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Erschütterungen im "Fundament"

Uta Koschel inszeniert tragikomisches Gesellschaftsbild von Jan Neumann für das Große Haus

(lifePR) (Heilbronn, )
Nur wenige Minuten umfasst die Handlungszeit in Jan Neumanns Schauspiel „Fundament“, eine kurze Zeitspanne, in der eine Taube zwischen 16.02 Uhr und 16.14 Uhr über dem Bahnhof einer großen deutschen Stadt kreist und dabei über fünf Menschen hinweg fliegt, in deren Leben wir kurz eintauchen. Und doch öffnet dieser kurze, schlaglichtartige Blick auf die Figuren mit ihren zunächst alltäglichen, nachdenklichen, poetischen oder skurrilen Geschichten die Sicht auf ein breit angelegtes Zeit- und Gesellschaftsbild des Deutschlands unserer Tage. „Fundament“, das 2009 am Staatsschauspiel Stuttgart uraufgeführt wurde, kommt am 6. Oktober um 19.30 Uhr in der Inszenierung von Chefregisseurin Uta Koschel auf die große Bühne. In dieser Inszenierung stellen sich zwei neue Ensemblemitglieder in Heilbronn vor: Anja Schreiber und Hannes Rittig. Außerdem sind darin Anjo Czernich, Stefan Eichberg und Sabine Unger und Ferenc Mehl als Schlagzeuger und Mitspieler zu erleben.

Zum Inhalt

Es ist ein ganz normaler Tag in einer ganz normalen großen deutschen Stadt. Am Bahnhof herrscht geschäftiges Treiben. Da ist Frührentner Walther Röhrich, der mit einer Stunde Verspätung aus dem überheizten Zug aussteigt. Während der Fahrt hat der einsame Mann seine Mitreisenden mit einem pausenlosen Redeschwall über seine Sinnsuche in sämtlichen Weltreligionen geplagt. Auch Germanistikstudent Ben ist am Bahnhof, mit einem leeren Transparent, das er eigentlich längst mit einem engagierten Spruch vollgeschrieben haben wollte. Er will sich ja politisch engagieren. Aber wofür oder wogegen soll er angesichts der unübersichtlichen Weltlage denn sein?

Bettina Lauterbach, Angestellte, Ehefrau, Mutter von zwei präpubertären Töchtern und Bewohnerin eines halb abgezahlten Reiheneckhauses, hastet vorbei. Ein Anruf ihres Mannes hat sie vorfristig ihren einwöchigen Kurs "Blockaden lösen durch kreatives Malen auf Stoff" abbrechen lassen, und nun eilt sie ihren familiären Verpflichtungen entgegen. Dabei wäre sie gern wie jene elegante Frau, die ihr auf dem Bahnhof entgegen kommt, Marianne Krüger-Kaufmann (Mitte 50), viel jünger aussehend. Dass Frau Krüger-Kaufmann gerade auf einen Mann vom Escort-Service wartet und dass ihre kühle Erscheinung daher resultiert, dass jegliche Gefühle schon seit Kindertagen auf Eis liegen, sieht man ihr nicht an. Sie hält zunächst den sportlichen, überaus gut aussehenden Typen im Smoking für ihren Escort-Mann. Aber nein, es ist Dr. Friedrich Kremm, Besitzer einer sagenhaft erfolgreichen Werbeagentur. Dank seines perfekt durchgeplanten Tages bekommt er all seine beruflichen, sozialen und gesellschaftlichen Aktivitäten, sowie das allabendliche Liebesleben mit seiner Frau und die guten Gespräche mit seinen Söhnen unter einen Hut. Er erwartet auf dem Bahnhof den Preisträger des diesjährigen Friedenspreises der Werbeindustrie und nicht einmal ein Taubenschiss auf seinem Smoking kann das perfekte Lächeln aus seinem Gesicht vertreiben...

... bis  genau um 16.14 Uhr eine ohrenbetäubende Explosion den Bahnhof erschüttert. Ein Anschlag, dem viele Menschen zum Opfer fallen, und der das Fundament der Gesellschaft ins Wanken bringt.

Preis für komische Literatur

Jan Neumann erhielt für „Fundament" den Förderpreis 2011 für Komische Literatur der Stadt Kassel. In der Begründung des Stiftungsrates heißt es: „Jan Neumanns faszinierende Theatertexte stellen sich einem Zeitalter, das sich in fundamentaler Verwirrung glaubt, auf eine kritische, moralische und dennoch unterhaltsame Weise. Sie entfalten ein breites Panorama an aktuellen Lebenserfahrungen und kluger Reflexion und beherrschen dabei alle Tonlagen des Komischen von burlesker Albernheit bis zu melancholischer Tragikomik." (Aus der Begründung des Stiftungsrates zur Verleihung des Förderpreises 2011 für Komische Literatur der Stiftung Brückner und Kühner der Stadt Kassel)


Herausforderung für Inszenierungsteam und Schauspieler

Das Stück, das keine Regieanweisungen und keine Szenen enthält, ist wie Neumann selbst sagt, eine „Einladung an Schauspieler und Regie, etwas daraus zu machen.“

„Fundament“ liest sich wie eine Partitur mit Leitmotiven, die die unterschiedlichen Geschichten aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten raffiniert verbinden. Als „Erzähl-Konzert“ beschreibt Uta Koschel, die sofort beim ersten Lesen fasziniert war, ihren Eindruck. Dieser lieferte ihr auch den Schlüssel für ihre Inszenierungsidee. Schlagzeuger Ferenc Mehl gibt den Rhythmus vor und liefert die Effekte für dieses Schauspiel, in dem sich erzählerische Sequenzen und Spielszenen abwechseln und die Schauspieler neben ihren Hauptcharakteren in viele weitere Rollen schlüpfen.

Alle Figuren, die wir im Lauf des Stückes kennen lernen, sind Suchende, nach Sinn, nach Kontakt, nach dem Fundament ihres Lebens. Die vermeintlich kleinen Alltagsgeschichten verweisen über die konkreten Probleme und Situationen hinaus auf das große Ganze, auf gesellschaftliche Entwicklungen und philosophische Themenstellungen.

„Dieses Stück wirft Fragen auf, die keiner beantwortet. Und es gibt Antwort auf Fragen, die keiner gestellt hat“, sagt Uta Koschel.

Jan Neumann wurde 1975 in München geboren. Er absolvierte eine Schauspielausbildung an der Theaterakademie August Everding. Von 1998 bis 2001 war er am Bayerischen Staatsschauspiel München engagiert, von 2001 bis 2006 gehörte er zum Ensemble des Schauspiels Frankfurt. Seit 2006 ist er freischaffender Schauspieler, Autor und Regisseur. 2008/2009 war er Hausautor am Nationaltheater Weimar. Seit 2013 ist er Hausregisseur am Nationaltheater Weimar. Er schuf bislang 23 Theatertexte. Zuletzt entstanden 2017 „E. Bauers Sammelsurium der unsterblichen Sterblichen“ für das Staatstheater Stuttgart und „Bombenstimmung“ für die Ruhrfestspiele Recklinghausen. Als Regisseur arbeitet er unter anderem am Schauspiel Frankfurt, am Staatstheater Stuttgart, am Maxim Gorki Theater Berlin, am Schauspielhaus Bochum, am Nationaltheater Mannheim und am Schauspiel Köln.

Seine Texte entwickelt er oft während des Inszenierungsprozesses gemeinsam mit den Schauspielern. Er nutzt die Anregungen und die aus den Situationen heraus improvisierten Textpassagen der Darsteller und gießt sie anschließend in eine dramatische Form. So war es auch bei „Fundament“, das 2009 gemeinsam mit Schauspielerinnen und Schauspielern des Staatsschauspiels Stuttgart entstand. 

Premiere am 6. Oktober 2017, 19.30 Uhr, Großes Haus
Fundament
Schauspiel von Jan Neumann

Regie: Uta Koschel
Ausstattung: Tom Musch
Musik: Ferenc Mehl
Dramaturgie: Andreas Frane
Es spielen: Anjo Czernich (Benjamin Ullrich, ein Student); Stefan Eichberg (Walther Röhrich, ein Frührentner); Hannes Rittig (Dr. Friedrich Kremm, ein Geschäftsmann); Anja Schreiber (Bettina Lauterbach, eine Angestellte); Sabine Unger (Marianne Krüger-Kaufmann, eine feine Dame)

Ferenc Mehl (Musiker)

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