Spurensuche: Bauhaus-Architektur in Thüringen
Von Gotha bis Gera, von Apolda bis Erfurt, von Eisenach bis Jena – an vielen Orten können die Auswirkungen der bahnbrechenden Bauhaus-Bewegung entdeckt werden. Mal waren es die Lehrer des Bauhauses, mal die Schüler, die mit ihren Plänen eine völlig neue Formensprache sichtbar machten.
Einige Bauhaus-Orte sind fast vergessene Originalschauplätze, andere seit jeher spektakuläre Zeitzeugen. Ein unbestrittenes „Must-See“: Weimar. Die UNESCO-Welterbestadt gilt als Wiege des Bauhauses und beeindruckt mit dem neuen Bauhaus-Museum, der ehemaligen Kunstschule (heutiges Hauptgebäude der Bauhaus-Universität Weimar), dem Haus Hohe Pappeln und Haus am Horn. Letzteres entstand als Musterhaus zur ersten Bauhaus-Ausstellung 1923. Es ist das erste architektonische Zeugnis des Bauhauses in Weimar und gilt sozusagen als Prototyp des modernen Bauens und Wohnens.
Das BauhausVermächtnis kann auch bei einem Spaziergang durch Erfurt bestaunt werden. In den 1920ern wurde die Stadt zum Brennpunkt der Moderne, es entstanden florierende Kunststätten – das Museum am Anger wurde zum Mekka moderner Kunst. Die im klassischen Stil der Moderne errichteten Gebäude in der Innenstadt oder sogar ganze Wohnviertel in Erfurt repräsentieren die Ideen der Bauhaus-Künstler bis heute.
In Jena zählen Mensa, Bühnenhaus, Zeiss-Planetarium und Zeiss-Hauptwerk zu den Klassikern des modernen Bauens. Walter Gropius ließ hier zudem die Wohnhäuser Haus Auerbach und Haus Zuckerkandl bauen – im erstmals umgesetzten architektonischen Baukastenprinzip.
Gera wurde durch Thilo Schoder zur Stadt mit den meisten Baudenkmälern aus der Zeit des Bauhauses in Thüringen – er realisierte die Entstehung von 53 Gebäuden. Bis heute ein international bedeutsames Gesamtkunstwerk in Gera: das Haus Schulenburg, konzipiert von Bauhaus-Legende Henry van de Velde. Es beherbergt ein Privatmuseum mit einer weltweit anerkannten Sammlung von Buchgestaltungen, originalen Möbeln, Stoffmustern und Veröffentlichungen van de Veldes.
Einer der bedeutendsten Architekten Deutschlands, Egon Eiermann, hinterließ in Apolda ein Denkmal der Industriebaukultur: 1938/39 baute er das heute als »Eiermannbau« bekannte Gebäude, das seit 2014 ein Modellstandort der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen ist.
Der Kunstpavillon in Eisenach, einst als Ausstellungspavillon des Automobilwerks awe eröffnet, ist seit 2013 Kulturdenkmal und ein seltenes Beispiel seiner Art mit Bezügen zu Bauten von Gropius und Mies van der Rohe. Auch in Gotha sind die Spuren des Bauhaus-Gedankens im Stadtbild ersichtlich, beispielsweise am Kaufhaus Moses oder in der Gartenstadtsiedlung „Am schmalen Rain“.
In der historischen Innenstadt von Suhl fällt besonders ein Kaufhaus-Gebäude im Bauhausstil auf – es wurde 1928 durch den Bauhausschüler Karl Otto im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen.
Ode an die Bauhaus-Frauen
Über Jahrzehnte hätte man meinen können, das Bauhaus sei männlich. Zur avantgardistischen Bewegung gehörten jedoch auch starke, mutige Frauen – Rebellinnen, deren Einfluss auf die Moderne im Jubiläumsjahr „100 Jahre Bauhaus“ erstmals bewusst Tribut gezollt wird. Die unterschätzten Meisterinnen werden derzeit nicht nur in neuen TV-Produktionen und Büchern thematisiert, auch in den Thüringer Städten begegnet man ihren beeindruckenden Geschichten.
Im Bauhaus-Museum Weimar, in der Kunsthalle Erfurt oder im Kunsthaus Apolda Avantgarde werden sie in ein neues Licht gerückt, die Bauhäuslerinnen. Verdient haben sie es allemal! Viele für das Bauhaus prägende Errungenschaften gäbe es ohne sie nicht, wie das Flachdach – entworfen und erfunden von Friedl Dicker. Sie galt als äußerst talentierte Architektin, die auch in anderen Metiers hervorragte. Alma Siedhoff-Buscher brillierte in der Tischlerwerkstatt: Mit ihrem Baukasten-Kinderzimmer und diversem Holzspielzeug erzielte sie große Erfolge – bis heute wird ihr legendäres Spielzeug produziert. Ihr Schiffbauspiel ist im Bauhaus-Museum Weimar ausgestellt. Marianne Brandt designte die berühmte Bauhaus-Teekanne sowie Zuckerschalen und Sahnegießer. Ihre Kreationen sind Kult und erzielen heute stolze Preise.
Frauenpower am Bauhaus – im Jubiläumsjahr Anlass für spannende Ausstellungen: „Else Hertzer – Die Vielseitige“ ist der Titel einer besonderen Ausstellung in Apolda (30.06. bis 01.09.). Das Kunsthaus Apolda Avantgarde präsentiert erstmals das in Vergessenheit geratene künstlerische Werk der Malerin, Graphikerin und bedeutenden Vertreterin des deutschen Expressionismus.
Die Kunsthalle Erfurt zeigt in der Ausstellung „BauhausFRAUEN – Lehrerinnen und Absolventinnen der Bauhaus Universität Weimar“ (noch zu sehen bis 14.07.) aktuelle Kunstwerke von 35 Lehrerinnen und Absolventinnen der renommierten Weimarer Hochschule. In Erfurt findet sich echter Bauhaus-Stoff und das im wahrsten Sinne des Wortes: Das Margaretha-Reichardt-Haus im Erfurter Ortsteil Bischleben widmet sich dem Lebenswerk der namensgebenden Bauhausabsolventin und Handwebmeisterin. Sie war eine der erfolgreichsten Gestalterinnen aus der Textilwerkstatt des Bauhauses und maßgeblich an der Entwicklung von Gurten aus Eisengarn, einer Stoffbespannung für die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, beteiligt. Das MargarethaReichardt-Haus ist insbesondere aufgrund der originalen Bauhaus-Handwebstühle ein kulturgeschichtliches Denkmal und kann nach Voranmeldung besichtigt werden.
Faszination Bauhaus – Ausstellungen und Veranstaltungen
Das Bauhaus zog prominente Künstler nach Thüringen, darunter Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy und Lyonel Feininger. Doch was haben Wilhelm Löber, Martin Jahn und Thilo Schoder kreiert? – All diesen Namen widmen sich die Thüringer Städte in großartigen Ausstellungen. Dass das Bauhaus bis heute lebendig ist, zeigen Bildende Künstler, Studenten und Absolventen der Bauhaus Universität Weimar, Musiker und Tänzer in beeindruckenden Exponaten bzw. Performances.
Allen voran brodelt es im Epizentrum des Bauhauses: in Weimar. Das neue Bauhaus-Museum Weimar mit der ältesten Bauhaus-Sammlung der Welt wie auch die Dauerausstellung "Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900" im Neuen Museum sind Spitzenreiter unter den Ausstellungsorten und ziehen gemeinsam tausende von Besuchern in den Bann. Das Kunstfest Weimar zelebriert die Gründung der Architektur- und Designschule gebührend mit zahlreichen Programmpunkten (21.08. bis 07.09.). Es ist Thüringens größtes und ein deutschlandweit renommiertes Festival für zeitgenössische Künste. Die „Triennale der Moderne“ (26. bis 29.09.) beabsichtigt, ein überregionales Netzwerk der Moderne aufzubauen, während das Umfeld des neuen Bauhaus-Museums unter dem Motto „Das Bauhaus spielt auf – Klingende Utopien“ zur Kinoleinwand und Orchesterbühne wird (29.09.). Das multimediale Projekt mit dem Bundesjazzorchester kombiniert ein neu komponiertes Konzertprogramm mit Filmen ausgewählter Bauhaus-Meister – ein Augen- und Ohrenschmaus.
Im Bauhaus-Veranstaltungsreigen weist auch Erfurt mehrere lohnenswerte Sonderausstellungen vor, darunter die Ausstellung „Bildermagazin der Zeit. László Moholy-Nagys und Joost Schmidts verlorenes Bauhaus-Buch – ein (Re-)Konstruktionsversuch“ im Angermuseum (05.09. bis 01.12.).
Im unweit entfernten Gotha beeindrucken das Herzogliche Museum mit der ersten monografischen Ausstellung zu Oskar Schlemmer in den neuen Bundesländern (bis 28.07.) und das KunstForum Gotha mit gleich mehreren Teilausstellungen, darunter „Anlass Bauhaus 100 – Thüringer Künstler gestalten und leben Bauhaus 2019“. Dass man sich durchaus über den Tanz dem Bauhaus nähern kann, beweist „DancetronicGotha“ – eine robotische Tanzperformance im Kulturhaus Gotha, frei nach Oskar Schlemmer (03.11.).
Das Bauhaus-Jubiläum ist ein willkommener Anlass, auf ein besonderes Kapitel der Moderne in Jena zurückzuschauen: Mit zahlreichen Originalwerken zeigt die Kunstsammlung Jena „Das Stärkste, was Morgen heute bietet! – Der Sturm in Jena. Zeichnungen, Druckgrafik und Skulpturen.“ (31.08 bis 17.11). Im Stadtmuseum nähert man sich einem wichtigen Teil der Identität Jenas als Lichtstadt: „Leuchten der Moderne. Jenaer Beleuchtungsglas in der Bauhauszeit.“ Es wird daran erinnert, dass die Jenaer Firma Schott wiederholt mit Künstlern des Bauhauses zusammenarbeitete.
Das Haus Schulenburg in Gera präsentiert ein umfangreiches Programm mit Sonderausstellungen zu van de Velde, Thilo Schoder und Georg Muche, während man im Museum für Angewandte Kunst einen Einblick in gegenwärtige BauhausResultate bekommt („Aktuelles Design in Thüringen“; 07.10. bis 29.02.2020).
In Arnstadt widmet sich das Schlossmuseum dem Kunsterzieher und Künstler Martin Jahn mit ca. 50 Kunstwerken aus dem Nachlass (08.06. bis 20.10.). Man erfährt von seinen Studienjahren am Staatlichen Bauhaus in Weimar – hier erhielt er Unterricht bei den Bauhaus-Meistern Lyonel Feininger, Paul Klee und Johannes Itten.
Einen ebenso in Vergessenheit geratenen Bauhausschüler würdigt Ilmenau: Im GoetheStadtMuseum kommt man dem Rügenkeramiker Wilhelm Löber auf die Spur (bis 18.08). Eine Sammlung historischer Fotos seiner zum Großteil verschollenen Keramiken der 1920er Jahre wurde erst kürzlich entdeckt!
Im Kunsthaus Meyenburg in Nordhausen werden die „Klassiker“ der Bauhauskünstler auf dem Tableau serviert – man bekommt Werke von Lyonel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky kredenzt, aber auch die von Nachkriegskünstlern wie Willi Baumeister, Max Ackermann und Josef Albers (14.09. bis 29.12.).
Die vom Lindenau-Museum Altenburg konzipierte Ausstellung „Das Bauhaus – Grafische Meisterwerke von Klee bis Kandinsky“ wandert und wird im Landesmuseum Mainz ein zweites Mal zu erleben sein (24. 09. bis 10.11.2019).
Eines steht fest: Das Bauhaus ist alles andere als langweilig. Es berührt, es rüttelt wach, es regt zum Nachdenken an, es begeistert. Die Thüringer Städte feiern dieses besondere Jubiläum, mit Ausstellungen und Konzerten, aber auch mit Sonderstadtführungen, kulinarischen Bauhaus-Leckerbissen und theatralischen Aufführungen. Es lohnt sich, einen genauen Blick zu riskieren – und mitzufeiern!