Regie: Alejandro Quintana
Bühne: Stefan Brandtmayr
Kostüme: Cornelia Kraske
Dramaturgie: Stefanie Symmank
Mit:Angelika Hart (Frau Vockerat), Judith Lilly Raab (Käthe Vockerath), Luise Schubert (Anna Mahr); Johannes Bahr (Pastor Kollin), Oliver Firit (Braun), Rolf-Rudolf Lütgens (Herr Vockerat), Sebastian Weiss (Johannes Vockerat)
Weitere Vorstellungen: 13. Januar, 22. Januar, 26. Januar, 1. Februar, 6. Februar, 15. Februar, 20. Februar, 22. Februar, 23. Februar, 7. März, 12. März, 27. März, 29. März, 6. April, 7. April (15 Uhr), 18. April, 14. Mai (Beginn jeweils 19.30 Uhr, außer am 7. April)
Unerträgliche Mittelmäßigkeit des Daseins
Alejandro Quintana inszeniert "Einsame Menschen" von Gerhart Hauptmann
Gerhart Hauptmann nannte "Einsame Menschen" im Rückblick auf sein umfangreiches Werk sein liebstes Stück. 1891, mit 29 Jahren, schrieb er dieses Familiendrama, das die zeitlose Geschichte von Menschen erzählt, welche die Mittelmäßigkeit ihres Daseins nicht ertragen aber auch den Schritt in ein anderes Leben nicht wagen. Alejandro Quintana inszeniert mit "Einsame Menschen" seinen ersten Hauptmann. Premiere ist am 12. Januar im Großen Haus.
Ganz typisch für die bürgerlichen Dramen von Gerhart Hauptmann ist die Situation, dass auf den ersten Blick alles zu stimmen scheint: Der junge Wissenschaftler Johannes Vockerat und seine Frau Käthe leben in einem zauberhaften Haus am Müggelsee und feiern die Taufe ihres ersten Kindes. Die Eltern von Johannes und ein Freund der Familie, der Maler Braun, sind angereist. Die alte Frau Vockerat wird nach der Taufe noch ein bisschen bleiben, um Käthe bei der Versorgung des Babys zur Seite zu stehen. Doch auf den zweiten Blick sieht man, dass vieles nicht in Ordnung ist. Die junge Mutter ist von der Geburt noch sehr geschwächt und vermag es kaum, sich richtig zu freuen. Nicht ganz schuldlos ist da auch das Verhalten ihres Mannes, der sich mit seiner neuen Rolle als Vater überhaupt nicht abfinden kann und mit seinem launenhaften Verhalten seine Frau ängstigt. Seine wissenschaftliche Arbeit, mit der er nicht so recht vorankommt, spukt ihm im Kopf herum. Mit den Thesen, die er verfolgt und die alle gültigen Werte in Frage stellen, brüskiert er seine gottesfürchtigen Eltern. Der Frust über sein mittelmäßiges Leben frisst an ihm. In dieser Situation steht plötzlich eine junge Frau vor der Tür: die Studentin Anna Mahr, die auf der Durchreise nach Zürich Johannes' Freund, den Maler Braun, besuchen will. Johannes ist sofort hingerissen von der intelligenten, selbstbewussten jungen Frau und lädt sie ein, für ein paar Wochen bei ihm und seiner Familie zu leben. Er findet in Anna erstmals einen Menschen, der ihm intellektuell ebenbürtig ist, mit dem er diskutieren und philosophieren kann. Beide fühlen sich immer stärker zueinander hingezogen. Käthe, der durch ihre Mutterschaft vorerst alle Wege verstellt sind, leidet und fühlt sich der klugen Anna hoffnungslos unterlegen. Johannes Mutter beobachtet mit Sorge, wie vertraut ihr Sohn und die Fremde miteinander umgehen. Johannes gesteht Anna seine Liebe, doch die Würfel sind gefallen. Beide müssen erkennen, dass sie ihren Traum von einer freien, partnerschaftlichen Beziehung nicht leben können. Johannes muss Anna abreisen lassen, obwohl es ihm das Herz zerreißt.
Der Konflikt, den Gerhart Hauptmann hier schildert, spielte sich im Leben seines Bruders Carl ab, dessen Freundschaft zu einer jungen Polin die ganze Familie in Aufruhr brachte. Die drei Hauptmann-Brüder hatten drei Thienemann-Schwestern geheiratet. Als Carl Hauptmann in Zürich die junge, überaus geistreiche und sehr selbstbewusste Anna Krzysanowska kennenlernte, verfiel er in leidenschaftliche Schwärmerei. Dies brachte nicht nur seine eigene Ehe in Gefahr, sondern bedrohte auch die harmonische Hauptmann-Thienemann- Konstellation. So war es nicht zuletzt Gerhart Hauptmann, der seinen Bruder drängte, das Verhältnis zu beenden.
Hauptmann skizziert in diesem Drama Variationen der Isolation von Menschen, die eigentlich in der Familie oder durch Freundschaft miteinander verbunden sind. Er führt vor, wie unerträglich es ist, von seinen engsten Bezugspersonen nicht verstanden zu werden. Bei dem einen äußert es sich in laut polterndem Frust (Johannes) bei dem anderen in stillem Leiden (Käthe). Der schöne äußere Schein macht die Einsamkeit der Menschen nicht erträglicher. Jeder von ihnen lebt am falschen Platz mit der falschen Person zusammen und die gesellschaftlichen Normen hindern sie daran, aus diesem Seelengefängnis auszubrechen. Mit Anna Mahr kommt der Katalysator ins Haus, der die Konflikte anheizt. Aber ehe es zum (vielleicht reinigenden) Ausbruch kommen kann, haben die Verfechter der Konventionen (z.B. Vater und Mutter Vockerat) den Deckel auf den brodelnden Kessel, der da Familie heißt, gesetzt, und erhöhen auf diese Weise den Druck, bis die Katastrophe unausweichlich ist.
Bühnenbildner Stefan Brandtmayr baut einen großbürgerlichen, herrschaftlichen Raum, der aber auf merkwürdige Weise "verrückt" erscheint und den seelischen Druck seiner Bewohner widerspiegelt. Die Kostüme von Cornelia Kraske unterstreichen das eintönige, triste Leben ihrer Träger. Erst als Anna Mahr eintrifft, kommt im wahrsten Sinne des Wortes Farbe ins Haus.