Lynn Hershman Leeson, die sich zunächst der Performance- und Konzeptkunst zuwandte, begann ihre Karriere in den späten 1960er- Jahren. Ihre innovativen Arbeiten behandeln Themen, die mittlerweile als Schlüssel zu gesellschaftlichen Fragestellungen zu verstehen sind: Die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine, die Konstruktion von Identität, Überwachung, die Beziehung des Realen zum Virtuellen sowie die Nutzung der Medien als Werkzeug gegen Zensur und politische Unterdrückung. Außerdem ist sie eine starke Stimme innerhalb der feministischen Bewegung.
Ihre bekannteste Werkreihe Roberta Breitmore (1973-1978) wird bestimmt von der gleichnamigen Kunstfigur. Als eine Art Klon der Künstlerin wird deren Leben von 1973 bis 1978 in Echtzeit und in der realen Außenwelt inszeniert - Roberta Breitmore wird überwiegend von Hershman Leeson selbst verkörpert, aber auch teilweise simultan von drei anderen Frauen. Kunst und Wirklichkeit werden in dieser Figur ununterscheidbar miteinander verbunden. Mit Roberta Breitmore hat Hershman Leeson der Idee einer künstlerisch konstruierten Identität eine Form gegeben und damit die virtuellen Welten des Second Life um viele Jahre vorweggenommen.
Das Themenspektrum, das Hershman Leeson durch ihre Kunstfigur Roberta Breitmore behandelt - es kreist um Identität und Sexualität, um das Verhältnis der Betrachterin zu ihrem individuellen Gegenüber, Interaktivität und Performativität - wurde von der Medienkünstlerin auch in vielen weiteren Werken aus anderen Perspektiven aufgegriffen und weiterentwickelt. So etwa bei dem ersten interaktiven Werk auf Videodisk Lorna (1983-1984). Auch der Film Teknolust (2002) (u.a. mit Tilda Swinton) hat Cyber-Identität, künstliche Intelligenz, Klonen sowie die Entkopplung von Sexualität und menschlicher Fortpflanzung zum Thema. In ihren jüngsten Arbeiten bezieht Hershman Leeson nicht nur Roboter und Massenkommunikationsmittel wie Smartphones mit ein. Sie rückt beispielsweise mit der erstmals präsentierten Installation Infinity Engine (2014) auch neueste wissenschaftliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Genetik und der regenerativen Medizin in den Fokus - einschließlich 3D-Biodrucker, die Teile des menschlichen Körpers nachbauen können.
Lynn Hershman Leeson studierte an der Case Western Reserve University in Cleveland sowie der San Francisco State University. Von 1993 bis 2004 war sie zunächst Professorin für Elektronische Kunst an der Universität von Kalifornien in Davis, wo sie jetzt Emeritus ist, bevor sie einen Lehrstuhl am San Francisco Art Institute annahm. Sie hat außerdem eine Professur an der Cornell University in New York inne und ist Gastkünstlerin an der New School for Social Engagement. Im Laufe der Jahre hat Hershman Leeson für ihr künstlerisches Schaffen zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, so wurden ihr unter anderem 1995 der Siemens Medienkunstpreis durch das ZKM verliehen (zusammen mit Peter Greenaway, Jean Baudrillard sowie Steina und Woody Vasulka) und 2010/11 der DAM Digital Art Award |DDAA|.
Kuratoren: Peter Weibel, Andreas Beitin
Begleitend zu der Ausstellung erscheint eine umfassende Publikation. Sie spiegelt, aus den verschiedenen Blickwinkeln internationaler Autoren, die Vielfalt der Arbeit von Lynn Hershman Lesson wider.
Hg. v. Peter Weibel, ca. 400 Seiten, überwiegend farbig ill., mit Texten von u.a. Peter Weibel, Andreas Beitin, Pamela M. Lee, Peggy Phelan, Laura Poitras, B. Ruby Rich, Kristine Stiles.