Als ich das Zitat „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess,“ von Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG, las, habe ich dies als eine persönliche Aufforderung empfunden, die bisherige Entwicklung der Onlineportale unter diesem Gesichtspunkt zu beleuchten. Verstärkt wurde dieser Gedanke dadurch, dass ich mal wieder eine Fallstudie erhielt, die ein Einsparpotential bei den Prozesskosten im Recherche-, Anfrage- und Buchungsprozess durch Einsatz eines Onlineportals in Höhe von fast 50% auswies. Der Fehler hierbei ist nur, dass dieses Einsparpotential nichts mit der Portallösung zu tun hat und schon gar nichts mit dem damit vermeintlich neuen digitalen Prozess. In Wirklichkeit wird bisher nur ein bereits seit Jahren bekannter Prozess auf eine „Anfragemaske im Internet“ verlagert. Daher wundert es mich nicht, dass die in der Studie beschriebenen Argumente, mir nicht neu sind. Bereits vor der Zeit der ersten Tagungshotelportale hatten Agenturen die gleiche Beweisführung parat, so dass wir getrost davon ausgehen können, dass sich der eigentliche Prozess für den Anfragenden nicht geändert hat. Auch der Hinweis auf Merkmale wie die schnelleren Platzierungen von Anfragen, die bessere Vergleichbarkeit von Angeboten oder die Hinterlegung von Vertragsbedingungen lässt einen alten Agenturhasen nur müde lächeln – alles nichts Neues. Oder um es bildhaft zu machen: Wenn wir die Post so digitalisiert hätten, wie die MICE-Onlinesysteme die analogen Anfragen, dann würden wir jetzt jede elektronische Briefmarke im Online-Shop erwerben, einen Kollegen beauftragen, jeden Abend den gefüllten Outlook-Postausgang an den Server zu senden und würden E-Mails mit größeren Datenanhängen über den elektronischen Paketdienst verschicken.
Jedem Webdesigner wäre es heute in kurzer Zeit möglich eine Attrappe eines Online-Buchungsportals so zu entwickeln, dass jeder Veranstaltungsplaner keinen Unterschied im Prozess feststellen würde. Doch damit jetzt nicht gleich der Verdacht entsteht, dass ich ein Gegner der Onlinesysteme bin (dem ist nicht so), möchte ich ebenfalls darauf hinweisen, dass diese Vorgehensweise zur Folge hätte, dass eine derartige Nachbildung ein enorm hohes Maß an manueller Nacharbeit für den „Fake-Portalanbieter“ zur Folge hätte. Somit würde der Prozess der Tagungsplaner zwar ebenfalls optimiert werden, allerdings müssten die benötigten personellen Ressourcen des Vermittlers wesentlich höher und somit kostenintensiver sein – müsste man denken.
Bis heute werden die Mittler oftmals ausschließlich auf Basis der Hotelkommissionen vergütet, dadurch sind auch die Online-Portalanbieter für den Planer im Unternehmen nicht günstiger. Es hat einzig und alleine eine Verschiebung stattgefunden, weg vom manuellen Service hin zur Entwicklung von skalierbaren, technischen Applikationen. Nur wie bereits beschrieben, hat sich der Prozess als solcher nicht verändert, was wiederum dazu führt, dass die meisten Planer aus ihrer Routine heraus an vielen Stellen in starren und nicht flexiblen Systemen festhängen. Ein offline agierendes Service-Team könnte jederzeit manuell eingreifen, die Software hingegen ist starr. Am Ende ist die angedachte Skalierbarkeit der Systeme nach wie vor nur ein Wunsch, denn immer wieder müssen für den alten Prozess digitale Sondermarken „nachfrankiert“ werden.
Eine erste Ausnahme hierbei bilden die Ansätze der Live-Booking Systeme und dies nicht nur, weil die Verfügbarkeiten direkt abbildbar sind, sondern auch der Buchungsprozess schlanker geworden ist. Ferner kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass die noch von intergerma forcierte Entwicklung eines vollautomatischen Such-Logarithmus von Tagungshotels (also keinen langes Suchen mehr in den Hoteleinträgen der Portale) gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen großen Anklang fand. Die Befürchtung einer Entmündigung des Planers bestand eher auf Seiten derer, die erfahrungsgemäß auch lieber an alten Prozessen festhalten und diese eher neu und webbasiert verpacken wollen. Die Portalanbieter sind darüber sicherlich auch nicht traurig, da auch bevorzugt gelistete Hoteleinträge eine weitere Einnahmequelle der Systeme darstellen.
Um auf das Zitat von Thorsten Dirks zurückzukommen, sollte eines verdeutlicht werden: Der Anfrage- und Buchungsprozess hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Dieser Prozess ist jedoch auf keinen Fall schlecht, genauso wie die Versendung eines Briefes nicht verkehrt sein muss und oftmals sogar empfehlenswert ist. Wer jedoch im MICE-Bereich an seinen etablierten Prozessen festhalten möchte, sollte sich genau überlegen, ob und wie diese digitalisiert werden. Ich bleibe dabei: Die Digitalisierung des MICE-Bereiches beginnt gerade erst und wird sich nach dem Nutzerverhalten derer richten, die heute noch nicht online buchen. Am Ende bleibt nur die Frage: Wie buchen Sie denn eigentlich Veranstaltungen bei der Telefónica Deutschland AG, Herr Dirks?
Über den Gastautor:
Bernd Fritzges: MICE-Spezialist, Veranstaltungsplaner, Berater und Redakteur
Wer den Werdegang von Bernd Fritzges kennt, wird feststellen, dass er seine Kompetenzen mehr durch Praxiserfahrungen und weniger auf Basis akademischer Lehren aufgebaut hat. Dies und seine bereits frühe unternehmerische Tätigkeit führten zum Wunsch, eigenverantwortlich für Menschen zu arbeiten, die offen für neue und zukunftsweisende Wege sind, den Mut besitzen eigene Entscheidungen auch einmal in Frage zu stellen und auf der anderen Seite ebenfalls sinnvolle und funktionierende Prozesse integrieren und beibehalten möchten.
Auch sein Engagement für das MICE-Branchenevent „Werte 2.0“ steht für die Mischung aus gut Bewährtem und nachhaltigen, zukunftsweisenden Entwicklungen.
Bei der Sundays & Friends GmbH bringt er verstärkt seine Erfahrungen im gastronomischen Zusammenhang, der Produktentwicklung und in der Vertriebssteuerung ein.
Wer mehr über Bernd Fritzges erfahren möchte folgt diesem Link: www.berndfritzges.de
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http://pregas.de/...