Wie steile Felswände ragen die Eismassen hinauf – das Schelfeis ist nicht nur über Tausende Quadratkilometer groß, sondern ist auch an vielen Stellen mehrere Hundert Meter hoch. An seinen Rändern kommt es immer wieder vor, dass sich Teile lösen und ins Meer stürzen. Als Eisberge treiben sie danach auf den Ozeanen. Wie dies erst kürzlich beim Larsen C Schelfeis der Fall war.
Wann und wo Schelfeis bricht, kann die Wissenschaft nicht genau voraussagen. „Bislang beruhten Annahmen dazu immer auf Beobachtungen von Glaziologen und anderen Forschern. Konkrete Berechnungen mit physikalischen Parametern gab es nicht“, sagt Julia Christmann, die bei Professor Dr. Ralf Müller im Lehrgebiet für Technische Mechanik an der TU Kaiserslautern forscht. Als Faustregel gelte etwa, dass das Eis breche, wenn es dünner als 200 Meter sei, sagt sie, wobei es in der Realität auch viele Schelfeise gebe, welche dünner seien.
Beim Brechen der Eisplatten handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Um dieses natürliche Schauspiel zu beobachten, werden auch Satellitendaten zu Hilfe genommen. „Sie spiegeln allerdings nur Momentaufnahmen wider“, sagt Christmann. Im Rahmen ihrer Promotion hat sie mathematische Modelle entwickelt, um zu berechnen, wann und wo das Schelfeis brechen kann. Hierbei sind verschiedene physikalische Faktoren von Bedeutung. „Es spielen beispielsweise Dicke und Dichte des Eis eine wichtige Rolle“, fährt Christmann fort. „Zusätzlich sind die Materialparameter entscheidend, zum Beispiel elastische Faktoren. Diese beeinflussen hauptsächlich den Ort, an dem der Eisberg abkalbt. Oder die Viskosität, die die Zeit zwischen den Abbruchereignissen beeinflusst.“
Bei ihrer Arbeit wurde die Kaiserslauterer Doktorandin auch von Professorin Dr. Angelika Humbert vom AWI betreut. Humbert ist Expertin auf dem Gebiet der Glaziologie. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Eigenschaften und der Bewegung der riesigen Eismassen auf dem Antarktischen Kontinent, welche 70 Prozent des gesamten Süßwasservorrats der Erde ausmachen.
„Das Schelfeis bricht in der Regel an Stellen, welche eine halbe bis zu einer gesamten Eisdicke von der Eisvorderkante entfernt sind“, resümiert Christmann. Für die Wissenschaft können solche Daten wichtig sein, da auf den Schelfeisen in der Antarktis zahlreiche Forschungsstationen ihren Sitz haben, wie zum Beispiel die deutsche Neumayer-Station III oder die britische Station Halley VI, die dieses Jahr wegen eines Risses im Eis für die Überwinterung geschlossen wurde.
Christmann hat ihre Doktorarbeit vor Kurzem abgeschlossen. Sie forscht weiterhin zum Thema Eis. Diesmal beschäftigt sie sich mit den Aufsetzlinien in Grönland. Hierbei handelt es sich um den Bereich, an dem das Eis noch den Boden berührt und in das schwimmende Schelfeis übergeht. Die Forscherin möchte herausfinden, wie sich diese Linien im Laufe der Zeit verändern.