macht.

Frage: Wagen Sie einen Ausblick auf die Entwicklung der Digitalisierung in der Sozialbranche – wo stehen wir in 10 Jahren?

Annette Loy: Unsere Zukunftsvisionen für die nächsten zehn Jahre könnten so aussehen: Die digitale Klient*innen-Akte mit der Leistungsabrechnung macht die Berichterstattung per Software-Schnittstelle zur zuständigen Verwaltung möglich – und zwar mit der Vergabe unterschiedlicher Zugriffsrechte, damit nicht alle Details weitergegeben werden müssen. Sozialarbeiter aus Polen, der Tschechischen Republik und Deutschland arbeiten zusammen in einem grenzübergreifenden Obdachlosenprojekt für eine Grenzregion. Sie nutzen digitale Mittel, um als Team zusammenzuarbeiten und auch den Obdachlosen Dienste und Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Eine Familienhelferin kann via smarter Technologie einen aufkommenden Konflikt in einer Familie bemerken, sich physisch oder per Video einschalten und deeskalieren, bevor es für die Kinder gewalttätig wird. Und: All diese Ideen sind denkbar oder bereits entstanden!

Wir denken, dass die nächsten 10 Jahre entscheidend sein werden, um jetzt noch fundamentale Weichen zu stellen und Umsetzungen in die Wege zu leiten. Diese müssen es der Branche ermöglichen, in der voranschreitenden digitalen Revolution technische Machbarkeiten zu Gunsten positiver sozialer Entwicklungen und sozialstaatlicher Aufgaben zu nutzen, die Mensch, Umwelt und Technik vereinen kann. Kurzum: Wir werden gezwungen worden sein, eine Haltung zu entwickeln.

Tobias Fitting: In zehn Jahren ist es wahrscheinlich, dass wir eine Vielzahl künstlicher Intelligenzsysteme ganz selbstverständlich in unsere Arbeits- und Alltagswelt integrieren. Ganz konkret werden wir eine digitalisierte Verwaltung in Deutschland haben und uns mit den Schnittstellen und veränderten Prozessen auseinandergesetzt haben, die dann maßgeblich die praktischen Möglichkeiten in sozialen Organisationen beeinflussen.

Für die Bewältigung der Klimakrise werden wir digitale Mittel brauchen, um möglichen Verteilungskämpfen auf sozialstaatlicher Ebene resilient begegnen zu können. Und wir werden eine neue Generation Sozialarbeiter*innen in der Fachlandschaft erleben, die bereits in ihrer Hochschulbildung das Thema Digitalisierung behandelt und reflektiert haben wird. Wir wünschen uns schon jetzt viel mehr Pilotprojekte zur Integration von Big Data, KI und anderen hybriden Methoden für die Fachlandschaft.

Frage zum Abschluss: Was interessiert Sie an der Digitalisierung am meisten?

Annette Loy: Mich interessiert bei der Digitalisierung besonders, wie die Profession sich mit den neuen technischen Möglichkeiten verantwortlich entwickeln kann, beispielsweise wie sich Fachlichkeit durch den parallelen Einsatz von digitalen und traditionellen Mitteln verändern kann.

Tobias Fitting: Mich interessiert, wie sich unsere Gesellschaft und das gemeinsame Arbeiten durch die Digitale Revolution verändern. Mir ist es wichtig, ein Verständnis des digitalen Wandels zu vermitteln und die digitale Welt greifbarer zu machen. Denn nur, wenn wir verstehen, in welcher neuen Welt wir leben, können wir ihre Möglichkeiten souverän und sicher nutzen.

Tobias Fitting,
 ist Bildungsreferent für Digitalisierung an der Paritätischen Akademie Berlin gGmbH. Er studierte Politologie und Filmregie und arbeitete mehrere Jahre in der Film- und Fernsehbranche. Parallel dazu absolvierte er Weiterbildungen zum Coach, Trainer und Mediator, in Projektmanagement, Cloud Computing, Online-PR und er beschäftigt sich seit seiner Jugend intensiv mit Digitalisierung, Software und den vielfältigen digitalen Möglichkeiten, die den (beruflichen) Alltag erleichtern.

Annette Loy
 leitet den Bereich Seminare und ist zuständig für das Paritätische Digital- und Innovationsforum und studierte soziale Arbeit und Kunstgeschichte. Sie kam zum ersten Lock down im März 2020 neu ins Seminar-Team der Paritätischen Akademie Berlin und übernahm im November 2020 die Leitung des Bereichs Seminare. Aus diversen internationalen Projekten im Rahmen von Erasmus + und freien Kunstprojekten verfügte sie bereits vor der Pandemie über viel Erfahrung im Umgang mit virtuellen Räumen und der kreativen und agilen Zusammenarbeit von Projekt-Teams. Dies setzt sie zusammen mit ihrer mehrjährigen Leitungstätigkeit und Berufserfahrung in der Sozialen Arbeit nun dazu ein, das Portfolio der Akademie sinnvoll weiter zu entwickeln und zusammen mit dem Team des Digital- und Innovationsforums progressive wie auch pragmatische Impulse für die Fachlandschaft zu setzen.

Die Paritätischen Akademie Berlin und das Paritätische Digitalforum

In der beruflichen Weiterbildung ist die Paritätische Akademie Berlin bereits seit 24 Jahren tätig. Fach- und Führungskräfte aus der Sozialwirtschaft, die ihre Kompetenzen in  verschiedenen Berufsphasen ausbauen möchten, werden hier für ihren Berufsalltag fit gemacht. Seit 2019 widmet sich das Paritätische Digitalforum den vielen Facetten der Digitalisierung. Mit der Corona-Pandemie standen viele soziale Organisationen plötzlich vor einer großen Herausforderung, die Digitale Wende nun nicht mehr allmählich, sondern in kürzester Zeit umsetzen zu müssen. Diese Erfahrungen und erforderlichen Notwendigkeiten lösten viele Entwicklungsimpulse aus, die aktuell und künftig weiterverfolgt werden

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