Während 1970 noch fast 80% der Auszubildenden im dualen System aus der Hauptschule kamen, waren es 2004 nur noch 33%, davon 8,3% ohne Hauptschulabschluss. Weitere 24% hatten die Hochschulreife, davon 1,2% über eine Berufsschule, und der Rest einen Realschulabschluss erworben. Heute konkurrieren Absolventen unterschiedlicher Schulausbildung um die gleichen Ausbildungsstellen; die Verlierer in diesem ungleichen Rennen sind bekanntlich die Hauptschüler, die auch bei guten Schulleistungen kaum Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben. "An den Berufsschulen werden Schüler, die man im Alter von zehn Jahren getrennt hat, wieder zusammengeführt. Die Berufsschule steht damit vor der kaum zu lösenden Aufgabe, Jugendliche mit unterschiedlichen schulischen Voraussetzungen und unterschiedlichen Alters (von 16 bis über 25 Jahren) zu unterrichten", so Bosch. "Diese Entwicklung förderte eine Ausdifferenzierung des dualen Systems in Berufsausbildungen mit höheren und geringeren theoretischen Anforderungen."
Weiteres Problem: die stark schwankende und abnehmende Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen. 1985 wurde noch eine Ausbildungsquote von 8,8% der Beschäftigten erreicht. Diese Quote fiel auf etwas über 6%, wo sie heute stagniert. In der Folge, so Bosch, musste der Staat mit überbetrieblichen Ausbildungen und dem Ausbau eines Übergangssystems von berufsvorbereitenden Maßnahmen in die Bresche springen. Ursprünglich gedacht, um Jugendliche mit unzureichenden schulischen Leistungen auf eine Berufsausbildung vorzubereiten, habe die Zahl solcher Maßnahmen zugenommen - durch die Auslagerung berufsvorbereitender Ausbildungsteile aus den Unternehmen, durch steigende Mindestanforderungen an die Allgemeinbildung, aber auch durch abnehmende schulische Leistungen wegen mangelnder Motivation und hohem Migrationsanteil.
"Von der ursprünglichen Zielsetzung, vor allem 'berufsunreife' Jugendliche zu fördern, ist man heute weit entfernt. Schätzungsweise die Hälfte der Jugendlichen im Übergangssystem sind so genannte 'Marktbenachteiligte', das heißt ausbildungsreife Jugendliche, denen nichts fehlt als ein Ausbildungsplatz", kritisiert der Arbeitsmarktforscher. 2004 mündeten fast 40% der Neuzugänge in die berufliche Bildung zunächst einmal in diesem Übergangssystem. Zum Teil holen Jugendliche die fehlende Allgemeinbildung nach, zum Teil werden sie auf unterschiedliche Berufsfelder vorbereitet oder auch nur in Warteschleifen geparkt.
"Gegenwärtig schieben wir rund einen Jahrgang unversorgter Jugendlicher vor uns her. Damit werden uns nicht nur künftige Fachkräfte fehlen. Es wird auch ein viel zu hoher Anteil Jugendlicher mit begrenzter Beschäftigungsfähigkeit, also mit hohem Risiko arbeitslos oder prekär beschäftigt zu werden, ins Erwerbsleben entlassen".
"Die Berufsausbildung in Deutschland ist aber vorrangig nicht ein Auffangbecken für lernschwache Jugendliche, sondern wichtiger Bestandteil des Innovationssystems", mahnt Bosch. Die Reform der Berufsausbildung in Verbindung mit flexibleren Formen der Arbeitsorganisation sei einer der Gründe für die Wiedererstarkung der deutschen Wirtschaft. Diese Innovationsorientierung, die enge Anbindung der Ausbildung an den Arbeitsmarkt und die Aufstiegsmöglichkeiten über Fortbildung oder - neuerdings auch - über ein Studium machten das System weiterhin für Jugendliche sehr attraktiv. "Die Übergänge zur Hochschule müssen allerdings verbessert werden. Vielleicht wird mit den dualen Studiengängen und später mit der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen eine breite Übergangszone zwischen beruflicher und Hochschulausbildung entwickelt."
Weitere Infosrmationen: Prof. Dr. Gerhard Bosch, IAQ, Tel. 0209/1707-117, -178, gerhard.bosch@uni-due.de .