Eigentlich hatte sich Sandra Waltenbauer ihren Berufsweg ganz anders vorgestellt. „Ich war sehr jung und wollte nach dem Abitur und meiner Ausbildung zur Examinierten Krankenschwester (so lautete die damalige Berufsbezeichnung der heutigen Pflegefachkräfte, Anm. d. Red.), Operngesang studieren.“ Als Späteinsteigerin in der Musik hat das aber nicht wie gewünscht geklappt. So ging ich der Vernunft wegen wieder Vollzeit in die Pflege.“ Eine Weichenstellung, die sie nicht bereut hat, wie sie selbst sagt. Mitte der 1990er Jahre kam sie an die Klinik Josephinum in München-Schwabing, eine privat getragene Belegarztklinik mit heute 70 Planbetten. „Hier bin ich jetzt seit fast 30 Jahren und ich gehe nach wie vor jeden Tag gerne zur Arbeit“, sagt die sympathische 50-Jährige. „Ich arbeite auf der Normalstation und habe hier mit Patienten aus sämtlichen bei uns angebotenen Fachrichtungen zu tun. Dazu gehören Gastroenterologie, Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie, Viszeralchirurgie, Hämatologie/Onkologie sowie HNO. Ein großer Schwerpunkt meiner täglichen Tätigkeit ist die prä- und postoperative Versorgung der Patienten. Aber auch die Überwachung der Zytostatika-Therapie und Sterbebegleitung spielen in meinem Alltag eine Rolle.“
An ihrem Beruf gebe es vieles, was ihr sehr gefalle. „Pflege ist ein wirklich schöner und sinnstiftender Beruf. Ich persönlich finde den medizinischen Bereich generell spannend. Zudem macht es mir Spaß, im Team zu arbeiten - viele meiner Kolleginnen und Kolleginnen sind genau wie ich schon seit Jahrzehnten hier. Und ich mag es, anderen Menschen zu helfen und Empathie in meine Arbeit zu legen.“ Durch die heutzutage kurzen Liegezeiten sei ein sehr schneller Wechsel bei den Patienten üblich. „Das heißt, man muss sich ständig auf neue Menschen und deren individuelle Gegebenheiten einstellen. Das erfordert Flexibilität.“
Sie persönlich empfinde die vielen Begegnungen als persönliche Bereicherung. „In unserem Beruf führt man sehr schnell tiefe Gespräche. Ich treffe hier Menschen jeden Alters, jeglicher Herkunft und jeden Backgrounds, von der Mutter, die mit ihren Kindern vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet ist, bis hin zum Vorstandsvorsitzenden. Früher waren aufgrund der damaligen Ärzteschaft auch gelegentlich arabische Ölscheichs und der eine oder andere Prominente hier. Besonders faszinierend finde ich den Austausch mit den älteren und den ganz betagten Patienten. Insgesamt bekommen wir sehr viel positives Feedback und sehr viel Wertschätzung für unsere Arbeit. Wenn ich nach Feierabend nach Hause gehe, bin ich zufrieden, wenn meine Patienten happy sind.“
Zu den eingangs genannten Negativschlagworten „Schichtbetrieb“, „Unterbezahlung“ und „Stress“ sagt Sandra Waltenbauer: „Schichtbetrieb gibt es ja in vielen Berufen, nicht nur in der Pflege. Das weiß man, wenn man in diesen Beruf geht und darauf muss man sich ganz einfach einstellen - oder man wechselt in eine Tagesklinik oder in den Aufwachraum mit festen Arbeitszeiten. Der Vorteil der Schichtarbeit ist für mich, dass ich dafür unter der Woche freihabe und Dinge erledigen oder meinen Bergsport ausüben kann.“ Sie selbst arbeite mittlerweile nur noch im Zweischichtbetrieb, ohne Nachtschicht. „Wir haben das Glück, dass es bei uns einige Kollegen gibt, die ausschließlich Nachtschicht machen. So muss sich der Biorhythmus nicht dauernd umstellen.“ Was die Bezahlung angehe, so habe es in den letzten Jahren merkliche positive Entwicklungen gegeben. „Wenn man Medienberichte hört, könnte man denken, wir seien im Niedriglohnsektor. Das ist sicher nicht der Fall. Ich würde sagen, wir verdienen nicht schlecht. Zudem gibt es einige Möglichkeiten, das Gehalt durch Fachweiterbildungen aufzubessern. Da bekommt man in anderen Ausbildungsberufen wesentlich weniger. Aber natürlich ist auch bei uns noch Luft nach oben, vor allem in einer extrem teuren Stadt wie München und angesichts der allgemein stark gestiegenen Kosten.“
Was den Stress angeht, so sei ihr Arbeitsplatz „noch eine kleine Enklave der Glückseligkeit“. „Mein Ansatz ist, die Patienten so zu behandeln, wie ich selbst in einem Krankenhaus behandelt werden möchte. Das kann ich hier umsetzen. Denn aufgrund der Struktur unserer Klinik – eine Belegarztklinik ohne Notaufnahme – geht es bei uns weniger hektisch zu als in einem großen Akutkrankenhaus. Klar gibt es aber auch bei uns Tage, an denen man nur am Rennen ist. Aber das ist nicht jeden Tag so. In kleineren Häusern herrscht in dieser Hinsicht eine andere Situation als bei einem Maximalversorger. Das ist gar kein Vergleich.“ Wichtig sei, auf sich selbst und die eigene Belastungsgrenze zu achten und konsequent die eigene Gesundheit zu pflegen. „Jungen Pflegekräften würde ich raten, ihren Berufsweg zu planen. In jungen Jahren könnte man ja in einem großen Uniklinikum arbeiten. Da mag man oft die Hektik, findet es spannend, dass immer was los ist und kann viel Erfahrung in anspruchsvollen medizinischen Gebieten sammeln. Später kann man wechseln, sodass der Schichtbetrieb reduziert wird oder sogar ganz wegfällt und auf Stationen gehen, wo die körperliche Belastung nicht so hoch ist. Wenn das gelingt, kann man es vielleicht auch schaffen den Beruf bis zur Rente auszuüben. Wie es mit der Belastung durch die künftige Überalterung der Gesellschaft und der geplanten Krankenhausreform aussieht, steht natürlich noch in den Sternen.“
Ein weiterer Aspekt ist Sandra Waltenbauer wichtig: „In diesem Beruf geht es um ganz wesentliche Dinge des Lebens und das macht etwas mit einem selber. Man erlebt viele Schicksale - schöne, aber auch traurige. Man sieht Krankheit, Leid, Heilung, Sterben und Tod. Für mich sind das alles keine Tabuthemen. Ich habe das Gefühl, der Beruf hat mich stärker gemacht fürs Leben, lebenstüchtiger. Mich wirft so schnell nichts um und ich verfalle nicht wegen irgendeiner Kleinigkeit in Panik.“