Kethi Naschberger kennt die Berge wie ihre Westentasche. Die Wirtin des Wildschönauer Traditionsgasthauses Thalmühle, die mit Legende Hans Kammerlander schon so manchen Gipfel in der weiten Welt bezwungen hat, gilt in ihrem Heimattal inmitten der Kitzbüheler Alpen als Institution. Bei ihr treffen sich die Tourengeher, tauschen sich über die Verhältnisse am Berg aus, berichten von der legendären Tiefschneeabfahrt, die sie soeben gemeistert haben und holen sich Tipps für den nächsten Tag.
Und das nicht erst, seitdem das Tourengehen als neuer Trend entdeckt wurde. Seit jeher ziehen die Wildschönauer ihren Skiern das Fell über die Ohren, stapfen Hunderte von Höhenmetern die Hänge hinauf, genießen die alpine Einsamkeit, majestätische Ausblicke und gigantische Tiefschneeabfahrten. "Unsere Bergwelt ist einfach wie geschaffen fürs Tourengehen", erklärt Tourismusdirektor Thomas Lerch. "Je nach Schneelage, persönlichem Fitnessgrad oder Zeitaufwand, den man gerade betreiben möchte, bieten sich Dutzende von Varianten an." Als zusätzliches Plus hebt Lerch die leichte Erreichbarkeit hervor. Viele Touren beginnen nämlich direkt bei der 1173 Meter hoch gelegenen Schönangeralm: Das Auto einfach auf dem (kostenlosen) Parkplatz abstellen, Skier anschnallen und los geht's.
Eine ideale Einsteigertour, die speziell nach Neuschnee empfehlenswert ist, führt etwa über die Breiteggalm zur 1961 Meter hohen Wildkarspitze. Nach 830 Höhenmetern und ca. zwei Stunden Aufstieg wird man mit einem grandiosen Rundblick über die Kitzbüheler Alpen belohnt, der sich entlang des Gipfelkammes auftut.
Ebenfalls zu den leicht erreichbaren Zielen gehören das Feldalphorn (1923 Meter), das auch dann noch ins Visier genommen werden kann, wenn andernorts Lawinengefahr droht, und das Schwaigberghorn (1990 Meter), das mit herrlicher Aussicht und einer wunderbaren Abfahrt über die Hänge der Koberalm lockt.
Wer dagegen in die entlegensten Winkel der Wildschönau vordringen möchte, braucht nicht nur eine gute Kondition, sondern muss auch wirklich sicher auf dem Tiefschnee surfen und mit wechselnden Anforderungen in anspruchsvollem Gelände umgehen können. Großer Beil (2309 Meter) und Sonnenjoch (2292 Meter) sind die beiden Gipfel, die zu etwa 3,5-stündigen Märschen durch die Einsamkeit locken. Von der Schönangeralm aus führen die Routen zunächst bis zum Talende, dann den Wald hinauf und über den mit Stahlseil gesicherten Kastensteig zur urigen Gressenstein-Alm in 1805 Meter Höhe. Hier scheiden sich die Wege. Rechts geht's zum Großen Beil, links zum Sonnenjoch - jeweils über verschiedene, anspruchsvolle Steilstufen, die auch bei der Abfahrt wieder zur Herausforderung werden.
"Wer noch wenig Erfahrung im Tourengehen hat, sollte die ersten Ausflüge ins Gelände auf jeden Fall gemeinsam mit einem erfahrenen Guide unternehmen", empfiehlt Thomas Lerch. Darüber hinaus sei die entsprechende Sicherheitsausrüstung inklusive Lawinenpiepser unabdingbar.
Aber auch erfahrene Skibergsteiger vertrauen sich zwischendurch gerne mal wieder einem einheimischen Experten an. "Wir kennen Routen, die in keinem Führer verzeichnet sind", so Richard Mühlegger, der Leiter der Ski- und Snowboardschule Hochtal Wildschönau. "Für viele ist es ein besonderer Kick, weiße Flecken auf der Landkarte zu entdecken und die Bergeinsamkeit dort zu erleben, wo sonst wirklich kaum einer hinkommt."
Für Richard Mühlegger selbst ist dieser Aspekt beim Tourengehen eher zweitrangig. Schon seit Jahren stapft der 57-Jährige jeden Morgen die 1000 Höhenmeter auf den Schatzberg im Wildschönauer Skigebiet hinauf. Pünktlich um 5.30 Uhr schnallt er die Skier an und startet sein Fitnessprogramm, bevor der Arbeitstag beginnt. Um diese Uhrzeit begegnet er am Berg nur Fuchs und Hase - und zwischendurch Kethi Naschberger, die allerdings meistens ein wenig später dran ist als er.