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Frankreich 2022. Der Literaturwissenschaftler François (gespielt von Hannes Rittig), Professor für Literatur des 19. Jahrhunderts, lehrt ohne großen Ehrgeiz an der Pariser Universität Sorbonne. Er verträgt unglaublich viel Alkohol, ernährt sich von Fastfood aus der Tiefkühltruhe und beginnt jedes Studienjahr eine neue Affäre mit einer seiner Studentinnen. Seine einzige und letzte wissenschaftliche Leistung ist die Promotion über den dekadenten Joris-Karl Huysmans, Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Nach eigener Einschätzung „politisiert wie ein Handtuch“ registriert François eher unbeeindruckt, wie aus den jüngsten Wahlen Marine Le Pens Front National als stärkste Kraft hervorgeht und eine ganz neue Bewegung, die Bruderschaft der Muslime, zweitstärkste Partei wird. Das etablierte Parteiensystem aus Mitte- Links und Mitte-Rechts ist in Auflösung begriffen. Vor den Stichwahlen werden die Wahlkämpfe von bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen begleitet. François hält es wie die meisten Intellektuellen mit der Meinung: Es kommt, wie es kommen muss. Durch die Unterstützung der Sozialisten und der konservativen Parteien, die den Sieg des Front National verhindern wollen, wird schließlich die Muslimbruderschaft stärkste Partei und ihr charismatischer Spitzenkandidat Ben Abbes, ein gemäßigter Moslem und sehr geschickter Politiker, französischer Staatspräsident. Ein politisches Erdbeben.
Doch die gesellschaftlichen Veränderungen vollziehen sich eher langsam und lautlos: die Kriminalitätsrate sinkt, Frauen tragen keine Kleider und Röcke mehr, die Polygamie wird erlaubt, die Arbeitslosenquote wird niedriger, weil Frauen aus dem Berufsleben ausgeschlossen werden und die Familien dafür eine hohe finanzielle Unterstützung erhalten. Die Sorbonne wird eine Islamische Universität und von Saudi Arabien mit unbegrenzten Mitteln ausgestattet. Präsident der Universität wird Robert Rediger, der, bis er aus politischem Kalkül zum Islam konvertierte, einer der führenden Vertreter der rechts-nationalistischen, antimuslimischen Bewegung der Identitären war. Für Rediger ist das christliche Abendland bereits untergegangen. Er traut nur einer starken, patriarchalen Religion wie dem Islam zu, die Gesellschaft zusammenzuhalten.
Alle Frauen und alle nichtislamischen Lehrkräfte müssen die Uni verlassen. Eigentlich, so denkt Francois, geht von den Intellektuellen doch gar keine Gefahr für die neue Ordnung aus. Das konnten sich die Saudis wohl nicht vorstellen: „Sie glaubten im Grunde genommen so sehr an die Macht der intellektuellen Elite, dass es beinahe rührend war.“ Doch dann erhält Francois das Angebot, an die Islamische Sorbonne zurückzukehren, wenn, ja was …?
Gedankenexperiment
Houllebecq stellt mit „Unterwerfung“ ein hochvergnügliches Gedankenexperiment zur Diskussion: Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn die westlich-demokratische Grundkonstitution weiter so rasant erodiert? Wohin driftet Europa, wenn immer stärker rechtsnationale Bewegungen die Regierung stellen? In dem Gedankenspiel geht es weniger um die diffusen Ängste und Vorurteile gegenüber dem Islam, als vielmehr um das Scheitern der linksliberalen intellektuellen Eliten in Europa. Die Krise liegt in deren Ausstieg aus der sozialen Verantwortung und in der Verweigerung eines Diskurses um eine gesellschaftliche Utopie für das 21. Jahrhundert zu entwickeln. Furcht- und kompromisslos und unter völligem Verzicht auf politische Korrektheit zieht Houellebecq aus der Beschreibung dieser Situation seine Schlussfolgerungen.
„Mein Talent besteht darin, Wirkungsmächte in der zeitgenössischen Gesellschaft auszumachen. Mein Roman ist zutiefst zwiespältig, man kann ihn wie eine verzweifelte oder wie eine hoffnungsvolle Geschichte lesen.“ (Michel Houellebecq)
Premiere am 20. Januar 2018, 19.30 Uhr, Großes Haus
Unterwerfung
nach Michel Houellebecq
Bühnenfassung von Axel Vornam
Regie: Axel Vornam
Ausstattung: Tom Musch
Dramaturgie: Andreas Frane
François: Hannes Rittig
Steve: Anjo Czernich
Marie Francoise Tanneur: Sabine Unger
Myriam: Stella Goritzki
Godefroy Lempereur: Gabriel Kemmether
Alain Tanneur: Tobias D. Weber
Robert Rediger: Nils Brück
Weitere Vorstellungen: 25. Januar, 31. Januar, 03. Februar, 7. Februar, 11. Februar, 20. Februar, 20. März, 23. März, 29. März, 11. April, 14. April, 11. Mai – jeweils um 19.30 Uhr