Bund und Länder streiten seit fast zehn Jahren mit der Europäischen Kommission darüber, ob Bauprodukte, die nach europäisch harmonisierten Normen und mit CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden, in Deutschland verwendet werden dürfen, ohne zusätzliche Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Seit dem ersten Mahnschreiben der Kommission aus dem Oktober 2005 verteidigt Deutschland die in der Bauregelliste Teil B angeführten Zusatzanforderungen im Kern mit zwei Argumenten: Erstens regele das Europäische Bauproduktenrecht nur des Inverkehrbringen von Produkten auf dem Binnenmarkt. Die Verwendung von Bauprodukten sei hiervon nicht erfasst. Diese der Sicherheit von Bauwerken zuzuordnende Materie obliege der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesländer. Zweitens seien ergänzende nationale Anforderungen jedenfalls in Fällen zulässig, in denen die europäische Harmonisierung von Produkteigenschaften oder Bewertungs- und Prüfverfahren aus Sicht der Mitgliedstaaten "lückenhaft" und ungenügend sei.
Behinderungsverbot betrifft auch Verwendung von Bauprodukten
Der EuGH hat nun beiden Argumenten den Boden entzogen. Das Gericht stellte am Beispiel von drei Produktgruppen (Elastomer-Dichtungen nach EN 681-2; Wärmedämmstoffe nach EN 13162 sowie Tore nach EN 13241-1) fest, dass die in Bauregelliste B enthaltenen zusätzlichen Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung von harmonisierten Bauprodukten in Deutschland gegen Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Bauproduktenrichtlinie (BauPRL) verstoßen. Das in diesen Vorschriften enthaltene sog. Behinderungsverbot untersagt den Mitgliedstaaten, den "freien Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung" von richtlinienkonformen Produkten zu behindern. Wenn ein Mitgliedstaat "Lücken" in einer harmonisierten Norm findet, darf er diese nicht im Alleingang durch nationale Anforderungen schließen, sondern muss die für diesen Fall im Unionsrecht vorgesehenen besonderen Verfahren nutzen und seine Bedenken auf europäischer Ebene zur Diskussion stellen.
Ergänzende nationale Regelungen sind unzulässig
Formal hat der EuGH noch am Maßstab der alten BauPRL entschieden, da es aus prozessualen Gründen nicht möglich war, die zum 1. Juli 2013 wirksam gewordenen Regelungen der neuen Bauproduktenverordnung (BauPVO) in das Verfahren einzubeziehen. Die Entscheidung des EuGH gilt aber uneingeschränkt auch unter der BauPVO und damit für alle unter ihr in Verkehr gebrachten Produkte. Das bislang in Art. 6 der alten BauPRL enthaltene Behinderungsverbot ist nun in Art. 8 BauPVO enthalten. Es wurde durch die unmittelbare Geltung der neuen Verordnung in allen Mitgliedstaaten verstärkt. In Art. 8 Abs. 3 BauPVO ist zudem ausdrücklich geregelt, dass ergänzende nationale Kennzeichnungspflichten für CE-gekennzeichnete Produkte im Bereich harmonisierter Produkteigenschaften unzulässig sind. Auch sieht die neue Verordnung besondere Verfahren vor, die ein Mitgliedstaat bei "Lücken" in harmonisierten Normen nutzen muss. Sie belässt keinen Raum dafür, die Verwendung harmonisierter Produkte in Deutschland von einer ergänzenden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung oder anderen zusätzlichen Anforderungen abhängig zu machen.
Grundlegende Überarbeitung der Bauregelliste erforderlich
Um die Vorgaben des Urteils umzusetzen, wird das DIBt die Bauregelliste B grundlegend überarbeiten und in weiten Teilen streichen müssen. Es darf nur noch festgelegt werden, welche Leistungen (Klassen, Leistungsstufen oder Beschreibungen) ein harmonisiertes Produkt für eine bestimmte Verwendung erfüllen muss. Alle weiteren Vorgaben - wie ergänzende Anforderungen, Prüf-, Nachweis- und Kennzeichnungspflichten, die insbesondere in den Anlagen zu Bauregelliste B Teil 1 vorgesehen sind - sind nicht mehr anwendbar und müssen aufgehoben werden.
Die Entscheidung des EuGH gibt wichtige Impulse dafür, die Reform des Bauproduktenrechts auch in Deutschland zu einem Abschluss zu bringen. Bund und Länder sollten das Angebot der Kommission, "nun eng mit den deutschen Behörden zusammen[zu]arbeiten, um das Urteil umzusetzen" annehmen und endlich Rechtssicherheit für Verwender, Händler und Hersteller schaffen.