„Nächtliches Zähneknirschen oder Bruxismus ist ein weit verbreitetes Phänomen“, erklärt Hans-Peter Küchenmeister, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein. „Es kann zu schweren, manchmal irreparablen Schäden am Kauapparat führen.“ Beim Bruxismus werden leere Kaubewegungen mit außerordentlich hohem Druck ausgeführt. Zu beobachten sind bei etwa 80 Prozent der Menschen geringere Störungen des Kauapparates. Aber nur rund fünf Prozent haben derart starke Beschwerden, dass sie einen Arzt oder Zahnarzt aufsuchen. Betroffen sind zu 80 Prozent junge Frauen – warum, das ist medizinisch noch weitgehend ungeklärt. Übt ein entspannter Mensch lediglich einen Druck von 40 kg/cm² beim Kauen aus, so werden daraus beim Zähneknirscher bis zu 480 kg/cm². Für lang andauernden Kontakt ist unser Gebiss nicht geschaffen. Im Normalfall berühren sich unsere Zähne nur etwa 10 bis 30 Minuten am Tag beim Kauen und Schlucken. Beim Bruxismus kommen rund 45 Minuten Mahlen, Knirschen und Pressen dazu. Kein Wunder also, dass Zähne und Kiefergelenke enorm darunter leiden.
Der ganze Körper leidet mit Das Zähneknirschen ist eine Fehlfunktion, die dem Gebiss mehr zumutet, als es vertragen kann. Schneidekanten und Kauflächen werden stark abgerieben. Der Zahnschmelz kann Risse bekommen. Zahnfleischbluten und lockere Zähne können Folgen des Knirschens sein. In schlimmen Fällen werden Zähne über Monate und Jahre bis auf kleine Stümpfe abgerieben.
Durch das Zusammenspiel von Muskeln, Kiefergelenken und einem komplizierten Band- und Gelenkkapselapparat sind wir in der Lage, den Mund zu öffnen und den Unterkiefer zu den Seiten und nach vorn zu bewegen. Wird dieses System durch ständiges Zähneknirschen überstrapaziert, können Schmerzen in der Kaumuskulatur und in den Kiefergelenken auftreten. Das Öffnen des Mundes kann eingeschränkt oder ein Knacken und Reiben im Kiefergelenk hörbar werden. Die Statik der Kiefergelenke stimmt nicht mehr.
Durch das starke Pressen und Beißen entstehen aber nicht nur Schäden im Gebiss: Die übermäßige Anspannung der Muskeln kann auch Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich, in der Schläfen- und Ohrgegend auslösen. Bei vielen Patienten werden diese Schmerzen von Seh- und Konzentrationsstörungen begleitet. In internationalen Studien wurden Zusammenhänge zwischen Tinnitus (dauerndes Pfeifen, Klingeln, Hämmern oder ähnliches im Ohr) und Störungen der Kaumuskulatur festgestellt. Ähnliches erbrachte eine Studie, die Patienten mit einseitigen Nervenschmerzen im Bereich von Kaumuskulatur, Lippen, Zunge oder Wangen (Trigeminusneuralgie) untersuchte.
Sowohl die Kopf- als auch die gesamte Körperhaltung kann durch die veränderte Stellung der Kiefer beeinflusst werden. Sogar chronische Rückenschmerzen können das Ergebnis einer Fehlstellung im Bereich der Kiefergelenke sein, die auf das nächtliche Zähneknirschen zurückgeht.
Nicht immer sind die Ursachen eindeutig Es gibt mehrere Gründe dafür, warum Patienten mit den Zähnen knirschen. Häufig sind sie psychischer Natur. Stress im Beruf oder im privaten Umfeld, das Bewältigen von Konfliktsituationen, Ängste, sexuelle Probleme können dazu führen, dass sich der Betroffene über nächtliches Zähneknirschen abreagiert. „Wenn wir große Belastungen „zähneknirschend hinnehmen“ oder „die Zähne zusammenbeißen und ein Problem durchstehen“, dann sind das nicht nur Redensarten“, erläutert Dr. Oswald Rogner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein. „Wenn der Stress groß ist, werden Probleme buchstäblich immer und immer wieder durchgekaut.“ Oft geschieht das nachts während der Traumphase, wenn das Gehirn psychische Belastungen verarbeitet. Es gibt aber auch Menschen, die tagsüber mit den Zähnen knirschen, ohne es zu merken. Vielen wird das erst bewusst, wenn sie von ihrem Partner oder jemand anders darauf angesprochen werden.
Aber auch rein mechanische Ursachen können zu nächtlichem Zähneknirschen führen. Das können zum Beispiel zu hohe oder zu tiefe Füllungen, unbrauchbar gewordener Zahnersatz wie Kronen, Brücken oder Prothesen oder Zahnlücken im Seitenzahnbereich sein.
Da sich die Kiefermuskulatur vom Unterkiefer aus fächerförmig in die Schläfen- und Schädelregion verzweigt, sind die Kiefergelenke als Verursacher von Beschwerden nicht immer leicht zu diagnostizieren.
Am Zahnarzt kommt kein Knirscher vorbei
„Wer mit den Zähnen knirscht, sollte so schnell wie möglich seinen Zahnarzt aufsuchen“, empfiehlt Hans-Peter Küchenmeister. Mechanische Ursachen können in der Regel schnell und wirkungsvoll behoben werden.“ Das kann durch Einschleifen, Schienen oder das Eingliedern von neuem Zahnersatz geschehen. Manchmal sind kieferorthopädische oder –chirurgische Behandlungen nötig. Was im einzelnen Fall hilft, kann der Zahnarzt im Rahmen einer individuellen Diagnose feststellen, um das Problem dann gezielt zu beseitigen.
„Anders sieht es aus, wenn die Ursachen für das Knirschen im seelischen Bereich zu finden sind“, so Küchenmeister weiter. „Dann dauert die Behandlung länger und ist schwieriger, denn zusätzlich zu den zahnmedizinischen müssen die seelischen Probleme erkannt und bewältigt werden.“ Der Zahnarzt wird in solchen Fällen zunächst eine Entspannungstherapie empfehlen. Zum Beispiel sorgt eine Schiene dafür, dass die Selbstzerstörung durch das Knirschen aufhört. Sie wird individuell für das Gebiss des Patienten angefertigt und in der Regel vor dem Schlafengehen auf die Zahnreihe gesetzt. Sie verhindert das Knirschen und schützt den Patienten damit vor sich selbst, bis eine Therapie greifen kann, die die seelischen Nöte behebt.