Der verstorbene Imam Seyed Mehdi Razvi, der in der Chishti-Tradition lebte, hat es so formuliert: „Ein Sufi ist ein Mensch, der ganz und gar, mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand, auf Gott vertraut. Der Gott mehr vertraut als den Menschen. Und weil er dieses absolute Gottvertrauen hat, kann er auch den Menschen vertrauen – im Vertrauen auf Gottes Rechtleitung." Das ist der Weg des „Großen Dschihad“ oder des „Tikkun olam" der jüdischen Mystik. In den Evangelien lesen wir: „Was Ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt Ihr für mich getan." Oder wie ein buddhistischer Bekannter auf die Frage, was die Hauptaufgabe Gläubiger in Kriegszeiten sei, neulich antwortete: „Dorthin gehen, wo mein Herz brennt."
In diesem Heft möchten wir bewusst einigen Ideen Raum geben, die positive Gegenentwürfe zur angstmachenden Gegenwart darstellen. Wir hoffen, neben der ernsthaften Auseinandersetzung mit den finsteren Zeiten, auch der Hoffnung sowie dem Licht des göttlichen Friedens Raum gegeben zu haben.
Besser als unsere eigenen Worte drückt der Schweizer Publizist Max Feigenwinter es mit seinem Gedicht „Hoffnungsvoll" aus.
Hoffnungsvoll
Was kommt auf uns zu?
Vielleicht
Aufgaben, die uns enorm fordern;
Fragen, die wir uns noch nie gestellt haben;
Wünsche, die wir nicht erfüllen können;
Ansichten, die uns verunsichern;
Entscheidungen, die wir nicht verstehen;
Situationen, da wir nicht mehr aus noch ein wissen;
Menschen, die uns brauchen.
Vielleicht aber auch,
Hilfen, an die wir noch gar nicht denken;
Ideen, die wir noch nie gehabt haben;
Lösungen, die etwas Neues ermöglichen;
Anforderungen, die uns weiterbringen;
Begegnungen, die vieles verändern;
Reaktionen, die uns überraschen;
Menschen, die uns helfen.
Wir wissen es nicht,
und das ist gut so.
Wichtig ist,
dass wir annehmen, was ist,
geben, was wir haben,
tun, was wir können,
sein, wie wir sind,
leben und Leben ermöglichen.
Sufismus
ist eine uralte Weisheit und zugleich eine Methode der geistigen Schulung, die Menschen befähigen soll, diese Weisheit in ihrem täglichen Leben zu verwirklichen.
Der Universale Sufismus
nach Hazrat Inayat Khan ist nicht auf bestimmte Dogmen, Rituale oder spirituelle Techniken festgelegt.
Der Universale Sufismus baut eine Brücke über die Unterschiede und Grenzen, die Menschen und Religionen voneinander trennen. Er ermöglicht auch, die eigene Religion besser zu verstehen und zu leben, weshalb jeder diesen Weg gehen kann, unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
Hazrat Inayat Khan
wurde am 5. Juli 1882 in der indischen Stadt Baroda geboren. Seine hoch angesehene Familie war durchdrungen vom Geist mystischer Religiosität und von der Liebe zur klassischen indischen Musik. Inayat Khan war von Kind auf in Kontakt mit den geistigen Traditionen des Islam wie des Hinduismus, in einer Atmosphäre freundlicher Toleranz über alle konfessionellen Grenzen hinweg. Im Jahre 1910 bekam er von seinem spirituellen Lehrer, Abu Hashim Madani, der der Sufi-Tradition der Chishtis angehörte, den Auftrag, den Sufismus in den Westen zu bringen. Hier wurde er der Begründer und das geistige Oberhaupt (Pir-o-Murshid) der Sufi-Bewegung und ihrer esoterischen Schule, des Sufi-Ordens (heute Inayatiyya), und er schuf den Universellen Gottesdienst. Längere Zeit lebte er in Suresnes bei Paris, von wo er oft zu Reisen in die ganze westliche Welt aufbrach. Seine Vorträge füllen die 13 Bände seiner „Sufi-Botschaft“. Er starb am 5. Februar 1927 in New Delhi.
Hazrat Inayat Khans Lehre und die seiner Nachfolger ist geprägt von einer umfassenden Toleranz, einer Verehrung und Liebe zu allen Prophetinnen und Propheten und Heiligen der Menschheit und einem Verständnis gegenüber der Vielfalt der religiösen Traditionen und Lebenserscheinungen.
SIFAT - Zeitschrift für Universalen Sufismus | Heft 3/2022 - Frieden | Verlag Heilbronn