Premiere am 3. Oktober 2020, 19.30 Uhr, Großes HausEndspielSchauspiel von Samuel Beckett
Regie: Axel Vornam
Bühne und Kostüme: Tom Musch
Dramaturgie: Andreas Frane
Hamm: Oliver Firit
Clov: Stefan Eichberg
Nagg: Frank Lienert-Mondanelli
Nell: Sabine Unger
»Nichts ist komischer als das Unglück«
Samuel Becketts »Endspiel« hat am 3. Oktober im Großen Haus Premiere
Beckett ist eine Ikone des 20. Jahrhunderts, dessen Texte zu ständig neuer Entdeckung einladen. Seine Stücke seien zeitlos, unbestechlich in ihrer Analyse, von einer großen sprachlichen Schönheit und deshalb über jede Kritik erhaben, schrieb Peter Brook in seinem Essay »Mit Beckett leben«. Er verärgere die Leute durch seine Ehrlichkeit, er fabriziere Objekte, führe sie vor: »Was er vorführt, ist furchtbar. Weil es furchtbar ist, ist es auch komisch«, fährt Brook fort und nannte die Uraufführung von Becketts »Endspiel« am Londoner Royal Court Theatre im Jahre 1957 das größte Theaterereignis seit Jahrzehnten.
Das Theater Heilbronn hatte bereits lange vor Corona beschlossen, dieses Stück auf den Spielplan zu setzen. Auch das Motto „Paradise Lost“ stand angesichts all der menschengemachten, weltweiten Probleme wie des Klimawandels, der bitteren Armut in vielen Regionen der Welt, des Raubbaus an der Natur, des Kampfes um lebenswichtige Ressourcen schon lange fest, als Corona plötzlich die Gesellschaft zum Stillstand brachte und dem Motto noch einmal zu einer neuen Brisanz verhalf. Szenarien, wie Samuel Beckett sie in seinem »Endspiel« beschreibt, wurden plötzlich erschreckend aktuell. »Social Distancing«, »Shut- und Lockdown« und die Frage nach dem menschlichen Zusammenhalt während der Auflösung aller Gewissheiten sind dem heute erst recht prophetisch wirkenden Text eingeschrieben. In der Inszenierung von Intendant Axel Vornam kommt das »Endspiel« am 3. Oktober auf die Bühne des Großen Hauses. Für die Ausstattung ist Tom Musch wieder im Inszenierungsteam. Es spielen Oliver Firit (Hamm), Stefan Eichberg (Clov), Frank Lienert-Mondanelli (Nagg) und Sabine Unger (Nell).
»Es ist erstaunlich, wie die Zeit dieses Stück eingeholt hat«, sagt der Regisseur Axel Vornam. Ihn fasziniere, wie Beckett in diesem sinnlich-metaphorischen Stück die ganze Denkgeschichte der Menschheit abklopfe und wie in einer Versuchsanordnung Optionen des Handelns oder Nichthandelns wieder und wieder durchspiele und die Verzweiflung des modernen Menschen zu Kunst forme. »Wenn wir so weitermachen und permanent wider besseres Wissen agieren, landen wir unweigerlich in einer Situation wie im ›Endspiel‹«, so Vornam.
Zum Inhalt
»Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende ….« Die Welt ist zerstört und nahezu menschenleer. In einem Unterschlupf mit zwei trüben Fenstern ins Nichts hausen vier Überlebende einer Katastrophe, deren Ursache wir nicht kennen. Hamm, der Herr, ist blind und an den Rollstuhl gefesselt: »Kann es überhaupt ein Elend geben, das erhabener ist als meins«, bedauert er sich und pfeift nach seinem Diener Clov, um ihn umher zu scheuchen. Clov ist auch nicht der Gesündeste. Mit seinen steifen Beinen kann er kaum gehen, geschweige denn sitzen. Clov hasst seinen tyrannischen Herrn und würde ihn am liebsten verlassen. Aber er bringt es nicht fertig, denn Hamm wäre damit dem Tode geweiht, weil Clov der einzige ist, der sich um ihn kümmern kann. Auch töten kann er Hamm nicht, denn nur der weiß, wie der Speiseschrank zu öffnen ist. Ein Dilemma, in dem auch Hamms Eltern Nell und Nagg, die »verfluchten Erzeuger«, gefangen sind. Sie haben ihre Beine und einen Gutteil ihres Verstandes verloren, hausen neben ihrem launischen Sohn, der ihnen das karge Essen zuteilt, in Mülltonnen und träumen von der Jugend. Wenn Clov auf die Leiter steigt, um aus den Fenstern zu schauen, beschreibt er seinem blinden Herrn das Grau, das er sieht: »Es ist nichts mehr übrig.« Sie spielen das unendliche Endspiel, reden an gegen die Hoffnungslosigkeit und ringen mit bösem Witz um irgendeine »Sinnhaftigkeit« des Noch-Daseins.
»Nicht ist komischer als das Unglück«, sagt Nell an einer Stelle und liefert damit laut Beckett den Schlüssel, wie dieses groteske Szenario in »Endspiel« zu betrachten sei. »Ich möchte, dass in diesem Stück viel gelacht wird. Es ist ein Spielstück«, sagte der Autor seinen Schauspielern, als er das Stück 1967 im Berliner Schillertheater selbst auf die Bühne brachte. Unglaubliche 150 Mal wurde das »Endspiel« in seiner Inszenierung aufgeführt und gefeiert. Neben »Warten auf Godot« ist dieser Klassiker des absurden Theaters Becketts größter Erfolg.
Bühne
Ausstatter Tom Musch hält sich bei der Gestaltung der Bühne an die exakten Anweisungen des Autors, der einen heruntergekommenen Innenraum ohne Möbel, mit zwei sich sehr weit oben befindenden Fenstern, zwei Mülltonen, einem Lehnstuhl auf Rädern und einer Trittleiter beschreibt.
Das ist die Setzung für die künstlerisch minimalistische Versuchsanordnung voller eindringlicher Bilder und Assoziationen. Dass Beckett als Regieanweisung festlegte: »Clov darf Hamm nie berühren« erweist sich in Zeiten von Corona als großer Vorteil.
»Endspiel wird bloßes Spiel sein. Nicht weniger. Von Rätseln und Lösungen also kein Gedanke. Es gibt für solches ernstes Zeug Universitäten, Kirchen, Cafés … Sind Sie der Meinung, dass der Autor eine Lösung der Rätsel parat haben muss? Der dieses Spiels nicht.« (Samuel Beckett)