»Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher.« Mit diesem Aphorismus formulierte Karlheinz Deschner sein Lebensmotto. Als unbeugsamer »Streitschriftsteller« war Deschner über Jahrzehnte hinweg die Personifikation des aufklärerischen Ärgernisses, ein giftiger Stachel im Fleisch seiner Zeit, an dem sich die Diskussion immer wieder neu entzünden musste. Bis zu seinem Tod im Jahr 2014 deckte er mit einer sprachlichen Schärfe, die an Friedrich Nietzsche erinnerte, all jene Ungeheuerlichkeiten der Geschichte auf, die maßgebliche Vertreter von Politik und Kirche gerne für alle Ewigkeit unter den Teppich gekehrt hätten.
Heute zählt vieles von dem, was Deschner veröffentlicht hat, zum Common Sense. Die Deschnersche Perspektive, die im 20. Jahrhundert noch große Empörung auslöste, ist inzwischen weithin akzeptiert und wird in vielen religionsgeschichtlichen Dokumentationen weitergetragen – mit ein Grund für den fortschreitenden Niedergang der kirchlichen Macht in Westeuropa sowie für den bemerkenswerten Trend der Säkularisierung in den letzten Jahrzehnten. Dass die konfessionsfreien Menschen schon in wenigen Jahren die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland stellen werden, ist nicht zuletzt auf die aufklärerischen Impulse zurückzuführen, die von Deschners Werk ausgegangen sind.
Mit der Giordano-Bruno-Stiftung war Karlheinz Deschner seit ihrer Gründung im Jahr 2004 eng verbunden, er war sogar der entscheidende Auslöser dafür, dass die Stiftung überhaupt ins Leben gerufen wurde. Schließlich waren es seine Werke, die bei gbs-Gründer Herbert Steffen ein »umgekehrtes Damaskuserlebnis« auslösten, durch das er sich vom »frommen Paulus« in einen »freigeistigen Saulus« verwandelte. Die erste große Veranstaltung, welche die gbs organisierte, war der Festakt zu Deschners 80. Geburtstag in seiner Heimatstadt Haßfurt im Mai 2004 – und die letzte Veranstaltung, an der sich Karlheinz Deschner aktiv beteiligte, war der Festakt zur Vollendung seiner zehnbändigen »Kriminalgeschichte des Christentums«, der im März 2013 am gbs-Sitz »Haus Weitblick« in Oberwesel stattfand. Viele Gäste der Veranstaltung im gbs-Forum hatten bei Deschners Rede Tränen in den Augen, da sie ahnten, dass dies wohl sein letzter öffentlicher Auftritt sein würde. Am 8. April 2014 starb Karlheinz Deschner im Alter von 89 Jahren an den Folgen eines geplatzten Aneurysmas. Mit ihm verlor die Welt einen ihrer faszinierendsten und streitbarsten Autoren.
Neue Deschner-Doku und -Website zum 100. Geburtstag
Die Giordano-Bruno-Stiftung hat den 100. Geburtstag zum Anlass genommen, um eine neue aufwändige Video-Dokumentation zu Leben, Werk und Wirkung des »größten Kirchenkritikers aller Zeiten« (Dieter Birnbacher) zu produzieren. Der Film »Karlheinz Deschner: Der Streitschriftsteller« von Ricarda Hinz und Michael Schmidt-Salomon feiert seine Livepremiere am kommenden Mittwoch (22.5.2024) um 19:30 Uhr auf dem YouTube-Kanal der gbs.
Darüber hinaus ist unter der Domain karlheinz-deschner.de ab sofort eine neue Deschner-Website abrufbar, die von Florian Chefai (gbs, Hans-Albert-Institut) gestaltet wurde. Sie informiert in zeitgemäßer Form über das Leben und Werk des Ausnahmeschriftstellers, in der Deschner-Mediathek finden sich ausgewählte Videos, Bilder und Textbeiträge, im Deschner-Blog erhält man zusätzliche Infos u.a. zu interessanten Neuerscheinungen. Darüber hinaus sind rund um den Geburtstag Social-Media-Kampagnen unter dem Hashtag #deschner100 geplant.
»Wir hoffen, auf diese Weise auch ein etwas jüngeres Publikum für Karlheinz Deschner interessieren zu können«, erklärt der Philosoph und gbs-Vorsitzende Michael Schmidt-Salomon, der eng mit Karlheinz Deschner zusammengearbeitet hat. »Dass viele jüngere Menschen mit dem Namen Deschner nichts mehr verbinden, kann man durchaus nachvollziehen. Denn wer die heftigen weltanschaulich-politischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts gar nicht miterlebt hat, kann nur schwer einschätzen, gegen welch massive Widerstände Aufklärer wie Karlheinz Deschner die Freiheiten erkämpfen mussten, die heute oft als selbstverständlich betrachtet werden. Das Problem dabei: Durch diese geschichtsblinde Perspektive steigt die Gefahr, dass die hart erkämpften Freiheiten wieder verloren gehen. Jedenfalls gibt es gute Gründe dafür, an das Leben und Werk Karlheinz Deschners zu erinnern. Nicht nur, weil die Themen, die Karlheinz behandelt hat, aktuell bleiben werden, sondern auch, weil Schriftsteller seines Formats seltene Ausnahmeerscheinungen sind in dem Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt…«