Projektleiter Prof. Dr. Bernhard Badura ist Gesundheitswissenschaftler. Unermüdlich hatte er Unternehmenslenkern seine Vision einer nachhaltigen Gesundheitspolitik vorgetragen – und unzählige Male war er abgeblitzt. „Jeder wollte von mir wissen: Was bringt mir das? Was habe ich für einen zählbaren Nutzen davon, wenn ich in die Gesundheit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiere?“ Dabei war und ist der Wissenschaftler sicher: „Kein Geschäftsführer erreicht Wettbewerbsfähigkeit und Produktqualität allein über Innovationen und Wissensvorsprung. Um erfolgreich zu sein, braucht es leistungsbereites und vor allem leistungsfähiges Personal.“
Um Baduras Überzeugung mit Daten zu untermauern, formierte sich 2006 das Bielefelder Forschungsprojekt „Produktivität von Sozialkapital im Betrieb“. Gefördert durch den Europäischen Sozialfonds und das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erforschte das fünfköpfige Team Nutzen und Kosten eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Rückenschule greift zu kurz
Der von Badura favorisierte Ansatz berücksichtigt die Führung, die Unternehmenskultur, die sozialen Beziehungen, die fachliche Kompetenz und die Arbeitsbedingungen. „Einem vorzeitigen Verschleiß der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird auf allen Unternehmensebenen entgegengewirkt“, erklärt der Professor. Wer seiner Belegschaft Rückenschule oder Raucherentwöhnung anbiete, agiere einseitig. „Solche Maßnahmen werden gemeinhin auch nicht ausgewertet. Ihre Wirkung verpufft.“
Während die negativen Auswirkungen von langem Stehen oder stundenlanger Bildschirmarbeit allgemein bekannt sind, werden nach Baduras Einschätzung die Folgen gestörter Beziehungen noch weitgehend ignoriert. „Gegenseitiges Vertrauen, gemeinsame Überzeugungen, Werte und Regeln sind die Grundlagen menschlicher Kooperation. Werden sie Mangelware, häufen sich Fehler, Missverständnisse und Konflikte. Die kollektive Leistungsfähigkeit einer Organisation sinkt ebenso wie das Wohlbefinden ihrer Mitglieder.“
Wie zufrieden sind die Beschäftigten?
Um dieses so genannte „Sozialkapital“ von Unternehmen sichtbar und messbar zu machen, kooperierte die Bielefelder Forschungsgruppe mit fünf ostwestfälischen Modellbetrieben aus unterschiedlichen Branchen. Rund 5.000 Beschäftigte wurden zu ihren Rahmen- und Arbeitsbedingungen, der Qualität der Führung, der Unternehmenskultur und den sozialen Beziehungen unter den Kolleginnen und Kollegen befragt.
Aus den Ergebnissen zogen die Experten Rückschlüsse auf Gesundheit und Wohlbefinden, die Qualität der Arbeit oder die individuelle Leistungsfähigkeit. Bernhard Badura: „Nach unserer Auswertung konnten wir den Unternehmen wichtige Ergebnisse zurückspielen. Etwa: Wie werden die Arbeitsbedingungen im Betrieb allgemein eingeschätzt? Unterscheiden sich die Werte in der Produktion von denen in der Verwaltung, bei jüngeren und älteren Kollegen oder bei Führungskräften und ihren Teammitgliedern? Oder auch: Sehen Mitarbeiterinnen die Unternehmenskultur anders als ihre männlichen Kollegen?“
Der Nachweis, dass sich die so genannten weichen Faktoren positiv auf die Produktivität auswirken, folgte umgehend. Die Bielefelder Wissenschaftler führten die Ergebnisse der Fragebögen mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zusammen. Die Daten zu Fluktuation, Krankenstand oder Unfallzahlen lieferten die Unternehmen selbst.
Controlling-Systeme im Wandel
„Ziel war es, verschiedenen Hypothesen zu belegen“, so der zweite Projektleiter des Teams, Prof. Dr. Wolfgang Greiner. „Beispielsweise: Je höher die Identifikation, desto besser das Betriebsergebnis.“ Den Experten für Gesundheitsökonomie überraschen die Ergebnisse nicht: „Wir konnten klar belegen, dass eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur sowohl die Gesundheit als auch die Produktivität des Unternehmens steigert. Erfolgreiche Unternehmen sind sozial gut vernetzte Organisationen mit profilierter Unternehmenskultur und hoher Qualität in der Menschenführung.“
Aus der Forschung der Universität Bielefeld ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Unternehmensführung. „Wer den Zusammenhang zwischen Wohlbefinden, Gesundheit und dem Betriebsergebnis routinemäßig belegen möchte, wird seine Controlling-Systeme anpassen müssen“, prognostiziert Prof. Dr. Bernhard Badura. „Die Daten und Kennzahlen, die vorliegen, reichen häufig noch nicht aus oder beziehen sich auf zu große Organisationseinheiten.“ Die Umstellung sei die Mühe auf jeden Fall wert: „Sie kommt dem Erfolg des Unternehmens zugute.“
Am 27. und 28. September 2007 findet an der Universität Bielefeld eine Fachtagung zum Thema „Nutzen und Kosten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ statt. Gesundheits- und Wirtschaftswissenschaftler, Personalverantwortliche und Controller aus Deutschland und Österreich berichten über den Stand der Forschung sowie ihre empirischen Untersuchungen. Experten der Unternehmen Bertelsmann AG, Deutsche Telekom, Thyssen Krupp Steel und des Beratungsunternehmens Management Innovation Dresden stellen ihre Modelle und Erfahrungen vor. Anmeldeschluss ist der 31. August.