Zum Stück
Kollege Björn ist ausgebrannt und wird sobald nicht wiederkommen. "Björn-Out" nennen dies seine drei Kolleginnen vom Jugendamt, die jetzt seine 104 Fälle von Kindeswohlgefährdung unter sich aufteilen. Die Akten kommen auf die ohnehin schon hohen Stapel der Kategorien "Dringend", "Brennt", "Weniger dringend", "Kann warten, sollte aber eigentlich". Anika, Barbara und Sylvia betreuen als Mitarbeiterinnen des Jugendamtes die neuen Kaspar Hauser, die jetzt Dennis, Lisa, Chantal, Kevin, Lea-Marie oder Jessica heißen. Hin- und hergerissen zwischen ihrem beruflichen Ideal: helfen, bevor es zu spät ist, und der Realität des Arbeitsalltags, der sie zwischen ausufernder Bürokratie, dem ständigen Gefühl, doch immer zu spät zu kommen und Presseschelte im "Kaspar-Häuser-Meer" fast ertrinken lässt. Wann kann man sich aber sicher sein, ob ein gebrochener Kinder-Arm von einem Sturz oder nicht doch von einer Misshandlung herrührt? Ist es richtig, die Tür aufbrechen zu lassen, wenn Frau XY wieder nicht öffnet? Und wer übernimmt die Verantwortung, wenn der Entschluss übereilt war? Sind die Anrufe mancher Nachbarn böswillige Denunziationen oder stimmt da wirklich etwas nicht in der Familie? "Ach könnte ich nur durch Mauern sehen", wünscht sich Barbara. Außerdem muss der Jahresabschlussbericht geschrieben werden, für den es schon wieder neue formale Vorschriften gibt.
Die drei haben kaum Zeit zum Luftholen, geschweige denn zum Entspannen. Barbara ist schon seit 20 Jahren im Beruf. Sie versucht ihre Rückenschmerzen zu ignorieren und träumt sich in die einsamsten Gegenden der Welt. Sylvia, auch schon lange dabei, versucht das immer größer werdende Loch von Müdigkeit und Ergebnislosigkeit ihrer Arbeit mit Alkohol zuzuschütten. Und Anika, frisch von der Fachhochschule, hat als alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter große Probleme, alles unter einen Hut zu bekommen.
Zur Autorin Felicia Zeller
Felicia Zeller wurde 1970 in Stuttgart geboren und lebt jetzt in Berlin als freie Autorin und Medienkünstlerin. Sie studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo sie 1998 mit der CD-Rom "Mut der Ahnungslosen", einer Arbeit über nonlineare Dramaturgie, ihr Diplom erhielt. Felicia Zeller hat bereits 17 Theaterstücke geschrieben, zahlreiche Kurzprosatexte verfasst, CD-Roms, Computerinstallationen und diverse Kurzfilme produziert.
All ihre Stücke haben ihre besondere Sprache gemeinsam, die der Theaterkritiker Hartmut Krug einmal "Sprachmusik der Wirklichkeit" nannte. Zeller schnappt, ausgestattet mit einem Notizblock, die alltägliche Sprache ihrer Umgebung auf, hält sie fest und verdichtet sie literarisch zu einem künstlichen, stark rhythmischen und musikalischen Sprechen, das sich schon als "Zeller-Sound" einen Namen gemacht hat. Es gelingt ihr, sehr wirklichkeitsnahe Stücke zu schreiben, die zwar aus Realitätspartikeln gewonnen werden, aber nie realistisch oder dokumentarisch sind. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise.
Auftragswerke/Preise (Auswahl): 1993 Baden-Württembergischer Jugendtheaterautorenpreis für "immer einen hund gehabt/plane crazy (1928)" / 2001 "Club der Enttäuschten" (Stadttheater Konstanz) / 2002 "Triumph der Provinz" (Theaterhaus Jena) / 2005 "Einfach nur Erfolg" (Theater Freiburg) / 2008 "Kaspar Häuser Meer" (Theater Freiburg), Publikumspreis des 33. Mülheimer Dramatikerpreis für "Kaspar Häuser Meer" / 2009 Clemens Brentano Förderpreis für Literatur der Stadt Heidelberg für "Einsam lehnen am Bekannten" / 2010 "Der große Blöff / Entfernte Kusinen" (Saarländisches Staatstheater), Preis des Wirtschaftsclubs für "Kaspar Häuser Meer" / 2011 Nominierung von "Gespräche mit Astronauten" für den 36. Mülheimer Dramatikerpreis / 2012 "X-Freunde" (Schauspiel Frankfurt) / 2013 Nominierung von "X-Freunde" für den 38. Mülheimer Dramatikerpreis, Hermann-Sudermann-Preis und "Stück des Jahres 2013 in Kritikerumfrage von Theater heute" für "X-Freunde", "Die Welt von hinten wie von vorne" (Nationaltheater Mannheim).
Leyla-Claire Rabih, Regisseurin
Leyla - Claire Rabih ist eine französische Regisseurin und Übersetzerin und lebt in Dijon. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften und der Romanistik in Frankreich absolvierte sie ein Studium der Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst in Berlin, das sie 2002 mit dem Diplom abschloss. Seither führt sie kontinuierlich Regie an Theatern in Deutschland (u. a. in Saarbrücken, Konstanz, Göttingen, Staatsschauspiel Stuttgart), Italien, Frankreich und China. Außerdem leitet sie seit 2008 die Compagnie Grenier Neuf in Dijon und arbeitet hier ausschließlich mit neuer Dramatik. Seit 2011 ist sie zusammen mit dem Übersetzer Frank Weigand Herausgeberin der Reihe SCENE.
2013/2014 inszeniert sie zum ersten Mal in Heilbronn und führt Regie beim Stück "Kaspar Häuser Meer".
Premiere am 1. Februar 2014, 20 Uhr, Kammerspiele
Kaspar Häuser Meer
Schauspiel von Felicia Zeller
Regie: Leyla-Claire Rabih
Ausstattung: Michael Köpke
Mit: Luise Schubert (Anika), Sabine Unger (Barbara), Katharina Voß (Sylvia)
Die nächsten Vorstellungen: 05.02. und 28.02. jeweils um 20 Uhr