1. Anspruch auf Nacherfüllung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB
Der Käufer eines mangelhaften Fahrzeugs kann zunächst einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Damit verfolgt er seinen ursprünglichen Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Grundsätzlich hat der Käufer gem. § 439 Abs. 1 BGB die Wahl, ob er die Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung) oder die Mängelbeseitigung (sog. Nachbesserung) verlangt.
a) Vorliegen eines Sachmangels gem. § 434 BGB
Die grundsätzliche Frage ist diejenige, ob die Verwendung der illegalen Software zu einem Sachmangel am betroffenen Fahrzeug führt. Ein Sachmangel liegt gem. § 434 Abs. 1 BGB vor, wenn das Fahrzeug bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit hatte oder sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder übliche Verwendung eignete. Es gilt der subjektive Fehlerbegriff, wonach jede für den Käufer nachteilige Abweichung der tatsächlich geschuldeten Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) einen Sachmangel darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2015 – VII ZR 70/14). Die etwa in einem Prospekt angegebenen Emissionswerte werden unstreitig nur durch die manipulierte Software in Testverfahren eingehalten. Im regulären Fahrbetrieb auf der Straße weicht der Abgasausstoß jedoch erheblich von den Angaben des Herstellers ab und liegt sogar über den gesetzlichen Grenzwerten. Diese Abweichung von den im Kaufvertrag, in den Prospekten oder in der Werbung genannten Werten stellt eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit dar. Ob die Abgaswerte als Beschaffenheit konkret zwischen den Parteien vereinbart wurden (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB), ist im jeweiligen Einzelfall zu klären. Da jedoch auch die ökologischen Eigenschaften und der Spritverbrauch von Kraftfahrzeugen immer weiter in den Vordergrund rücken, trägt der in den Verkaufsunterlagen angegebene Emissionswert in vielen Fällen zum Kaufentschluss bei, sodass es den Kunden umso wichtiger war, ob dieser mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß übereinstimmt. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass die Fahrzeuge durch den von den angegebenen Herstellerangaben abweichenden Schadstoffausstoß, der seinerseits auf dem Vorhandensein eines manipulierten Abgassystems beruht, gem. § 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht die Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Der Käufer eines Neufahrzeuges darf davon ausgehen, dass dessen Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund der manipulierten Software im Prüfstandlauf einhält. Damit liegt ein Sachmangel vor.
b) Nachlieferung oder Nachbesserung
Der Käufer eines mangelhaften Fahrzeugs kann im Rahmen des ihm zustehenden Nacherfüllungsanspruchs sodann nach seiner Wahl entweder die Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeuges oder aber eine Nachbesserung des mangelhaften Fahrzeuges verlangen. Zu beachten ist allerdings, dass der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 3 BGB dann verweigern kann, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Dies könnte vorliegend der Fall sein, wenn der Käufer die Nachlieferung eines neuen, mangelfreien Fahrzeugs wünscht. In Anbetracht des hohen Preises für ein Neufahrzeug könnte der Händler Sie daher grundsätzlich auf die Nachbesserung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB verweisen. Dies hängt damit zusammen, dass für die Umrüstung im Rahmen einer Nachbesserung ein Software-Update bzw. der Einbau eines Zusatzteils genügen soll, welches je nach Motorentyp zwischen einer halben und einer Stunde dauern soll und als Kosten lediglich rund 100,00 € angegeben wurden. Nach Angaben von Volkswagen soll hierbei ein Verfahren angewendet werden, das wohl weder Motor- und Fahrleistung beeinträchtigen noch den Verbrauch erhöhen soll, sodass der Mangel damit vollständig beseitigt werden könne. Dem stehen jedoch entsprechende Medienberichte und Sachverständigenmeinungen entgegen, wonach diese Art der Nachbesserung zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führen würde und nicht absehbar sei, ob sich die Motorleistung verschlechtert.
Für betroffene VW-Kunden steht daher fest, dass diese in jedem Fall einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen können.
2. Rücktritt gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB
Ob betroffene Käufer darüber die Möglichkeit haben, gem. §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB von ihrem Kaufvertrag zurückzutreten, hängt von weiteren Voraussetzungen ab. Ein Rücktritt vom Kaufvertrag hat zur Folge, dass das mangelhafte Fahrzeug zurückgegeben werden kann (vgl. §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1 BGB. § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB). Im Gegenzug muss Ihnen der Kaufpreis abzüglich eines anzurechnenden Wertersatzes für die bis dahin von Ihnen gefahrenen Kilometer erstattet werden.
a) Fristsetzung gem. § 323 Abs. 1 BGB
Neben dem Vorhandensein eines Sachmangels (s.o.), muss der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist setzen, innerhalb derer der Mangel zu beseitigen ist. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Verkäufer die Möglichkeit eingeräumt wird, auch tatsächlich die Nacherfüllung zu bewirken. Nach eigenen Angaben von Volkswagen könne die Nachbesserung innerhalb von höchstens einer Stunde erfolgen und sei auch ansonsten nicht mit einem komplizierten Verfahren verbunden. Daher ist im Grunde davon auszugehen, dass die Gewährung einer Frist von zwei Wochen angemessen sein dürfte. Das Landgericht Lüneburg hat hierzu jüngst in einem Urteil vom 02.06.2016, Az.: 4 O 3/16, ausgeführt, dass es unter Berücksichtigung der Besonderheiten des VW Abgasskandals zumindest keiner längeren Nachbesserungsfrist als 2 Monate bedurfte. Eine längere Frist sei nach Überzeugung der Richter mit der gesetzgeberischen Grundentscheidung zur Kaufgewährleistung und unter Berücksichtigung der vorliegenden besonderen Umstände nicht mehr vereinbar. Es könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass der Hersteller zunächst millionenfach eine manipulierte Software in seine Fahrzeuge einbaue und sich die Händler dann zum Nachteil der Käufer darauf zurückziehen, dass es Monate bzw. mehr als ein Jahr dauere, um diese Manipulation zu beheben.
b) Keine unerhebliche Pflichtverletzung, § 323 Abs. 5 S. 2 BGB
Der Rücktritt vom Kaufvertrag ist gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB allerdings dann ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung nur unerheblich ist. Dies erfordere nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs „eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.“ (vgl. BGH, Urteil vom 28.5.2014 – VIII ZR 94/13).
Hierzu äußert sich das Landgericht Lüneburg in dem vorgenannten Urteil vom 02.06.2016 wie folgt: Selbst wenn das Softwareupdate und der Einbau eines Teiles höchstens 1 Stunde dauern und Kosten in Höhe von ca. 100 € verursachen würde, spreche dies nicht gegen die Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Bei der Interessenabwägung seien auch die Kosten für die Entwicklung des Softwareupdates mit zu berücksichtigen. Der Aufwand für die eigentliche Durchführung könne nicht isoliert betrachtet werden. Für die technische Vorbereitung der beabsichtigten Mangelbeseitigung sei vorliegend nach dem Vortrag des VW-Händlers für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Vorlauf von fast einem Jahr erforderlich. Es handele sich daher offensichtlich nicht um eine einfache technische Maßnahme, die kurzfristig und ohne weitere Vorbereitungen hätte vorgenommen werden können. Ferner, so führt das Landgericht Lüneburg aus, könne eine Mängelbeseitigung, die einer vorherigen behördlichen Prüfung und Genehmigung bedarf, grundsätzlich nicht als unerheblich angesehen werden. Ohne die jeweilige Zulassung des Softwareupdates durch das Kraftfahrzeugbundesamt darf eine Mängelbeseitigung nicht durchgeführt werden.
Unabhängig hiervon liegen uns bekannte Fälle aber auch so, dass ein bestimmter Emissionswert als Beschaffenheit explizit zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB indiziert im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung immer die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2014 – VIII ZR 94/13). Dies bleibt jedoch immer einer Einzelfallprüfung vorbehalten.
Maßgeblich für den Rücktritt ist daher, dass betroffene Kunden möglichst zeitnah eine Frist zur Mängelbeseitigung setzten. Diesen Schritt sollten betroffene Kunden jedoch nicht ohne eine anwaltliche Beratung und Hilfe gehen.
3. Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB
Für eine nachträgliche Minderung des Kaufpreises gem. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB müssen ebenfalls die Voraussetzungen des Rücktritts (s. o.) vorliegen. Jedoch ist der Ausschlussgrund des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB gem. § 441 Abs. 1 BGB auf die Minderung nicht anwendbar, sodass auch sog. Bagatellschäden zu einer Minderung des Kaufpreises führen können. Als Rechtsfolge wird der Kaufpreis dabei in dem Verhältnis herabgesetzt, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert des Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand gestanden hätte (§ 441 Abs. 3 BGB). Betroffene Kunden können daher gem. § 441 Abs. 4 BGB die Rückzahlung des Mehrbetrages verlangen. Allerdings ist auch hier die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB vorrangig, sodass der Mangel grundsätzlich durch das Software-Update behoben werden könnte. Unabhängig hiervon ist jedoch nicht klar, in welchem Maß der Wert des betroffenen PKW gemindert ist. Noch steht nicht fest, ob das Fahrzeug einen Leistungsabfall erleidet. Spätfolgen für den Motor können ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Unter Umständen bedarf das Abgassystem einer besonderen Wartung und der Zugabe von Harnstoff. Dies alles wird sich in der kommenden Zeit feststellen lassen. Die Minderung kann daher einen geeigneten Rechtsbehelf darstellen.
4. Schadensersatz, §§ 437 Nr. 3 BGB i. V. m. 280 ff. BGB
In der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird vor allem die Frage, ob von dem Abgasskandal betroffene Käufer Schadensersatz verlangen können. Die im Gewährleistungsrecht einschlägigen Normen finden sich in §§ 437 Nr. 3 i. V. m. 280 ff. BGB. Danach kann ein Käufer unter den folgenden Voraussetzungen Schadensersatz verlangen:
a) Pflichtverletzung
Zunächst hat der Verkäufer seine Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache (s. o.) gem. § 433 Abs. 1 S. 2 BGB verletzt.
b) Vertreten müssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. §§ 276, 278 BGB
Nicht ganz einfach zu beantworten ist Frage, ob der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den §§ 276, 278 BGB. Nach § 276 BGB hat ein Verkäufer grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Kunden müssen sich darauf einstellen, dass ihre Händler einwenden werden, dass ihnen die Manipulationen an den Abgassysteme ebenso wenig bekannt waren wie dem Käufer. Daher wird ein eigenes Verschulden der Händler regelmäßig oftmals ausscheiden.
In Fällen wird es aber so sein, dass das Fehlverhalten des Herstellers, hier des VW-Konzerns, dem Händler gem. § 278 BGB zuzurechnen ist. So hat jüngst das Landgericht München I in einem Urteil vom 14.06.2016, Az.: 23 O 23033/15, dass eine Zurechnung bei einem Vertragshändler aus mehreren Gründen in Betracht kommen kann. Einmal aus der gesellschaftsrechtlichen Verbindung zum VW-Konzern, dann aber auch aus Gesichtspunkten des Rechtsscheins. Grundlage hierfür das Vertrauen darauf, dass Vertragshändler aufgrund ihres Auftretens besonderes Vertrauen als Konzerntochter in Anspruch nehmen. Ob eine solche Zurechnung in Betracht kommt, bleibt allerdings vom Einzelfall abhängig und bedarf in jedem Fall einer vorherigen anwaltlichen Prüfung.
c) Schaden
Bislang unklar ist, ob den Käufern der betroffenen Fahrzeuge ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Im Vordergrund steht hier vor allem die Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes. Zudem bleibt offen, ob die Mängelbeseitigung ohne Folgeschäden für den Motor bleibt, sprich welche Auswirkung die dauerhafte Abgasreinigung langfristig auf den Motor haben wird. Neben einem Leistungsabfall werden hier immer wieder Folgeschäden am Motor diskutiert. Daher dürfte es für die betroffenen Kunden sehr wichtig sein, eine Freihalteerklärung für derartige künftige Schäden einzufordern. Ferner ist nicht absehbar, welcher zusätzliche Wartungsaufwand und welche weiteren Kosten im Hinblick auf das Abgassystem auf die Käufer zukommen. Auch hier bedarf es der Freihaltung.
Daher gehen wir davon aus, dass ein Schadensersatzanspruch besteht.
5. Verjährung gem. § 438 BGB
Grundsätzlich verjähren Mängelgewährleistungsansprüche innerhalb von 2 Jahren nach Ablieferung der Sache, §§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB. Da viele Kunden ihr Auto bereits vor einigen Jahren gekauft haben, könnte sich der Verkäufer daher unter Umständen auf die Verjährung berufen. Angesichts dessen erscheint eine Klage gegen den VW-Konzern direkt um einiges attraktiver, da hierbei die Verjährung 3 Jahre beträgt, §§ 438 Abs. 3, 195 BGB, und frühestens mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Käufer von den mangelbegründenden Umständen erfahren hat, § 199 Abs. 1 BGB, also frühestens im September 2015. Diese längere Verjährungsfrist der §§ 438 Abs. 3, 195 BGB gilt aber auch für Händler, wenn diese den Mangel arglistig verschwiegen haben. Dies dürfte bei der Verwendung der manipulierenden Software der Fall sein. Aber auch dies muss einer Einzelfallprüfung vorbehalten bleiben.
6. Fazit
Von der Abgasaffäre betroffene Käufer sind keineswegs rechtlos gestellt, sondern sollten aktiv ihre Gewährleistungsrechte einfordern. In erster Linie besteht ein Anspruch auf Nachbesserung. Sollte der Kunde seinem Händler eine Frist gesetzt haben, die aber fruchtlos verstrichen ist, besteht ein Rücktrittsrecht oder Ansprüche auf Minderung bzw. Schadensersatz. Zudem, so hat es das Landgericht München I (s. o.) jüngst entschieden, besteht sogar ein Anspruch auf Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung. Diesbezüglich ist jedoch die Anfechtungsfrist von (nur) einem Jahr zu beachten, die mit der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis von der arglistigen Täuschung zu laufen beginnt. Diese Frist hat nach unserer Auffassung mit dem Bekanntwerden des Abgasskandals in den Medien begonnen und dürfte daher im Herbst 2016 auszulaufen beginnen.
Ferner sind aber auch Ansprüche gegen den VW-Konzern denkbar. Diese wurden hier bewusst ausgespart. Relevant sind insbesondere deliktrechtliche Ansprüche aufgrund einer sittenwidrigen Schädigung. Ob derartige Ansprüche bestehen, bleibt einer Einzelfallprüfung vorbehalten.
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