Dass alles so bleiben kann, wie es ist, glauben selbst die größten Optimisten nicht. Deshalb bestand großer Redebedarf und die Diskussion war erfrischend offen:
In den meisten Katastrophen, Krisen und Kriegen ist es die Kultur, die Kommunikation der Menschen untereinander und der Zusammenhalt, welche Mut und Zuversicht wieder sprudeln lassen. Veranstaltungshäuser, Kulturhallen, Konzertsäle, Messehallen, Kongresszentren, Museen und Theater sind stillgelegt, obwohl sie erfahrungsgemäß dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Eines der großen Paradoxe dieser Krise. Die Wissensgesellschaft braucht Treffpunkte für den Ideenaustausch. Es braucht Kulturereignisse: Neues ausprobieren und kennen lernen, Erfahrungen teilen und das Beziehungsnetzwerk pflegen. Das ist kein lässlicher Luxus, sondern die Voraussetzung dafür, dass es insgesamt weitergehen kann.
Die komplett heruntergefahrene Veranstaltungsbranche ließ sich über Nacht ausschalten. Diesen Betrieb aber wieder hochzufahren, ist ein komplexes Projekt. Alle Termine sind durch die Verschiebungen ineinander verkeilt wie bei einem Crash. Viele Partner haben umdisponiert. Auflagen und Hygienekonzepte reduzieren die Chancen auf Refinanzierung durch Eintrittsgelder, kostenlose Streaming-Alternativen forcieren einen Preisverfall und fördern Konzentrationsprozesse. Das dicht gewebte Netzwerk reißt und bekommt täglich größere Löcher.
Die Zukunftsaussichten sind sehr gemischt. Für die einen ändert sich fast nichts bis auf die gereizte Stimmung ihnen und ihren ‚Privilegien’ gegenüber. Für andere bricht eine Welt zusammen und sie müssen die Profession verlassen. Die meisten werden sich anpassen und ihr Heil darin suchen, digitale Reichweiten mit der Faszination des Augenblicks am richtigen Ort zu verbinden. Wie geht es kurz- und mittelfristig weiter? Hat der gewonnen, der sich zuerst bewegt? Derweil verschieben sich die Marktanteile und die Fähigkeiten, Standards zu setzen zwischen den Kontinenten und auch den Branchen. Wer sich jetzt nicht um seine Kunden kümmert, wird erleben, dass es andere tun. Dadurch geraten gesetzte Selbstverständlichkeiten ins Rutschen und müssen wieder von neuem aufgebaut werden. Wer will sich das antun?
Auf diese Pandemie gibt es nicht nur eine Antwort, eine Wahrheit oder eine Strategie, vielmehr braucht es die Bereitschaft, Scheuklappen abzulegen und das Eigene mit den Augen der anderen zu sehen. Nur so lässt sich das Denken in Silos überwinden, in denen das Wissen und die Kreativität sortenrein verdichtet sind und zu wenig Platz haben, sich mit dem Wissen aus anderen Disziplinen zu mischen und zu gären und eine neue Normalität herzustellen. Die Krise ist eine Chance, Dinge zu tun, von denen man wusste, dass sie getan werden müssen, die bisher immer wieder aus einer Vielzahl auch guter Gründe aufgeschoben worden sind.
In dieser aktuellen und sicherlich unübersichtlichen Situation wollte die Wiesbaden Congress & Marketing ein Zeichen setzen und hatte zu einer Konferenz eingeladen. „Pfade in die Zukunft“ war das Thema eines Gipfeltreffens für die Veranstaltungsbranche, welches am 11. und 12. Februar 2021 im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden stattgefunden hat – als Online Live-Veranstaltung. Die Idee und Motivation hinter dem Gipfeltreffen ist offensichtlich: Gemeinsam über den Re-Start der Veranstaltungsbranche nachzudenken und voneinander zu lernen, wo sonst der Wettbewerb dominiert.
Es wird Zeit, Pfade in die Zukunft zu finden. Diese könnte vielleicht sogar besser werden, aber auf jeden Fall ist sie anders:
Das Gipfeltreffen war die erste Veranstaltung, die spartenübergreifend die Gemeinsamkeiten von Kulturschaffenden, Messe- und Bühnenbauern, Konzertagenturen und Kongressorganisatoren darstellte. Sie alle sind auf Resonanz und Aufmerksamkeit angewiesen, um weiter arbeiten zu können.
Über allem steht die Erkenntnis, dass die Pandemie-Krise eine Anpassung und Neuausrichtung der Veranstaltungsformate mit sich bringt. Die Attraktivität z. B. von Kongressen wird künftig weniger von der Besucherzahl bestimmt sein als von Begegnungsmomenten und Begegnungstiefe der Teilnehmenden. Die Terminfindung und Ausrichtung der Veranstaltung richtet sich zukünftig mehr nach den Bedürfnissen der Community. Standortfaktoren der Destinationen und Kongresshäuser, wie Lage, Attraktivität oder Wohlfühlatmosphäre erleben eine Wiederbelebung, rücken in den Fokus, bieten einen merklichen Unterschied zum digitalen Treffen. An die Stelle der Effizienz wird die Effektivität treten, die Innovation, Inspiration und die Intensität der Erfahrung. Kreativität, Agilität und Flexibilität sind gefragt, wenn es um die Ausgestaltung digitaler Begegnungen geht. Innovative Veranstaltungsformate, die seit Jahren Frontalvorträge ablösen, werden noch mal neu definiert und müssen ins Digitale übertragen werden. Kongresse und Veranstaltungen werden auf unterschiedlichen Medien zeitgleich stattfinden, ja sogar parallel in unterschiedlichen Städten. So wird ein Kongress zentral in einer Stadt organisiert, die begleitenden Workshops oder Vorträge finden parallel an unterschiedlichen Standorten statt und werden dazu noch digital übertragen.
Die beteiligten Referenten sind sich einig: Die Digitalisierung kann den persönlichen Austausch nicht ersetzen, aber sie kann helfen, um miteinander in Kontakt zu bleiben – da, wo man sich einmal im Jahr auf Leitmessen begegnete, kommuniziert man zwischendurch in unterschiedlichen Medien, sozusagen Crossmedial, miteinander. Es wird eine Co-Existenz geben: physische und digitale Interaktion wechseln sich ab und ergänzen sich gegenseitig. Für die Zeit nach der Corona-Krise muss sich in der Veranstaltungsbranche ein neues Gleichgewicht aus persönlicher Präsenz und digitaler Distanz einstellen und finden.
Stephan Grünewald, Psychologe, Gründer des Kölner rheingold-Institutes und Berater der Landesregierung NRW bilanzierte die Krise und ihre Stimmungswechsel. Er plädierte dafür, elastisch zu reagieren und meinte zum Lockdown-Fundamentalismus: „Der Lockdown darf nicht zum Knockdown werden.“ Deutschland dürfe nicht zu einem 'Land der Dichtmacher und Querdenker‘ werden. „Es braucht dringend wieder Treffpunkte und Anlässe, Ideen auszutauschen, um der Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken.“
Li Edelkoort sah in Zukunft das Improvisationsvermögen gefragt und den Abschied von der Perfektion überfällig. Basteln, Selbermachen, Patchwork prägten die Zukunft. Das könnten wir von außereuropäischen Gesellschaften lernen. Und Wolf Lotter rief die Branche auf, über den Tellerrand zu schauen, die Scheuklappen abzulegen, Zusammenhänge zu nutzen, Kontexte zu pflegen und Komplexität zu lieben anstatt alles auf eine eigene Zuständigkeit runterzubrechen. Erst dann werden disruptive Zumutungen zu Chancen der Transformation.
Neben den Motivations-Vorträgen gab es eine Reihe von konkreten Beispielen, wie die Zukunft aussehen kann. Stefan Koschke (Director Messe Düsseldorf) berichtete vom gelungenen Caravan Salon in Düsseldorf. "Nie gab es eine solche intensive Beratungssituation auf der Messe“. Oliver Frese (Koelnmesse) berichtete von der Gamescom, die komplett im Netz stattfand. „Nie gab es eine so globale Reichweite“. Deutlich kritischer waren die Berichte aus dem Kultursektor. Marsilius Graf von Ingelheim berichtete über die Streaming-Partnerschaft des Rheingau-Musik-Festivals mit Telekom Magenta. Aus Wiesbaden war Peter Post von der Agentur Scholz & Volkmer dabei, die digitale Parallelwelten für Präsenzveranstaltungen entwickelt, die sie vor- und nachbereiten. Als Höhepunkte dramatisieren sie die ‚Customer journey‘ und begleiten die Kunden zwischen den Veranstaltungsterminen.
Kritisch mit den Angeboten der Veranstalter ging Robert Sarcevic (Siemens) um. Sie müssten umdenken und den Kunden Reichweite anbieten und nicht nur Quadratmeter Hallenfläche. Und Lutz Dietzold vom Rat für Formgebung sah die Zeit endgültig gekommen, dass der Content, die Inhalte, im Zentrum stünden und sich die passenden Formate aus beiden Welten suchten.
In der Abschlussrunde berichteten Verbandsvertreter über ihre Gespräche mit Kunden und auch mit der Politik. Wie zentral die Veranstaltungsbranche für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist und auch als Gastgeber und Ermöglicher für den Austausch der Wissensgesellschaft, das sei ihnen auch selbst erst in dieser Krise richtig bewusst geworden. Und mit diesem neuen Selbstbewusstsein, mit dem sie aus der Krise kommen, können sie die Politik überzeugen, alle Beteiligten bis zu den Catering- und Bühnenbau-Teams wertzuschätzen und Respekt zu zollen. „Wir können so auch die eigenen Leute motivieren, die sich vielfach verraten fühlen…“, so Jan Kalbfleisch vom FAMAB.
Programmkurator Helmut M. Bien war hochzufrieden: „Wir hatten die Influencer der Branche im Stream und hoffen, dass die Veranstaltung als Anti-Depressivum wirkt."
Die veranstaltende Wiesbaden Congress & Marketing GmbH mit der Dachorganisation „Convention Wiesbaden“ war mit dieser Auftaktveranstaltung zum Re: Start sehr zufrieden. Das Land Hessen bestätigte in Person von Dr. Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, die Bedeutung des Wirtschaftsfaktors Veranstaltung und Wiesbadens Bürgermeister und Wirtschaftsdezernent Dr. Oliver Franz sprach von einem wichtigen Impuls auch für die Region RheinMain, die auf den Re: Start des Austausches von Ideen angewiesen sei, wie kaum eine andere.
„Wiesbaden ist gewappnet für den Re-Start. Es wird sich auszahlen, dass wir mit dem Neubau des RheinMain CongressCenter nicht auf Masse und Fläche gesetzt haben, sondern auf eine individuelle und flexible Raumlösung. Wir bieten unseren Kunden die Möglichkeit, Veranstaltungsfläche parallel zu bespielen und diese je nach Bedürfnis variabel zu vergrößern bzw. zu verkleinern. Wir bieten die nötige technische Ausstattung und haben uns die Expertise und Erfahrung in der Ausrichtung von digitalen und hybriden Formaten angeeignet. Ich denke, das haben wir mit unserem Gipfeltreffen noch einmal eindrücklich bewiesen“, resümiert Martin Michel seine Erkenntnisse aus der Veranstaltung.
Liste der Panels:
- Panel 1: Was bleibt/ was kommt? Neue Normalitäten
- Panel 2: Krisenreaktionen – Krise als Chance?
- Panel 3: Zukunftspläne - Stimmungsbarometer
- Panel 4: Kongresse – Neue Begegnungsformate
- Panel 5: Kultur: Performance und Reichweite
- Panel 6: Renaissance der Location: Der Raum ist die Hälfte des Erlebnisses
- Panel 7: Direktion - Transformation
- Panel 8: Digitale Zwillinge – Coding Connectivity & Community
- Panel 9: Hybrid Events - Erfahrungen mit Studios und Streamings
- Panel 10: Aufbruch zu neuen Ufern
- Panel 11: Krisenkommunikation & Summary
- Keynote von Li Edelkoort: Forecast 2030
- Keynote von Wolf Lotter: Context is king
- Dr. Matthias Alexander, Redakteur FAZ
- Christiane Appel, Chefredakteurin m+a report
- Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org
- Helmut M. Bien, Geschäftsführer Westermann Kommunikation, Kurator
- Jürgen Boos, Direktor und Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse GmbH
- Joachim Bruchhäuser, Geschäftsführer schokopro GmbH
- Maximilian Broglie, Geschäftsführer DGIM
- Chris Cuhls, Regisseur und Konzepter
- Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung
- Lidewij Edelkoort, Trendforscherin und Analystin
- Christian Eichenberger, Geschäftsführer partyrent
- Claus Fischer, Geschäftsführer Voss+Fischer, ADC Präsidium
- Dr. Oliver Franz, Bürgermeister und Wirtschaftsdezernent Landeshauptstadt Wiesbaden
- Oliver Frese, Geschäftsführer Koelnmesse GmbH
- Jesper Götsch, CEO Jazzunique GmbH
- Stephan Grünewald, Psychologe, Gründer des rheingold-Instituts und Bestsellerautor
- Jan M. Heckmann, Leiter der IAA beim Verband der Automobilindustrie e.V.
- Christoph Hinte, Geschäftsführer HINTE Messe- und Ausstellungs GmbH
- Jan Kalbfleisch, Geschäftsführer des FAMAB e.V.
- Gerald Kink, Präsident DEHOGA Hessen
- Prof. Dr. Eckart Köhne, Präsident Deutscher Museumsbund
- Stefan Koschke, Director Messe Düsseldorf
- Thomas Künstler, Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen, Referent für Beteiligung und Digitales
- Ralph Larmann, Event-Photograph
- Wolf Lotter, Wirtschaftsessayist und Autor, Keynoter
- Ralph Mauel, Inhaber & Geschäftsführer studio-toGo.de
- Martin Michel, Geschäftsführer Wiesbaden Congress & Marketing GmbH & Gastgeber der Veranstaltung
- Tomas Niederberghaus, Consulting, Storytelling Strategist, Advisor Hotellerie
- Dr. Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen
- Cai Tore Philippsen, Redakteur digitale Produkte FAZ
- Johannes Plass, Co Founder und CEO MUTABOR
- Peter Post, Designer und Geschäftsführer Scholz & Volkmer
- Robert Sarcevic, Director/Head of Fairs, Siemens' Global Business Services
- Carola Schröder, Bereichsleiterin Kongresse intercongress
- Matthias Schultze, Geschäftsführer des GCB German Convention Bureau e.V.
- Gerhard Schulz, Vorstand Kulturzentrum Schlachthof Wiesbaden
- Dr. Mike Seidensticker, Messekommunikationsexperte
- Daniela Stack, Director New Fairs & Events
- Udo Traeger, Berater für internationales Messemanagement, Dozent an der Dualen Hochschule Baden–Württemberg, Mannheim
- Nico Ubenauf, Vorstand satis&fy AG
- Marsilius von Ingelheim, Managing Director Rheingau Musik Festival
- Patric Weiler, Director Strategy & Innovation, Experte für Marketing & Kommunikation
- Stephan Wilhelm, Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation
- Olaf Zimmermann, Geschäftsführer Deutscher Kulturrat e.V.
Programm und Speaker:
www.wiesbaden.de/gipfeltreffen
Pressematerial:
https://www1.wiesbaden.de/microsites/convention/news-und-social-media/gipfeltreffen-presse.php
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