„Der Gesetzesentwurf will vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche nicht bloß ,straffrei‘, sondern auch noch ,rechtmäßig‘ stellen. Zu diesem Zeitpunkt ist das ungeborene Kind etwa 23 bis 28 Zentimeter groß und wiegt zwischen 370 und 450 Gramm. Finger und Zehen werden bereits von Nägeln bedeckt. Das Kind im Mutterleib kann bereits die Augenbrauen verziehen oder Purzelbäume schlagen. Dies und anderes mehr würde einer Schwangeren, die eine Abtreibung verlangt, aber niemand mehr mitteilen können. Denn der Gesetzesentwurf sieht ebenso vor, dass die Pflicht zur Beratung entfällt. Damit nicht genug: Die Kosten für die dann ,rechtmäßige‘ vorgeburtliche Kindstötung sollen von den gesetzlichen Krankenkassen getragen und damit der Solidargemeinschaft der Versicherten aufgebürdet werden.
Anders als die geltende Rechtslage, die eine vorgeburtliche Kindstötung als ,rechtswidrig‘ erachtet, aber unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche ,straffrei‘ stellt, sucht der gestern vorgestellte Gesetzesentwurf ein ,Recht auf Abtreibung‘ zu errichten. Ein solches Recht kann es aber nicht geben.
Laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt das ,Recht auf Leben‘ (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – ,Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘) ungeborenen Menschen in gleicher Weise zu, wie geborenen: ,…Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der lebt; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. Jeder im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist jeder Lebende, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; jeder ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen‘ (Vgl. BVerfGE 39, 1).
Ferner gilt: Grundrechte wie das „Recht auf Leben“ sind vorstaatliche Rechte. Sie kommen ihren Träger allein deshalb zu, weil sie Menschen sind. Daher können Grundrechte auch nicht von Staaten verliehen, sondern lediglich von ihnen anerkannt werden. Ein Gesetzgeber, der sich den gestern vorgestellten Gesetzesentwurf zu eigen machen wollte, müsste also behaupten, dass ungeborene Kinder bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche keine Menschen sind und daher kein Grundrecht auf Leben besäßen, das anerkannt werden müsse. Das widerspricht jedoch dem Stand der Wissenschaft. Ihm zufolge entwickeln sich Menschen nicht zu Menschen, sondern als Menschen.
Ein Gesetzgeber, der sich den gestern vorgestellten Gesetzesentwurf zu eigen machen wollte, müsste ferner gerichtssicher begründen können, wodurch ein Kind mit Beginn der 23. Schwangerschaftswoche zum Menschen wird, dessen Grundrecht auf Leben prinzipiell anerkannt werden muss. Kann er das nicht, würde ein ,Recht auf Abtreibung‘, wie es der Gesetzentwurf zu errichten sucht, überdies bedeuten, dass schwangere Frauen einen Rechtsanspruch auf die Tötung eines unschuldigen und wehrlosen Menschen durch einen Arzt besäßen und dieses bei Bedarf gelten machen können. Wenn es aber etwas gibt, dass man nach allgemeiner Überzeugung der gesamten Menschheitsfamilie nicht darf, dann ist es die Tötung eines wehrlosen und unschuldigen Menschen.
Aus all dem folgt: Der Gesetzentwurf ist inkonsistent, er widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie dem Stand der Wissenschaft. Er ist ferner hochgradig interessengeleitet und will – unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht – Menschen, deren Recht auf Leben respektiert wurde, das Recht verschaffen, das Recht auf Leben anderer Menschen nicht respektieren zu müssen. Die Autorinnen des Gesetzentwurfes scheinen anzunehmen, Selbstbestimmung könne erst einsetzen, wenn ein Schwangerschaftstest positiv ausfällt. Das muss hier nicht interessieren. In einem freiheitlichen, demokratischen Staat bleibt ein jeder auch Herr über seine Lebenslügen. Ein Staat allerdings, der sich diese zu eigen machte, würde sich nicht nur in den Augen seiner Bürgerinnen und Bürger lächerlich machen, er würde auch aufhören, ein Rechtsstaat zu sein.