Alle Szenen beginnen als ganz normale Alltagssituationen, wie sie jeder kennt: Ein Paar zappt sich gelangweilt durchs Fernsehprogramm. Da bleibt die Fernbedienung bei einer Sendung über Armut in Afrika hängen. Und plötzlich steht das personifizierte "Fremde" im Wohnzimmer und lässt sich partout nicht wegzappen. Oder ein von der Straßenbahn angefahrener Schwerverletzer bittet eine Passantin darum, einen Krankenwagen zu rufen, was diese ihm lächelnd verweigert. Ein Firmenchef gründet eine Religion und sieht sich selbst als Abgesandten Gottes. Ein Apfel, so groß wie ein ganzes Zimmer, macht einem Elternpaar alles andere als Freude. Das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf wird in einem Klassenzimmer plötzlich höchst realistisch. Ein sich liebendes Paar muss auseinandergehen, weil seine vertraglich vereinbarte Zeit der Ehe abgelaufen ist. Und schließlich wehren sich die Robben gegen den Massenmord an ihren Babys. Der Fortschritt schlägt zurück durch überraschende Störfaktoren, die den banalen Ausgangssituationen phantastisch-albtraumhafte Wendungen geben und sie ins Surreale überhöhen.
"Oft ... stellt dieser Störfaktor die Figuren vor die Frage, wer oder was sie als Mensch sein möchten, wie viel Anmaßung in der Entscheidung über Schicksal, über Leben und Tod sie an sich reißen wollen. Tendenziell kann man sagen: Sie wollen eher zu viel Macht und sind dabei, sich selber abzuschaffen - wen wundert's? Szene für Szene wird in diesem Panoptikum skurriler Momentaufnahmen die Realität ein Stückchen weitergedreht und der Begriff "Fortschritt" subtil ironisiert. Wem gehört, wem nützt dieser Fortschritt, den wir haben, eigentlich? Gibt es ihn überhaupt? Gibt es ein zivilisatorisches Ziel? Wird alles besser oder besser nicht? Wer drückt den roten Knopf, oder brauchen wir ihn längst nicht mehr? Gegen den Fortschritt unternimmt in sehr lakonischem Ton eine aufgeklärt-boshafte Prognose der allernächsten Gegenwart." (Viola Hasselberg, Jury, Berliner Stückemarkt 2008)
Esteve Soler wurde 1976 in Katalonien, geboren und lebt in Barcelona. Hier studierte er Regie und Dramaturgie und gehört heute zum Autorenkreis der Sala Beckett, einem kleinen Theater in Barcelona, das sich zeitgenössischen Autoren wie Fosse, Schimmelpfennig oder von Meyenburg verschrieben hat. Außerdem ist er Dozent für Stückeschreiben, Redaktionsmitglied der Theaterzeitschrift "Pausa" und Filmkritiker. "Gegen den Fortschritt" (2008) ist das erste Stück von Esteve Solers "Anti-Trilogie". Es folgten "Gegen die Liebe" (2010) und "Gegen die Demokratie" (2011). Die Stücke wurden in sechs Sprachen übersetzt (englisch, französisch, deutsch, spanisch, griechisch, italienisch) und von mehr als 30 Regisseuren in verschiedenen Ländern inszeniert, u.a. in Belgien, Venezuela, der Schweiz und Griechenland.
Premiere am 22. Juni 2013, 20 Uhr, Kammerspiele
Gegen den Fortschritt
Sieben burleske Szenen von Esteve Soler
Regie: Uta Koschel
Ausstattung: Regina Fraas
Mit: Luise Schubert, Katharina Voß, Tobias D. Weber, Sebastian Weiß und Daniel Evans (Statist)
Weitere Vorstellungstermine: 26.06.; 6.07.; 17.07. - jeweils um 20 Uhr