In die Reihe der Würdigungen des "Mössinger Generalstreiks" hat sich auch Bundespräsident Joachim Gauck eingereiht. In seinem Münchner Vortrag zum Gedenken an die Aktionen der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" um Sophie Scholl ging er auch auf die Akteure in Mössingen ein. Er sagte:
"Den 30. Januar könnten wir bezeichnen als 80. »Todestag« einer deutschen Demokratie, der Weimarer Republik. Eine »Demokratie ohne Demokraten« ist sie einmal genannt worden. Das ist heute anders. Damals starb die Demokratie nicht nur an den vielen Feinden, die sie an den Rändern der Gesellschaft hatte, sondern auch daran, dass sie zu wenige Freunde hatte, die für sie eintraten.
Die Fakten und mentalen Grundstimmungen der letzten Jahre, Monate, Wochen und Tage von Weimar, sie sind vielfach erzählt worden. Damals, vor 80 Jahren, am Anfang, als Widerstand vielleicht noch Erfolg hätte haben können, hat es ihn gegeben hier und da, aber er wurde zu wenig unterstützt. Was möglich gewesen wäre, zeigt der kleine Generalstreik in Mössingen oder die Protestmärsche, mit denen Lübecker Bürger Julius Leber aus dem Gefängnis gewissermaßen »herausdemonstriert« hatten. Aber viele der damaligen Autoritäten in der Reichswehr, in den Kirchen, in den Theatern und auch in den Universitäten schwiegen. Die erklärten Gegner wurden systematisch terrorisiert, sie wurden verjagt und schließlich ermordet. Die politische Rache wurde legalisiert."
"Da ist nirgends nichts gewesen außer hier" - so resümiert eine Mössingerin ihre Erzählung über die Ereignisse an jenem 31. Januar 1933, als die Arbeiterbewegung ihres Heimatorts den Generalstreik gegen die tags zuvor eingesetzte Hitlerregierung durchzuführen versuchte. 800 Demonstranten sollen es gewesen sein, die im damals etwa 4.000 Einwohner zählenden Arbeiterbauerndorf Mössingen durch die Straßen und aus den Fabriken zogen. Es gelang ihnen, zwei der größten Betriebe am Ort stillzulegen, doch nach kurzer Zeit wird der "Mössinger Aufstand" - wie ihn viele der damals Beteiligten nennen - durch massiven Polizeieinsatz abgebrochen. Rund 80 Personen aus Mössingen und seinen Nachbargemeinden sind es dann, die für diesen vergeblichen Versuch, Terror und Krieg für Deutschland und Europa abzuwenden, ins Gefängnis kommen - die meisten für einige Monate, manche für mehrere Jahre.
Vor knapp dreißig Jahren erschien endlich die erste Textsammlung und Dokumentation dieses außergewöhnlichen Ereignisses in Mössingen. Der Talheimer Verlag sowie Hermann Berner und Bernd-Jürgen Warneken, die Herausgeber des Bandes "Da ist nirgends nichts gewesen außer hier! - Der Mössinger Generalstreik gegen Hitler", widmen diese ergänzte und erweiterte Neuausgabe dem letzten Überlebenden der ehemaligen Generalstreiker, der im Alter von fast 102 Jahren im Januar 2010 gestorben ist: "Jakob Textor zu Ehren". Jakob Textor war beim Generalstreik dabei und hatte durch viele öffentliche sowie nächtliche Aktionen vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Sein spektakuläres Erklimmen des Kamins der Textilfirma Pausa, um dort die rote Fahne gegen Hitler zu hissen, bleibt im Gedächtnis.
Bernd Jürgen Warneken, Hermann Berner (Hg.): Da ist nirgends nichts gewesen außer hier. Das "rote Mössingen" im Generalstreik gegen Hitler. Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes - Jakob Textor zu Ehren. 2012, 360 Seiten, mit mehr als 200 zum Teil bislang unveröffentlichten Abbildungen, 32,00 Euro, ISBN 978-3-89376-140-1. Mit Beiträgen von Hans-Joachim Althaus, Friedrich Bross, Gertrud Döffinger, Hubert Flaig, Karlheinz Geppert, Wolfgang Kaschuba, Carola Lipp, Karl-Heinz Rueß, Martin Scharfe, Bernd Jürgen Warneken und Hermann Berner