Die Farnkaseralm ist Station einer von vier Genussrouten, die sich quer durch das Kitzbüheler Hochtal schlängeln und auf denen Gäste die schönsten Seiten der urigen Wildschönau kennen lernen. Während man sein Almfrühstück im Angesicht des 1981 Meter hohen Breitegg-Gern genießt, setzt Kristel sich gern dazu. "Anfangs war die Einsamkeit hier oben schon sehr gewöhnungsbedürftig", erzählt die Holländerin, die in Amsterdam studierte und sich "beim Skilehrern" in der Wildschönau Geld verdiente, als sie Robin kennen und lieben lernte.
Während Kristel redet, zuhört und serviert, verabschiedet sich Robin schon. Er muss zur Hochalm, die auf 2000 Meter liegt und auf der das Jungvieh weidet. Die 500 Höhenmeter schafft er querfeldein locker in einer Dreiviertelstunde, und normalerweise hat er seine Lieben schnell gezählt und sichergestellt, dass keine Kuh abgestürzt oder krank geworden ist. "Aber bei Nebel - da kann's Stunden dauern, bis ich alle gefunden habe", sagt er. Und man wünscht ihm, dass das Wetter hält.
Frisch gestärkt geht's wieder ein Stück bergab und weiter zur Schönangeralm, dem Reich des Käse-Königs. Er heißt Johann Schönauer und kümmert sich um 260 Kühe, die täglich 2000 Liter Milch geben, die er in köstlichen Camembert, Kräuterkäse, Bergkäse und Tilsiter verwandelt. Die 25 Bauern, die ihm ihr Vieh anvertraut haben, sind stolz auf ihre Wahl: Denn mit Johann haben sie nicht nur einen Vollblut-Senner engagiert, sondern zugleich einen echten Profi, der bei den Käse-Olympiaden in Galtür schon so manche Goldmedaille geholt hat.
Johann lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Auch in der Schaukäserei nicht, in der er mit Hingabe den Käse pinselt und nebenbei höflich Fragen beantwortet. Übrigens: Johann hat keine Identitätskrise. Dass sein Gesicht mal glatt rasiert, mal mit langem Barthaar überwuchert ist, hat mit einem alten Brauch zu tun. Zu Beginn der Almsaison lässt sich der Senner das Haupthaar stehen - und schneidet es im Herbst erst wieder, wenn auch der letzte Bauer ihn für seinen Einsatz auf der Alm bezahlt hat. "Aber die Wildschönauer haben eine gute Zahlungsmoral - vor Weihnachten ist der Bart immer ab", weiß Tourismusdirektor Thomas Lerch.
Für Christine Thaler spielen nicht nur die Jahreszeiten, sondern oft auch Vollmond oder Sonnenstand eine große Rolle, damit sie den exakten Ernte-Zeitpunkt erwischt. In ihrem Kräuter-Garten - dem Spiegel der Seele, wie es in der Wildschönau heißt - wachsen 80 verschiedene Pflänzchen, die sensibel behandelt sein wollen. Christine Thalers Holzalmhof in 1100 Meter Höhe ist Ziel einer eigenen Genussroute, die neben landschaftlichen Reizen auch tiefe Einblicke ermöglicht. Immer dienstags, wenn die geführten Wandergruppen eintreffen, ist Apotheker Paul Vergörer zugegen und erklärt, welches Kraut gegen welches Leiden hilft. Christine Thaler selbst, die nebenbei leidenschaftliche Malerin ist und ihre Galerie gern für Besucher öffnet, hält etliche Tipps bereit - und offeriert in ihrem Bauernladl eine große Auswahl an Tinkturen und Cremes.
Wer dagegen zu den wahren Wildschönauer Wurzeln vordringen möchte, kommt am Krautinger nicht vorbei. Kaiserin Maria Theresia war es einst, die den armen Wildschönauer Bauern das Recht verlieh, aus der weißen Stoppelrübe Hochprozentiges herzustellen. Heute sind es noch 16 Bauern, die das Brennrecht ausüben - und den mal mehr, mal weniger nach Sauerkraut riechenden Schnaps herstellen, der nur hier gebrannt werden darf und dem heilende Kräfte zugeschrieben werden.
Einer dieser Bauern ist Josef Thaler vom Steinerhof, der pro Jahr etwa 40 Tonnen Rüben auf drei bis vier Hektar Land erntet. Und sie - wie er selbst sagt - zu einer "milden Touristenausgabe" des Krautingers vergären lässt. Wer kosten möchte, kann an der Genuss-Tour am Donnerstag teilnehmen, die zunächst über den Franziskusweg führt, an dem neun Skulpturen dem Sonnengesang des Heiligen als Lob an die Schöpfung in der beeindruckenden Bergwelt huldigen. Nach dem Besuch des Handwerkermarkts im Bergbauernmuseum z'Bach, bei dem rund 20 Wildschönauer vom Schnitzen und Korbflechten bis hin zur Goldstickerei alte Traditionen aufleben lassen, geht's zum 480 Jahre alten Steinerhof. Josef Thaler weiht die Gäste in die Geheimnisse seines Krautingers ein - und serviert anschließend gleich die Krautingersuppe: "Damit die Leute merken, dass die Rübe nicht nur als Schnaps schmeckt", so der gelernte Koch.
Apropos Essen: Die besten Schmalznudeln, eine Wildschönauer Spezialität aus Hefeteig, gibt's unbestritten bei Anna auf der Achentalalm, die Genusswanderer jeweils mittwochs ansteuern. Von Oberau führt der Weg über den Borstadl, von wo aus man einen gigantischen Panoramablick über die alpine Bergwelt genießt, hinüber zu Anna und ihren legendären Schmalznudeln. Die können etwa eine Stunde später auf dem in 1200 Meter Höhe gelegenen Zwecklhof endgültig verdaut werden. Denn hier offeriert Siegfried Kistl seine mehrfach prämierten Edelbrände - vor atemberaubender Kulisse in seiner Schaubrennerei, die in einem Wirtschaftsgebäude aus dem 17. Jahrhundert untergebracht ist.
Genuss hin oder her - für Robin von der Farnkaseralm ist die Sennerei ein hartes Brot. "Wenn ich die Zäune auf der Schattenseite der Hochalm aufgebaut habe, muss ich sie auf der Sonnenseite schon wieder abbauen - und es gibt keine Wege. Das ganze Material muss zu Fuß nach oben getragen werden." Dennoch: Nachdem er den Winter als Snowboardlehrer verbracht hat, freut er sich schon wieder drauf. "Ich habe keinen Chef, dafür Natur pur", sagt der 33-Jährige, der beim Sinnieren ganz schnell die stundenlangen Suchen nach möglicherweise verletzten Tieren auf der Hochalm vergisst. Und damit den Geist widerspiegelt, der die Wildschönauer verbindet und den Urlauber als überraschend empfinden, bevor sie akzeptieren, dass hier die Welt einfach noch in Ordnung ist.
Hinweis: Bei den Genussrouten der Wildschönau handelt es sich um einfache Touren, für die inklusive Zwischenstopps drei bis fünf Stunden einkalkuliert werden müssen. Für Gäste mit Wildschönauer Wanderpass oder WildschönauCard sind die geführten Wanderungen kostenlos, lediglich für die Jausen und Verköstigungen wird ein Unkostenbeitrag erhoben.